Bintje
Well-Known Member
(...) waren schon immer verspottet von den Städtern. Nun wurden sie als Deutschländer auch den Ihrigen fremd, sprachen ein immer eigenartigeres, bilingual durchsetztes Türkisch. Und die werden nun von Erdogan umworben; erstens schon mal, indem er sie überhaupt besucht. Und dann, indem der sie zu einer Elite adelt, die türkische Botschafter in der Welt sind, und die zugleich türkische Art bewahren.
Und ähnlich spricht die AfD die abgehängten Hinterwäldler Neufünflands an. Die im Westen sind schon viel zu degeneriert; Ihr habt noch die gesunden Volksinstinkte bewahrt und wißt noch, wo es lang geht.
Die Analogie passt m.E. trotzdem nicht. Denn Erdoğan wendet sich ja an alle Türkeistämmigen, nicht an die ursprünglichen Emigranten, sondern auch an die zweite, dritte, teils schon vierte Generation (auch wenn die noch nicht im Wahlalter ist). Erheblicher Unterschied, was Bildung und materielle Voraussetzungen betrifft.
Er bietet ihnen inmitten changierender und bisweilen als schmerzlich und zerrissen empfundener Doppelidentitäten das Eindeutige, Einfache, Heimatbetonte. Und das machte er offensichtlich geschickter als türkische Linksnationalisten wie Deniz Baykal.
Die AfD kann im Unterschied dazu zumindest im Osten an spezifische Enttäuschungen und Kränkungen nach der Wende anknüpfen, tatsächliche oder auch nur subjektiv empfundene Traumata vieler Globalisierungsverlierer, die obendrein mit Auswirkungen des west-östlichen Lohngefälles und real vorhandener Infrastrukturmängel zu kämpfen haben, wie lückenhaften Verkehrsverbindungen im ländlichen Raum, wenigen Öffis, langsamem Internet u.v.m. Dazu kommen rassistische (Vorsicht, Modewort) Narrative und Zerrbilder aus der NS-Zeit, die es in der DDR unter dem Stichwort "Völkerfreundschaft" offiziell nicht zu geben hatte, die aber jenseits des abstrakten Begriffs im Umgang mit sog. Vertragsarbeitern auch nicht abgebaut wurden. Nicht werden sollten.
https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/ddr-propaganda-auslaender-einwanderer/komplettansicht
Nicht, dass das in westdeutschen Bundesländern nicht verbreitet war und ist, keineswegs. Aber das ethnisch Homogene, die kulturrestaurative Romantisierung, auf das die AfD und deren neu- und teils sehr altrechten Vordenker setzen, würde in der Türkei beziehungsweise deren Bevölkerung meines Erachtens so nicht funktionieren: weil es ein Vielvölkerstaat ist und viele Menschen sich dessen bewusst sind. Vielleicht habe ich ein schiefes oder zu hohes Türkeibild, mag sein, aber ich denke, dass es in der Türkei anders als in Deutschland ein stärkeres Bewusstsein für verschiedene Wurzeln gibt. Ne mutlu Türküm diyene, das ist die auf Atatürk beruhende Klammer und etwas im Kern ganz Formales. Da kann Erdoğan noch so lange von "reinem" oder vielmehr "unreinem Blut" schwafeln und die faschistische MHP streicheln..