Kommt mir alles sehr bekannt vor. Die Türkei könnte umbenannt werden in DDR 2.0.
Na na na! Unser selbsternannter Moderator Blechpott schätzt solche Vergleiche zum Nachteil des Sultans nicht besonders!
Also um das mal klarzustellen. Was ich nicht schätze, ist, wenn man Erdogan vergleicht mit dem IS oder mit dem Mann mit dem kleinen Bart. Erdogan ist Islamist, aber er ist kein Kopfabschneider-Islamist. Und Erdogan ist kein Rassist. Alles Quatsch, Blödsinn, Unfug. Erdogan ist kein Nazi. Erdogan ist nur ein Faschist.
Insofern habe ich nichts gegen Vergleiche mit der DDR. Muß man ausprobieren, wo sich Parallelen ziehen lassen, und wo nicht.
Und ich muß zugeben, daß mir unsere deutsche Vergangenheit nie so gegenwärtig geworden ist wie im letzten Jahr. Sagen wir es mal so: Bis zum Ausbruch des Krieges ist das genuin Verbrecherische, das zutiefst menschenfeindliche Wesen des Nationalsozialismus nicht in Erscheinung getreten. Bis 1939 schien der Hitler-Faschismus nur das: ein weiterer Faschismus. War nicht absehbar, wozu z.B. die Nürnberger Rassengesetze einmal dienen sollten – Ich weiß nicht mehr, welcher Spaßvogel den Vergleich gezogen hat: In den Südstaaten der USA galten die doch bis in die 60er Jahre. Weiße und Schwarze durften nicht dieselben Toiletten benutzen. Nicht in dasselbe Mikrophon singen.
Und da war der Hitler-Faschismus allerdings ein populistischer, man kann fast sagen: ein eigenartig demokratisch lackierter Faschismus. Meine Generation kennt sowas ja nicht mehr; wir haben in den 80ern Faschismus nur noch kennengelernt als knallharte, brutale, eiskalte und klerikofaschistische Militärdiktaturen vor allem in Lateinamerika. In unserer Wahrnehmung ist ja: Januar 1933 Machtergreifung, dann Diktatur, am Ende Krieg und Auschwitz. Aber bis zur Diktatur war ein langer Weg. Bei der „Machtergreifung“ hatte Hitler keine Mehrheit. Aber hatten wir nicht auch einmal ein Referendum? Stimmt, Austritt aus dem Völkerbund. Und über eine Verfassungsänderung? Oh doch; nach dem Tod Hindenburgs war Hitler in Personalunion Reichskanzler und Reichspräsident geworden, mit allen Dekretvollmachten, die der Reichspräsident hatte. Und das hat er sich in einer Wahl bestätigen lassen. – Natürlich in einer Wahl, wo die „marxistischen“ Parteien, also auch die SPD, ihre Zeitungen, ihre Arbeiter- und Vorfeldorganisationen verboten waren, Medien und Presse gleichgeschaltet. Und unseren Gülen-Röhm-Putsch hatten wir auch; da sind unsere verblüffenden Parallelen, die wir zu ziehen neigen. Vielleicht ist das tatsächlich mehr die Erinnerung an die eigene Vergangenheit, die uns nicht glauben läßt an eine Gülen-Verschwörung.
Deutschland war wieder wer. Die Wirtschaft hat gebrummt, die Arbeitslosen waren von der Strasse. Deutschland war wieder souverän, die Demilitarisierung des Rheinlandes aufgehoben; Versailler „Schandvertrag“ gegenstandslos; Deutschland war international beachtet, von nicht wenigen bewundert. Gut, der „Negerjazz“, dem die Swingheinis frönten, war nicht gerne gelitten; auch das ließ sich unterlaufen. Man konnte sehr gut leben in den 30ern, ohne den Hunger, die erdrückenden Armut, die schon an Bürgerkrieg grenzenden Saal- und Straßenschlachten der späten 20er.
Ist Erdogan nun eine Lichtgestalt wie Adenauer? Konservativ-religiös, autokratisch mehr als demokratisch, aber muß auch sein, um sein Land einen großen Schritt nach vorne zu puschen? Oder eine Lichtgestalt, wie es der Mann mit dem kleinen Bart bis heute wäre, wäre er 1938 durch ein Attentat oder einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen? Vom Stil her erinnert Erdogan uns an letzteren, mit seinem beständigen Gossenjargon, der beständigen Mobilisierung, Agitierung, Nervenaufpeitschung, mit dem unversöhnlichen alle-andere-gegen-sich-Aufbringen, sich mit allen verfeinden. Es wird nicht so enden wie bei uns. Erdogan ist kein Völkermörder, er wird nicht die „Endlösung der Kurdenfrage“ betreiben. Im Gegenteil: Mit z.B. ihren eigenen, kurdischsprachigen Schulen; überhaupt mit der Anerkennung, daß sie nicht mehr diskriminiert werden als „iranisierte Bergtürken“ geht es ihnen immerhin so gut wie schon lange nicht. Er wird auch keinen großen Krieg anzetteln; ich denke, nicht mal gegen Griechenland. Was nicht ausschließt, daß er in Syrien bomben läßt, vielleicht auch einmarschieren.
Aber kann das gut enden? Wenn ein Volk verfeindet wird in 51% absolut pro und 49% absolut gegen Erdogan? Und nicht nur rhetorisch verfeindet, sondern es kommen Menschen in den Knast, es werden Existenzen ruiniert, Pensionen gestrichen, Firmen enteignet?