Also ich kann nur aus meiner iranischen Community berichten: die Leute haben wirklich getrauert.
Aber ich glaube auch, dass sich die Mehrheit von denen die ich kenne - nicht mit seinem Leben befasst hat. Hat sich denn hier jemand mit ihm befasst, bevor er getötet wurde? Oder dem Iran allgemein? (ernstgemeint und neutral, falls sich das seltsam liest)
Ja, mit Iran schon (auch, weil ein früherer Freund von mir Iraner war und es unabhängig davon ein großer Traum von mir war, irgendwann mal durch das Land zu reisen). Ich bin aber nicht wirklich up-to-date. Mit Soleimani hatte ich mich nicht weiter beschäftigt, sondern immer nur gehofft, dass das Mullah-Regime irgendwann infolge grüner Revolution, Massenprotesten usw. zusammenbrechen würde.
(...)
Vielleicht hat er für einige Menschen irgendwas dargestellt? Eine Hoffnung? Ideologie? Eine Veränderung? Vielleicht haben die nicht wirklich dem Menschen, sondern dem nachgetrauert was hätte sein können wenn..
Interessant, dass Du das anschneidest. Mir fiel nach seinem Tod auf, dass er einerseits regelrecht glorifiziert und andererseits dämonisiert wurde und wird. Beim Teheraner Regime wundert die Glorifizierung nicht. Aber ein Teil der Linken im Westen (
"Regressive Left") neigen nach meinen Wahrnehmungen ebenfalls zu verklärenden Betrachtungsweisen - sei es aus platten, grundsätzlich antiamerikanischen Ressentiments oder einem romantischen Hang zu David-gegen-Goliath-Szenarien.
Auf der anderen Seite wird Soleimani im Westen, vor allem in USA, insbesondere der Trump-Administration und in etlichen Medien als Top-Terrorist vom Schlage Bin Ladens beschrieben.
Ich denke nur: wäre das so, müsste man eigentlich weitaus häufiger von ihm gehört und gelesen haben. Nicht nur beim Eingreifen der iranischen Pasdaran in den Kampf gegen den IS im Irak. Nur wundert mich diese Darstellung im Ergebnis ebenso wenig, weil eine extralegale Tötung oder vielmehr Hinrichtung ja auch öffentlich gerechtfertigt und "ethisch" erscheinen sein soll: als vermeintlich kleinstes Übel, um viele andere zu retten.
Dass sich bei Herrn Trump noch ein primitives, nahezu archaisches und vermutlich von Evangelikalen befeuertes Rachebedürfnis dazu gesellt, lässt sich m.E. auch daran festmachen, dass er Iran vor Tagen androhte, 52 Ziele inklusive Weltkulturerbe-Stätten in Iran zu bombardieren - weil 1979, vor mehr als 40 Jahren, 52 Geiseln in der US-Botschaft in Teheran genommen worden seien. Gruselig.
Zusammengefasst denke ich nur, dass jede Seite in diesem Konflikt ihre Erzählung braucht. Ihre ganz spezifischen Legenden: eine in der Helden- und eine in der Schurken-Version, jeweils abgestimmt auf die jeweiligen Zielgruppen.
Was man - vielleicht - halbwegs neutral festhalten kann: dass Soleimani unabhängig von seinen tatsächlichen und ihm zugeschriebenen Taten und Untaten sicherlich ein begabter Offizier und offenbar auch ein sehr guter Netzwerker gewesen ist. Dass er für Teheran sehr wichtig war: keine Frage. Und natürlich brauchten sie nach seinem Tod sofort einen Nachfolger. Den haben sie mit seinem Stellvertreter Esmail Qaani so zügig ernannt, dass das der Realität in meinen Augen sehr viel näher kommt als alles andere. Jeder ist ersetzbar. Auch ein Soleimani.
Und die Wahrheit über ihn dürfte sehr viel mehr Grautöne bergen als das uns umgebende schwarz-weiße Getöse.