Ansonsten können wir mit unserer heutigen Geisteshaltung nur sehr schwer nachvollziehen, was das Hirn des Mittelalters und der frühen Neuzeit so umtrieben hat. Unser kollektives Bewusstsein hat seit Ende des 18. Jahrhunderts die Aufklärung, ein paar Revolutionen und den langen Kampf um Selbstbestimmung, Individualität und Demokratie durchlaufen. Sätze wie "Ich sterbe gern für meinen Glauben im Feuer" oder "Ich gebe mein Leben für den von Gott gesandten König" übersteigen unser Fassungsvermögen, waren für einen Menschen früher Jahrhunderte keine Worthülse sondern Realität. So wie es heute für uns "Ich lebe mein Leben so, wie ich möchte und kein Papst hat mir da reinzulabern" ist. Was wir heute sind, ist das Produkt einer circa 200-jährigen gesellschaftlichen und philosophischen Entwicklung.
Eine Ahnung, wie so ein mittelalterliches Hirn getickt hat, bekommt man tatsächlich noch am ehesten, wenn man sich so manche Strömungen in der islamischen Welt anschaut. Da ist man ja wirklich noch bereit, für Allah und irgendjemand von seiner Entourage zu sterben. Ohne zu zögern. Weitab von irgendwelchen Extremen aber auch im Kleinen zu finden. Ein Fatalismus, ein völliges ausgeliefert sein an Gott und seinen Willen, dokumentiert in einem Konstrukt irgendwo zwischen Insallah, Kismet und Kader - mir fällt jetzt keine westliche Sprache ein, die in ihrem modernen Gebrauch noch eine Wendung pflegt, die dem Insallah vergleichbar wäre.
Der Punkt, an dem Ost und West auseinander gehen, ist tatsächlich so um die 1789 zu verorten. Das muss man neutral einfach mal so feststellen und wenn man begreifen will, warum es heute zwischen Ost und West Reibungspunkte aller Art gibt, muss man genau in diese Zeit zurück gehen, um zu verstehen, was da anders lief. Deshalb bin ich ja ein erklärter Gegner von einer aufoktroyierten Verwestlichung dieser Region. Man kann da einfach nicht dieselben Parameter anlegen. Kurz gesagt, der Orient muss seine "Aufklärung" mit eigenen Mitteln gebacken kriegen.