Mal über Erdoğan plaudern

Mendelssohn

Well-Known Member
Ich sehe, dass der letzte Eintrag im Erdogan Small Talk von Ende März stammt. Angesichts der Corona-Wirtschaftskrise geriet Erdogan ganz aus dem Fokus der Medien. Nun meldete er sich zurück mit einer neuen Verhaftungswelle unter Gülenisten (die es immer noch zu geben scheint) und mit der Forderung an Deutschland, von der Liste der Länder mit Reisewarnung genommen zu werden. Typisches Erdogan Timing: erst verhaften, dann fordern. Man könnte ihm zugute halten: wenigstens nicht von hintenrum. :)
 

santiago

Well-Known Member
Viel Touristen haben wohl auch Angst, dass sie in der Türkei verhaftet werden können. Kenne zahlreiche Leute, welche ein solches Risiko nicht eingehen wollen. Reisewarnung hin oder her.
 

sommersonne

Well-Known Member
Ich sehe, dass der letzte Eintrag im Erdogan Small Talk von Ende März stammt. Angesichts der Corona-Wirtschaftskrise geriet Erdogan ganz aus dem Fokus der Medien. Nun meldete er sich zurück mit einer neuen Verhaftungswelle unter Gülenisten (die es immer noch zu geben scheint) und mit der Forderung an Deutschland, von der Liste der Länder mit Reisewarnung genommen zu werden. Typisches Erdogan Timing: erst verhaften, dann fordern. Man könnte ihm zugute halten: wenigstens nicht von hintenrum. :)
Das ist mir auch ein Rätsel woher er immer all die Gülenanhänger nimmt. Die müßten doch alle längst im Gefängnis oder keine Anhänger mehr sein. Aber man kann ja jedem unliebsamen Bürger einfach dieses Mäntelchen umhängen.
 

Zerd

Well-Known Member
Angesichts der Corona-Wirtschaftskrise geriet Erdogan ganz aus dem Fokus der Medien.

Glücklicherweise ist es auf unserer kleinen Insel hier nicht so. Hier wird Erdogan bei jedem noch so passenden und unpassenden Thema angeführt und hochgejubelt, sei es nun Corona, Neoliberalismus, Rechtsextremismus oder eben auch Glausmurmeln; immer findet sich ein kleiner Lautsprecher, der ganz nebenbei an ihn erinnern muss und immer auch ein Grüppchen von Claqeuren, die das bejubelt.

Eigentlich müsste sich Erdogan sorgen, wenn er irgendwann einmal tatsächlich aus dem Radar seiner Gegner verschwinden würde, denn schließlich haben insbesondere in den letzten sechs bis acht Jahren seine Gegner weit mehr zu seiner Popularität und Macht beigetragen als seine Anhänger: so viel Irrationalität und Unmenschlichkeit lässt man einem politischen Führer auf die Dauer nur durchgehen, wenn seine Gegner und damit die Alternative noch irrationaler und unmenschlicher anmuten.

Und, ganz unter uns, was könnte unmenschlicher und irrationaler anmuten als eine ganze Weltregion, die sich mit Kind und Kegel komplett und ausschließlich dem Profit, dem Wachstum, dem Konsum und dem Hedonismus verschrieben hätte und sonst keinerlei nennenswerte Visionen mehr für die Zukunft aufzubringen scheint. Oder etwa wie der türkische Staat im letzten halben Jahrhundert vor Erdogan, als ein gewählter Ministerpräsident aufgeknüpft wurde, dreimal das Militär die Macht übernahm, in einem Drittel des Landes permanenter Ausnahmezustand herrschte, im ganzen Land fast ein Jahrzehnt Bürgerkrieg tobte und ganze Generationen junger aufstrebender Intelligenz entweder außer Landes gejagt wurden oder in Gefängnissen landeten, wenn sie nicht gleich gekillt wurden.

Als noch schlimmeres in menschlicher Sicht könnte man sich doch wirklich nur vorstellen, wenn etwa Atombomben über dicht besiedeltem Gebiet abgeworfen werden würden; oder in einem sinnlosen Verteilungskrieg 50 Millionen Menschen in den Tod geschickt werden würden; oder die Welt mit einem Waffenarsenal übersät werden würde, das jegliches Leben auf dieser Welt mehrfach auslöschen könnte; oder wenn riesige Bevölkerungsgruppen eines ganzen Kontinents vertrieben, versklavt oder gleich in industriellen Anlagen vergast werden würden.

Aber he, hoppla, ist ja alles schon geschehen. Und zwar interessanterweise genau von solchen Leuten, die heute besonders eifrig den moralischen Finger heben, um damit auf die Grausamen "weit hinten in der Türkei" zu zeigen und damit einen künstlichen Dualismus von Gut und Böse zu kutlivieren, der immer schon dazu diente, nur noch mehr Hass und Unheil und Unrecht zu rechtfertigen.

Ich finde es vor diesem Hintergrund einfach nur lächerlich, wenn sich ganz normale Menschen als Anhänger der einen Mächtigen auf dieser Welt sich an anderen Mächtigen abarbeiten. Denn wenn wir uns, nur vorübergehend und zu Versuchszwecken, einmal von unserem arroganten Individualismus und Personenkult und Elitarismus lösen, der in der Regel alle größeren Entwicklungen nur einzelnen Personen zuschreibt und den großen Rest, der dazu beigetragen hat, in die Röhre schauen lässt (The Winner takes it all!), dann sollte uns in recht kurzer Zeit klar werden, dass die meisten Feindbilder, an denen man sich heutzutage abarbeitet, im Grunde nur Platzhalter sind, einzelne Individuen, die vor allem aufgrund eines tiefer liegenden Mechanismus und Prozesses genau dorthin gebracht wurden, wo sie sich gerade befinden.

Und solange dieser Prozess und Mechanismus noch weiter wirkt, ist dieses Abarbeiten an diesen Feindbilder nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver, der vor allem den ganzen Laden noch weiter am Laufen halten soll, indem eben von den eigentlichen Ursachen abgelenkt werden soll. Das gilt für alle als Feindbilder fungierenden politischen Führer ebenso wie auch für die Feindbilder im Neoliberallismus mit den Reichen und Superreichen. Enteignet oder entmachtet man den Einen, stehen gleich mindestens fünf neue parat, sein Vermögen und seine Macht zu übernehmen. Und in den meisten Fällen ist man damit zuletzt eher vom Regen in die Traufe geraten. Nur der ganze Zirkus, der rollt mit wachsender Wucht und Verheerung immer weiter.

Im Grunde gibt es mehr als genug Menschen, die sich wünschen, dass diese ganze Irrationalität und Unmenschlichkeit endlich aufhört und die auch wirklich etwas dafür tun wollen würden. Aber was tun sie überwiegend? Sie ziehen es vor, am aus dem Wasser ragenden sichtbaren Teil des Eisberges herumzukratzen, während sich tief unter ihnen ein Vielfaches von dem, das sie da oben abkratzen, an Eis neu bildet.

Es tut mir leid für all diejenigen, die sich wieder einmal persönlich angegriffen fühlen, wenn ich auf solche Zusammenhänge hinweise, aber es ist einfach nur lästig und ermüdend, diesem jämmerlichen Schauspiel immer nur still zusehen zu müssen, ohne darauf auf die eine oder andere Weise zu reagieren.
 

sommersonne

Well-Known Member
Keiner kann behaupten das du still leidest oder duldest das der von dir heute gepriesene Erdogan von einigen Menschen anders gesehen wird als von dir.
Seine Machenschaften werden auch nicht besser wenn du erwähnst das andere türkischen Regierungen ihre Sache noch schlechter gemacht haben.
Wenn es so lästig und ermüdend ist, dann lasse es doch sein, denn du gerätst in Gefahr dich selbst an dem Thema abzuarbeiten.
 

santiago

Well-Known Member
Corona - Türkische Wirtschaftskrise - Erdogan die Ein-Mann Regierung ohne Meinungs- und Pressefreiheit mit Gefängnis ohne Prozess, dass wissen viele in der Türkei und im Ausland. Passiert sehr schnell.

So ist es wohl besser, man verbringt vorerst seinen Urlaub nicht in der Türkei, infolge der zu grossen Risiken.
Die Türkei rennt uns ja nicht davon und vielleicht sieht alles in 2-3 Jahren dort besser aus.

Wirtschaftskrise haben wir selber auch in allen EU-Staaten. Unterstützen wir doch all diese Länder in der EU.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Wie anderswo gesagt: Die Tourismusregionen sind genau die, in denen Erdogan gar nicht beliebt ist. Aus genau den von @santiago genannten Gründen. Die wissen, wie rufschädigend Erdo für ihre Branche ist. Insofern fördert man dort genau die Richtigen, wenn man dort sein Geld läßt.
 
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