Sorry, aber mit Liebe hat das in meinen Augen nicht sonderlich viel zu tun. Der passendere Begriff wäre wohl Lust, wobei ich mich frage, ob von der bei dem Mass an Beliebigkeit auch noch viel übrigbleibt.
Und auf keinen Fall kann es für mich ein alternatives kulturelles Konzept sein, aus mehreren Perspektiven nicht. Zunächst liegt es ganz im Trend des neoliberalen Weltbilds; was hier geschieht, ist das Umsetzen neoliberaler Prinzipien in zwischenmenschliche Beziehungen: maximaler Profit bei minimalem Aufwand, immer die kurzfristige 3-Monatsbilanz vor Augen fern jeglicher Nachhaltigkeit, Kultivierung der Konsumkultur, bei der Menschen und Beziehungen einfach konsumiert werden, usw. Die Währung hierbei sind eben nicht Dollar und Euro, sondern Körpersäfte, Hormone und ausgeschüttete Transmitter.
Weil das eben bei den 68ern auch ganz ähnlich gewesen ist, wo die sexuelle Befreiung in eine um sich greifende Beliebigkeit und Lustoffensive umgeschlagen ist, hat sich das damals eben auch nicht halten können und ist schon recht bald in sein vermeintliches Gegenteil umgeschlagen.
Wenn ich von kultureller Neuorientierung rede, dann schwebt mit vor, dass das Leben des Menschen, sein Denken und Handeln, wieder einen Sinn macht über die eigene Nasenspitze und über recht kurze Binnenrationalitäten hinaus. Dazu braucht es aber einen stabilen tragfähigen äusseren Rahmen, da nur dieser dem Einzelnen eine übergeordnete Bedeutung und Sinn verleiht.
Schon vor 130 Jahren hat Nietzsche festgestellt, dass reines Vernunftdenken ohne diesen irrationalen Rahmen, und zwar ganz gleich, auf welche Begrifflichkeiten es sich stützt, früher oder später zwangsläufig in Nihilismus münden muss. Und was wir seitdem erlebt haben ist im gewissen Sinne nichts anderes als eine eindrucksvolle Bestätigung dieser These in nahezu allen Lebensbereichen.
Für Pits Katastrophenszenario sprechen durchaus einige Gründe, vor allem, dass wir mittlerweile so viele sind und ungebremst weiter wachsen und natürlich der Umstand, dass Menschen selten etwas grundlegendes ändern, wenn sie keinen konkreten Bedarf und Anlass dazu haben. Wir mögen zwar einen solchen jetzt schon erkennen, aber es ist offensichtlich, dass die meisten das nicht tun und selbst die, die einen solchen Bedarf sehen, doch recht ratlos sind vor dieser Situation, da der Einzelne kaum etwas bewirken kann.
Andererseits hat er aber selbst schon einen der Gründe dafür angedeutet, weshalb es nicht unbedingt so kommen muss: die Werte und damit auch die Macht, die sich innerhalb dieses Systems auf ihnen gründet, sind in steigendem Maße von künstlicher flüchtiger Natur. Viele von denen, die heute noch mit ihrem Vermögen riesige Yachten anschaffen und eine kleine Armee betreiben könnten, stünden bei einem Zusammenbruch des Systems ziemlich hilflos da, kaum zu unterscheiden von den vielen Leuten, die zunächst einmal ihre Arbeit und ihr Auskommen verlieren würden. Wenn das System selbst schon brökelt, dann braucht es vielleicht erst gar keinen Verteilungskampf, weil der nur solange Sinn macht, solange die Macht an ganz reale Werte geknüpft ist, also das System letztendlich noch steht.
Meine zeitweiligen und unausgereiften Gedankenspielereien im Hinblick einer kulturellen Neuorientierung gehen eher in Richtung von temporär oder auch lokal begrenzter Dogmen, die schon einen weitgehend vernunftzentrierten Aufbau haben, aber eben auch aus bloßer Notwendigkeit im Hinblick auf Sinngebung diesen irrationalen Rahmen. Ich bin eben grundsätzlich ein sehr kopflastiger Mensch, deshalb erhoffe ich mir vor allem neue Seinsweisen durch neue Sichtweisen und Wertigkeiten, bspw. indem die Nachhaltigkeit wieder eine größere Bedeutung gewinnt, die Gerechtigkeit oder auch die Arbeit. Im Zwischenmenschlichen erhoffe ich mir auch eine Renaissance der Liebe, aber eben nicht durch mehr Freiheit und Beliebigkeit und Abwechslung, sondern ganz im Gegenteil durch mehr Beständigkeit und Intensität, durchaus auch mehr Beziehungsarbeit. Ich erwarte eine Art Evolutionssprung im Denken und Begriffsvermögen der Menschen in dem Sinne, dass sie die Wandelbarkeit und Flexibilität der Anschauung, die sie jetzt schon abschnittsweise leben, auch in ihr Weltbild und Denken fest integrieren und verankern können. Damit ist etwa gemeint, dass Menschen ganz fest an eine Vorstellung (meinetwegen auch eine dogmatische) glauben und von ihr überzeugt sein können, aber begreifen und sich damit arrangieren, dass das für einen Mitmenschen möglicherweise mit einer ganz anderen Vorstellung genauso sein kann. Daraus könnte dann so etwas wie eine polyreale Sichtweise kultiviert werden, in der die Menschen mehrere Vorstellungswelten nebeneinander und ineinander leben, die Dinge also nicht nur auf eine ganz bestimmte Weise gesehen werden müssen, sondern gleich in vielfältiger Weise.
Aus dieser Aufzählung erkennt man schon, dass diese Ideen und Vorstellungen alles andere als aufgereift sind. Aber immerhin, einiges davon praktiziere ich schon seit langer Zeit und mache durchaus gute Erfahrungen damit, sodass es mir möglich scheint, auf Basis solcher Prinzipien ein erfülltes ausgeglichenes Leben zu führen, ohne alles mögliche in seinem Leben innerhalb kürzester Zeit verbrauchen und konsumieren zu müssen und ohne in Apathie und Lethargie zu verfallen, wenn man nicht gerade die richtigen Psychopharmaka zur Hand hat.