lieber Zerd

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Zerd

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Schaunmermal....wir werdens hoffentlich noch erleben...aber wir sollten vielleicht Briefpapier und Briefmarken bunkern, falls das Internet dann auch zusammenbricht....
 

Majnomon

Well-Known Member
Sorry, aber mit Liebe hat das in meinen Augen nicht sonderlich viel zu tun. Der passendere Begriff wäre wohl Lust, wobei ich mich frage, ob von der bei dem Mass an Beliebigkeit auch noch viel übrigbleibt.

Für mich (und Fourier) schließen Lust und Liebe einander nicht aus... erst durch die (moralisch wertende) Trennung dieser beiden Aspekte der Libido ergeben sich all die Verwerfungen der Zivilisation und ihre Zwänge, Doppelmoral und Heuchelei:

"Wissen die Moralisten nicht selbst, daß ewige, ausschließliche Treue in der Liebe der menschlichen Natur zuwiderläuft; daß man vielleicht einige Dummköpfe beiderlei Geschlechts, niemals aber alle Männer und Frauen zu solchen Sitten bekehren kann; und daß somit jede Gesetzgebung, welche Eigenschaften fordert, die mit den Leidenschaften unvereinbar sind, nur lächerliche Spekulationen hervorbringen und Unordnung stiften kann, da die ganze Gesellschaft sich dann stillschweigend zusammenschließt, um die Übertretung der Gesetze gutzuheißen? Ist dies nicht das Ergebnis des Liebessystem, das seit 2500 Jahren herrscht? Es läßt nur die Sitten der Unterdrückung fortdauern, die in den finsteren Zeitaltern herrschten, Sitten, auf denen zu bestehen lächerlich ist, in einem Jahrhundert, das sich seiner Vernunft und seiner Achtung für die Natur rühmt" (Charles Fourier)

...

"Wir wollen von einer neuen Ordnung der Liebe sprechen, in der das Gefühl, der edle Teil der Liebe, in hellem Glanz erstrahlen und alle Beziehungen verzaubern wird. Denn worauf gründet ihr Reich? Darauf, daß das Materielle [d.i. die körperliche Lust] nicht unterdrückt wird, sondern volle Befriedigung findet, und daß das Bedürfnis danach nicht unziemlicher ist als die Gelüste der anderen Sinne (...). Erst wenn das Materielle befriedigt ist, können die edlen Regungen der Liebe ihren Aufflug nehmen..."

...

"La liberté des amours est la liberté tout court - Freiheit in den Liebesbeziehungen ist die Freiheit schlechthin" (Charles Fourier)

...

Zur Polyamorie und der Frage der Beliebigkeit hier eine kurze Beschreibung eines Praktizierenden bei "Frag ein Klischee" (Süddeutsche Zeitung):

http://www.sueddeutsche.de/panorama...rist-hier-koennte-ihre-frage-stehen-1.2555546


Bei Fourier wird allerdings auch die Beliebigkeit nicht diskreditiert und in Anlehnung an Schmetterlinge "Flatterlust" genannt, weil sie von Blume zu Blume fliegen...
 
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Majnomon

Well-Known Member
http://mehrplatzfuerdieliebe.blogspot.de/p/beziehungsanarchie-in-8-punkten.html

"Liebe ist im Überfluss vorhanden, und jede Beziehung ist einzigartig.

Beziehungsanarchie stellt die Idee in Frage, dass Liebe eine begrenzte Ressource ist, die nur dann echt ist, wenn sie nur zwischen zwei Personen auf einmal stattfindet. Du kannst viele Menschen lieben, und die Beziehung zu einem Menschen beschränkt nicht die Liebe, die du für jemand anderen empfindest. Bewerte und vergleiche keine Menschen und Beziehungen - schätze jede Beziehung auf ihre individuelle Art und Weise. Es ist nicht nötig, jemanden als "Partner" zu benennen, damit die Beziehung echt ist. Jede Beziehung ist eigenständig, und eine Beziehung zwischen eigenständigen Menschen.[...]"
 

Zerd

Well-Known Member
Die Sache mit der menschlichen Natur ist nicht ganz so einfach und eindimensional, wie sie sich für manche darstellt. Auch der Neoliberale beruft sich bekanntlich auf diese Natur, wenn er das Dschungelprinzip als oberstes Prinzip ausruft, weil ja schließlich auch in der Natur nur der Stärkere überlebt.

Für mich ist ein wesentliches Element des Menschseins das Masshalten. So ziemlich alles, was Leben ausmacht, angefangen von den biochemischen Prozessen innerhalb einer Zelle über einzelne Entwicklungsschritte bis zu den komplexesten Gefühlen und Gedanken, ist einerseits in gewisser Weise unverzichtbar, andrerseits aber auch schädlich, wenn nicht gar tödlich, wenn es im Übermass abläuft, sprich: degeneriert.

Die ganze kulturelle Entwicklung des Menschen lässt sich so begreifen: dadurch, dass mit dem Großhirn ein gewisser Antagonist zum eher instinktiv agierenden Kleinhirn und damit auch Bewusstsein und ein weiteres Kontrollorgan entstanden ist, waren wir erst in der Lage (ergab sich die Notwendigkeit), gewissen Zwangsläufigkeiten der Natur zu entwachsen, im gewissen Sinne erwachsen zu werden.

Und die Sittlichkeit gehört zu diesem Reifeprozess, auch wenn natürlich auch für sie gilt, dass sie derart im Übermass betrieben werden kann, dass sie sich als schädlich und hemmend erweist. Sexualität ist wie jede andere Lust im Kleinhirm verankert und diente ursprünglich bei Abwesenheit jedes anderen Kontrollmechanismus außer diesem „natürlichen“ ganz offensichtlich der Fortpflanzung und Arterhaltung.

Liebe dagegen ist eine kulturelle Errungenschaft, erfordert Bewusstsein und durchaus auch ein gewisses Mass an Sittlichkeit, da sie eben nicht den Automatismen der natürlichen Gesetzmässigkeiten unterworfen ist. Ihre Bedeutung geht weit über den kleinhirngesteuerten Trieb zur Fortpflanzung und Arterhaltung hinaus, indem sie auch das Zusammenleben der Menschen in Gruppen und Gesellschaften, die nicht nur reine Zweckgemeinschaften sind, fördert und vielleicht sogar erst ermöglicht.

Ich frage mich, welche raue Vorstellung von Liebe jemand im besonderen und welches Menschenbild im allgemeinen er haben muss, um Liebe mit Lust gleichzusetzen und in ihr eine unerschöpfliche Ressource zu sehen. Liebe ist eine bewusste empatische Zuwendung zu einem Anderen, zu dem man einen starken Bezug kultiviert. Es erfordert die Beschäftigung mit dem Anderen, das Sich-Einlassen auf ihn, das Für-ihn-da-sein, Vertrauen und Verlässlichkeit, Geborgenheit, Wärme. Es ist insofern auch ein Stück weit Selbstaufgabe, die Selbstdefinition durch den Anderen und das Aufgehen in dieser Verbindung mit ihm. Wie kann das alles mit mehreren gehen, ohne auf Kosten der Liebe selbst?

Das geht nur, wenn wir von reiner Sexualität reden und auch hier vor allem die Unverbindlichkeit und die Beliebigkeit kultivieren. Wenn wir dagegen ein Menschenbild priorisieren und kultivieren wollen, in dem jeder Einzelne etwas besonderes und einzigartiges ist und sich dennoch als solcher in die Gemeinschaft einbringen kann, dann brauchen wir die Liebe und die starken individuellen Bezüge, die durch sie hervorgerufen werden. Keine Sorge, das muss mehrere Sexualpartner oder vielfältige sexuelle Orientierungen und Vorlieben nicht prinzipiell ausschließen, aber Liebe ist eben etwas ganz anderes und weit darüber hinausgehendes.

Natürlich kann man mehr als einen Menschen lieben, auch innig lieben, aber sobald die Anzahl den überschaubaren Kreis etwa eine Familie überschreitet, ist man auch gezwungen, Kategorien wie Familie, Freundschaft, Verwandtschaft, Bekanntenkreis etc einzuführen, in der die Verbindlichkeit und der Bezug (letztendlich die Liebe) dann zwangsläufig abnehmen muss, weil sie eben von einem Einzelnen nicht unbegrenzt aufgebracht werden kann.
 

Majnomon

Well-Known Member
Ich frage mich, welche raue Vorstellung von Liebe jemand im besonderen und welches Menschenbild im allgemeinen er haben muss, um Liebe mit Lust gleichzusetzen und in ihr eine unerschöpfliche Ressource zu sehen. Liebe ist eine bewusste empatische Zuwendung zu einem Anderen, zu dem man einen starken Bezug kultiviert. Es erfordert die Beschäftigung mit dem Anderen, das Sich-Einlassen auf ihn, das Für-ihn-da-sein, Vertrauen und Verlässlichkeit, Geborgenheit, Wärme. Es ist insofern auch ein Stück weit Selbstaufgabe, die Selbstdefinition durch den Anderen und das Aufgehen in dieser Verbindung mit ihm. Wie kann das alles mit mehreren gehen, ohne auf Kosten der Liebe selbst?

Ich setzt Liebe und Lust nicht eins zu eins gleich, sehe aber in der patriarchal überlieferten Abwertung der Lust einen Hauptgrund für all die schmerzhaften Verwerfungen im menschlichen Zusammenleben, das immer noch, wenn nicht gar mehr denn je von Schuldgefühlen und Doppelmoral gekennzeichnet ist. Wo die Lust als nur niederer Trieb angesehen und erlebt wird, bleibt die Liebe ein hohles Versprechen, das mehr Anhaftung, Besitzgier und verzweifelte Sucht als freiheitlich liebende Verantwortung ist.

Nicht umsonst heißt der griechische Gott der Liebe Eros, der sich stets nach der Vereinigung mit der allumfassenden Seele (Psyche) sehnt, um mit ihr ein Ganzes zu bilden. Die Natur von Eros und Psyche ist garantiert weitläufiger als das monogame Zweisamkeitsideal und Keuschheitszwänge es uns seit 5000 Jahren einzubläuen versucht hat.

Zu guter Letzt vereint der Ausdruck "Libido" beide: Lust und Liebe als schöpferisch-kosmische Seelenkraft.
 

Zerd

Well-Known Member
Wie schon gesagt, es kommt immer auf das Mass an. Natürlich ist es unsinnig und schädlich, einen tief verankerten Trieb krampfhaft zu unterdrücken oder gar zu verteufeln, aber genauso verhält es sich auch, wenn ich ihn zum wesentlichen Lebensinhalt erhebe und dadurch adle. Der Mensch muss auch essen, schlafen und sich entleeren; auch das sollte er nicht auf Teufel komm raus unterdrücken, muss deshalb aber nicht gleich eine Kultur und Lebensart daraus machen. Insofern ist der vernünftige massvolle Umgang mit Sexualität für mich nur ein Randproblem.

Viel problematischer finde ich bspw die um sich greifende Beliebigkeit und Unverbindlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen. Derzeit hört man im Radio häufig ein Lied mit dem Titel Wolke4, offensichtlich ein aktueller Hit. Und in diesem Lied geht es auch genau darum, dass man es lieber vorzieht, auf das große Gefühl und den starken Bezug auf Wolke 1 zu verzichten, da das ja mit viel Arbeit und Aufwand und einem hohen Verlustrisiko verbunden ist, und stattdessen drei Stockwerke darunter die Wolke 4 vorzieht, wo es dann zwar nicht mehr das ganz große Gefühl und die ganz große Befriedigung ist, aber unverbindlicher und damit bequemer und ungefährlicher. Eine völlig durchrationalisierte Kalkulation der Beziehungsverhältnisse nach der Prämisse, was bringt mir den größten Vorteil bei geringstem Risiko.

Ich habe nicht ohne Grund die Frage nach der Vorstellung von Liebe mit der Frage nach dem Menschenbild verknüpft. Auf dem LP-Cover von Jimi Hendrix‘ Voodoo Chile steht der Spruch: the story of life is quicker than a wink of an eye. the story of love ist hello and good-bye, until we meet again. Für mich bestand nie ein Zweifel daran, dass diese beiden Ansichten unzertrennlich miteinander verbunden sind: wer sich und sein Leben auf einen Augenblick reduziert(oder sich selbst als ein Sandkorn ansieht oder als eine Laune der Natur als Zufallsprodukt der Evolution), der wird darin natürlich nie etwas Großes an Sinn und Bedeutung und Wert unterbringen können, und umgekehrt.

Auch deshalb benötigt jeder Mensch diesen irrationalen Rahmen, wenn er seinem Leben und dessen Inhalten eine Größe und Bedeutung verleihen will, die ihm als Individuum genauso gut bekommen kann wie der Gemeinschaft. Das ist uns derzeit abhanden gekommen in unserem Kulturkreis, was uns geradewegs und zwangsläufig zum Nihilismus und Hedonismus führt. Natürlich mit den vernünftigsten, wenn nicht gar wissenschaftlichsten Argumenten…
 

Majnomon

Well-Known Member
Darüber, dass es letztlich um die Liebe als der allumfassenden Quelle des Daseins schlechthin geht, brauchen wir uns m.E. nicht streiten.

Fourier allerdings verstehe ich auch vor dem Hintergrund meiner langjährigen Beschäftigung mit der Liebesmystik der Sufis nicht als einen einer oberflächlichen Beliebigkeit verfallenen primitiven Lustmolch, sondern als einen umsichtigen, scharfsinnigen und kultivierten Philosophen mit lebensbejahendem Tiefgang, der sich vielleicht erst erschließt, wenn man ihn eingehender studiert.

Ergänzend dazu vielleicht noch ein Bonmot von Mark Twain: "Trenne dich nicht von deinen Illusionen. Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben."
 

Majnomon

Well-Known Member
So befremdlich es klingen mag, ich habe noch nie besonders an Völkerrecht oder Rechtsstaatlichkeit geglaubt und empfinde es fast als befreiend, dass sich kaum noch die Mühe gemacht wird, den verlogenen Anschein zu wahren. Der täuschte sowieso nur die gutgläubige Herde und diente kaum etwas anderem als dem Machterhalt des jeweils herrschenden Ausbeutungssystem...

"Je mehr Gesetze und Vorschriften prangen, desto mehr Verbrecher und Diebe gibt es." (Laotse)

Meine Vision einer gerechten Welt beinhaltet jedenfalls keine anderen Gesetze als die des liebenden Herzens, die über jedes Wort hinausgehen.
 

Zerd

Well-Known Member
Hmm, ließe sich mit demselben Gedanken nicht gleich gegen jegliche zwischenmenschliche Interaktion argumentieren? Denn ich denke, viel öfter, als Gesetz und Recht dazu missbraucht werden, Menschen zu übervorteilen und auszubeuten, versuchen Menschen schon im ganz normalen Alltag ohne jegliche Berufung auf Recht und Gesetz die Anderen zu übervorteilen und auszubeuten. Vielleicht sollten wir uns mit dem Leben gar nicht erst rumplagen, weil wir ja ohnehin alle sterben müssen.

Das mag jetzt etwas provokativ klingen, aber genau darauf läuft es meines Erachtens hinaus, wenn man sich vornehmlich auf eine oder bestimmte Sichtweisen oder Facetten einer Sache konzentriert und aufgrund dieses einen festen Zusammenhangs sein Urteil fällt. Wir haben immer mindestens zwei Möglichkeiten, die Dinge zu begreifen: entweder wir versuchen sie umfassend zu verstehen, ihren Sinn und Bedeutung zu erfassen, weshalb sie überhaupt entstehen und aufkommen konnten; oder wir beschränken uns auf die positiven oder negativen Ausprägungen, um für oder gegen bestimmte Veränderungen zu plädieren.

Das halte ich übrigens auch für einen der Hauptunterschiede zwischen einem vornehmlich östlich-fernöstlich geprägten Denken und dem westlichen Denken. Bei uns im Abendland gab es spätestens seit den Römern eine erhöhte Konzentration und Fixierung auf die Ziele, für sie war bspw. die griechische Philosophie und Wissenschaft überwiegend Mittel zum Zweck zur Verwirklichung ihres Imperialismus. Später bei der Ausbreitung und Institutionalisierung des Christentums wurde ganz ähnlich vorgegangen. Gerade wer sich mit den ersten Konzilen etwas eingehender beschäftigt, wird dort feststellen, dass es zwar durchaus noch Gruppen gab, für die Wahrheit und Authentizität noch von Bedeutung waren, sich schließlich aber die Ansätze durchgesetzt haben, die allein nach der Prämisse „Stärke und Handlungsfähigkeit durch Einigkeit“ vorgegangen sind. Machterhalt und Verbreitung waren das Gebot der Stunde, das sich im gewissen Sinne durch das ganze Mittelalter hier gezogen hat. Als dann in der Renaissance Wissenschaft und neuzeitliches Denken aufkamen, standen wiederum strategische Betrachtungen im Vordergrund: nicht das ganzheitliche Denken bspw eines Aristoteles standen im Vordergrund, sondern ganz im Widerspruch zu seinen logischen Gesetzen wurde das induktive experimentelle Verfahren zum Auffinden nützlicher Kausalzusammenhänge, die man verwerten (sprich: mit denen man rechnen) konnte, vorgezogen. Und bis heute hält diese Entwicklung an: was uns stark und reich macht, ist gut und wichtig, alles andere kann vernachlässigt werden.

Dieser Impetus fehlt dem östlich-fernöstlichen Denken weit gehend, wo viel stärker und viel länger auf Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit Wert gelegt wurde und eben nicht so sehr auf bestimmte „nur“ nützliche Kausalitäten zur Erreichung von Teilzielen. Diesen Unterschied muss man vor Augen haben, wenn man sich als westlich sozialisierter Mensch mit östlich-fernöstlichen Vorstellungen und Aussagen beschäftigt. Der hier vor kurzem erwähnte Ausspruch von Lao-Tse ist bspw viel umfassender als es die Interpretation als Ausspruch gegen Gesetze und Regeln vermuten lässt. Es ist von Verbrechern und Dieben die Rede, nicht von Verbrechen und Diebstählen, das macht in meinen Augen einen ganz entscheidenden Unterschied, der diesen Spruch eben nicht mehr als Argument gegen Gesetze und Regeln durchgehen lässt. Klar, Verbrecher und Diebe werden erst durch die entsprechenden Gesetze dazu, durch Definition. Das bedeutet aber nicht, dass ihre Taten, die tatsächlich Verbrechen und Diebstähle sein mögen, erst durch die Regeln und Gesetze hervorgerufen werden. Lao-Tse war auch so ein Mensch, der die Welt und die Menschen vornehmlich verstehen und begreifen und beschreiben wollte, und dieser Spruch weist in einem Satz auf viele Facetten des Aspekts Regeln und Gesetze hin, auf ihre Unzulänglichkeiten ebenso wie auf ihre Notwendigkeiten. Nur hier im Westen wird man ihn vermutlich als Aufforderung oder Argument für eine bestimmte einschränkende Sichtweise für oder wider Gesetze und Regeln sehen.

Ich denke, wir benötigen Beides, sowohl das eher kontemplative eher ganzheitliche östliche Denken, als auch das eher analytische zielbeschränkte Denken im Westen. Und auch hier kommt es wieder, ich wiederhole mich da immer wieder sehr gerne, auf das richtige individuelle Mass an. Theodore Zeldins Buch „Eine intime Geschichte der Menschheit“ gibt zahlreiche Hinweise darauf, wie sehr unser grandioser wissenschaftlich-technischer Fortschritt gerade auf Kosten der menschlich-zwischenmenschlichen Entwicklung verwirklicht wurde. Auch hier geht es bei der Betrachtung sehr unterschiedlicher Einzelschicksale um den Verlust des übergeordneten irrationalen Rahmens, der den einzelnen Handlungen und Entscheidungen immer nur im Hinblick auf das naheliegendste Ziel Sinn und Bedeutung verleiht, wie der Hamster in seinem Rädchen, der läuft und läuft und läuft und doch keinen einzigen Schritt vorankommt.

Aber es besteht kein Zweifel: solange es Menschen und Leben überhaupt gibt, werden sie sich auch weiterentwickeln, das liegt einfach schon dem Leben selbst zugrunde. Mich würde einfach nur interessieren, in welche Richtung es wohl als nächstes gehen wird, denn mit unserem Wachstum und der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung haben wir Herausforderungen geschaffen, die weit über das bisher bekannte und übliche hinausgehen. Wie sollen, wie werden wir wohl damit umgehen, großflächig, mittelfristig, aber auch jeder für sich alleine individuell und täglich?...
 
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