Was denkt Ihr gerade? (38)

EnRetard

Well-Known Member
Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind in unserer Gesellschaft tief verwurzelt. Und sie geht gar nicht, wie man zunächst meinen würde, von der Bevölkerung selbst aus, sondern vor allem von unserem achso demokratischen Rechtsstaat. Beispiel Staatsdienst und Rente.

Es gibt ca. 45 Mio Erwerbstätige in Deutschland und 1,6 Mio Beamte und Richter. Bekanntlich sind Beamte unter sehr günstigen Bedingungen privat krankenversichert, haben einen krisenfesten Job, müssen keine Rentenversicherung zahlen, erhalten zu zahlreichen Ausgaben Beihilfen, die es sonst nirgendwo mehr gibt, müssen wegen des vergleichsweise geringeren Bruttoeinkommens bei gleichem oder höherem Nettoeinkommen geringere Steuern zahlen, dürfen in vielen Fällen früher in den Ruhestand und erhalten dann eine voll steuerfinanzierte und gegenüber gesetzlich Rentenversicherten üppig zu nennende Pension.

Und es gibt nicht das geringste vernünftige Argument für diese gesetzlich festgelegte Vorzugsbehandlung von etwa jedem dreisigsten Erwerbstätigen. Aber sehr wohl eine Ursache dafür: nämlich, dass dieselben Politiker, die über Höhe von Diäten und Pensionen ebenso bestimmen wie sie auch die Rahmenbedingungen der gesetzlichen Rentenversicherung festlegen, von denselben Vorteilen wie die Beamten profitieren. Und die legen nicht das geringste Interesse an den Tag, an dem Ast zu sägen, auf dem sie selbst sitzen.

Dabei wird nun schon seit drei Jahrzehnten fast permanent über die Rente diskutiert, werden Expertenkommisionen eingesetzt, alle zukünftigen Rentner darauf vorbereitet, dass es künftig immer weniger gesetzliche Rente geben wird, und das vollständig steuerfinanzierte Pensionsprinzip bleibt dabei völlig außen vor. Es ist ein Missstand und eine Ungerechtigkeit, die jeden einzelnen Wähler und Erwerbstätigen in diesem Land betrifft und ganz sicher so lange nicht behoben wird, bis die eigentlich verfassungsmäßig garantierte Gleichbehandlung aller Bürger auch in den Ruhestandsregelungen umgesetzt wird.

Was bitte schön könnte dagegen sprechen, dass das Ruhestandsgeld eines Staatsbediensteten genauso erwirtschaftet und berechnet wird wie bei jedem anderen steuerzahlenden Erwerbstätigen?

Besonders auffällig ist diese Ungerechtigkeit dort, wo zwei Menschen im öffentlichen Dienst genau dieselbe Arbeit machen, der eine verbeamtet ist, der andere nicht (wie es mittlerweile an sehr vielen Schulen der Fall ist), und sich dann über die Jahre hinweg, wie erst kürzlich in einer Studie in NRW errechnet, ein geldwerter Vorteil von mehreren hunderttausend Euro (!) für den verbeamteten Kollegen ergibt.

Stört niemanden. Warum denn auch? Wo wir uns doch so köstlich und ausgiebig aufregen können über die paar Kröten, die uns die Flüchtlichge kosten, bevor sie dann anfangen, die steuerfinanzierte Pension eines Herrn Gauland ebenso zu finanzieren wie das Hartz4 oder die zukünftige Rente der Glatzköpfe, die sie durch deutsche Innenstädte jagen....


Ich finde deinen Beitrag überraschend einseitig.
Tatsächlich haben die Beamten einen echten Vorteil gegenüber Angestellten, das ist die im Vergleich zu Angestelltenrenten deutlich bessere Altersversorgung. Schon bei der Krankenversorgung ist die Sache nicht mehr so eindeutig. Zwar erhalten Beamte Beihilfen in Höhe von 50% der Krankheitskosten gemäß dem Leistungskatalog. Die anderen 50% müssen sie aus eigener Tasche bezahlen oder sich privat krankenversichern. Das privilegiert sie einerseits, da Privatpatienten einfacheren Zugang zu Fachärzten haben und im Krankenhaus teurere Leistungen erhalten. Andererseits gibt es keine kostenlose Familienmitversicherung. Ist Ehegatt/e/in nicht in der GKV, werden also teure Beiträge zur PKV fällig. Zudem nützen einem 30jährigen Polizisten in München, Frankfurt, Berlin oder Düsseldorf weder die Aussicht auf eine auskömmliche Pension noch die Privatbehandlung beim Arzt was, wenn er seine Miete bezahlen soll, denn die Gehälter sind bei Beamten im mittleren Dienst nicht üppig.

Es ist ja nicht so, als würden bei der Polizei die BewerberInnen Schlange stehen. Auch LehrerInnen sind in den meisten Bundesländern knapp. Eine Abschaffung der Beamtenprivilegien würde diese Knappheit verschärfen, wobei vermutlich die Einführung einer Bürgerversicherung mit Abschaffung der PKV und Beihilfe und Heranziehung der Beamten, aber auch der Einnahmen aus Kapital und Mieten nicht an den Beamten scheitert - sondern am Geschrei der richtig Reichen und der Gesundheits- und Versicherungslobby.
 

eruvaer

Well-Known Member
Es wird gemunkelt das diese Besserstellung daher kommt weil man Korruption verhindern wollte. Staatsdiener sollten es nicht nötig haben, Geschenke entgegen zu nehmen wie es in so manchem östlichen Staat üblich ist. Kann man gut finden oder auch nicht.
Ich gönne denen alles gute. Aber die Arbeitsbedingungen aller sollten sich an denen der Beamten orientieren.
Vor allem mit den Rentenaltern muss sich jemand etwas schlaueres einfallen lassen. Ein Strassenarbeiter sollte nicht mit über 60 noch diesen Job machen müssen. Das ist ein guter ehrlicher Job, den jeder braucht - er sollte entsprechend gut belohnt werden mit einem frühen Renteneintrittsalter, das denn Arbeiter nicht in die Altersrmut schickt.
Und ich im Büro bin vielleicht bei guter Führung mit an die 80 noch in der Lage den Job zu machen - was nicht heissen soll, dass das Rentenalter auf 80 angehoben werden sollte... Menschen altern unterschiedlich und Berufe verschleissen die Gesundheit unterschiedlich stark. Dem muss irgendwie entsprochen werden.
 

Zerd

Well-Known Member
Ich finde deinen Beitrag überraschend einseitig.
Was bitte schön soll einseitig daran sein, wenn jemand gerade die einseitige Bevorteilung oder Benachteiligung per Gesetz anprangert und lediglich einfordert, dass alle Erwerbstätigen (und Arbeitgeber!) gleichermaßen denselben gesetzlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich Arbeitsrecht, Sozialversicherungen und Rentenregelung unterworfen werden?
In meiner Präferenz gibt es gar keine zwei Seiten, von denen ich für eine "einseitig" Partei ergreifen könnte. Dieser Eindruck könnte höchstens dadurch entstehen, dass es mir persönlich einfacher zu realisieren scheint, dass Beamten auf ihre Privilegien verzichten anstatt allen Erwerbstätigen Beamtenprivilegien zugesprochen werden.
Alles was Du anführst, ließe sich durch entsprechende Anpassung des Grundgehalts genauso gut oder sogar besser regulieren, statt per Dekret eine Sonderbehandlung für einen ganzen Berufsstand festzulegen.
Du musst schon sehen, worum es in meinem Beitrag geht, und das ist schon im ersten Absatz ganz klar formuliert
 

Zerd

Well-Known Member
Es wird gemunkelt das diese Besserstellung daher kommt weil man Korruption verhindern wollte. Staatsdiener sollten es nicht nötig haben, Geschenke entgegen zu nehmen wie es in so manchem östlichen Staat üblich ist. Kann man gut finden oder auch nicht.

Ein schönes Argument, das man auch so übersetzen könnte: um die Vorteilnahme Einzelner durch korrupte Beamte, also Ungleichbehandlung und Unrecht zu verhindern, legen wir gleich von vornherein eine Sonderbehandlung für Beamte, also gesetzlich geregelte Ungleichbehandlung fest, die durch die gesetzliche Regelung nun einfach nur kein Unrecht mehr ist. Sorry, aber das entbehrt für mich jeglicher inneren Logik und ist darum kein vernünftiges Argument.

Außerdem geht daraus in keinster Weise hervor, wieso von zwei Mitarbeitern im öffentlichen Dienst, die genau dieselbe Arbeit leisten, dieselben Befugnisse und Freiheiten haben, der eine so viel mehr vor Korruption geschützt werden muss wie der andere.

Und vor allem: es scheint gesamtgesellschaftlich ja nicht zu funktionieren! Wenn man sich die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte ansieht, muss man eindeutig feststellen, dass es Bessergestellten in diesem Land durch alle Krisen hindurch permanent immer besser erging, während sich die Situation der nicht-so-gut Gestellten durch gekürzte Transfer- und Versicherungsleistungen, Rentenerwartungen und schlechtere Arbeitsbedingungen durch Niedriglohn und Leiharbeit immer mehr verschlechterte. In dieselbe Kerbe schlagen auch die Ergebnisse der OECD-Studien, die wiederholt festgestellt haben, dass in keiner anderen Industrienation der schulische, berufliche und wirtschaftliche Erfolg des Einzelnen so sehr von Elternhaus abhängt wie in Deutschland.

Es funktioniert einfach nicht und das ist auch nachvollziehbar, denn durch die grundlose Besserstellung einzelner wird zunächst einmal die Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit verstärkt, statt sie zu bekämpfen und sie zu verhindern. Sie wird vielmehr hoffähig gemacht und als gesellschaftliche Normalität etabliert. Ganz nebenbei verstärkt es auch noch die Bereitschaft nicht-so-gut-Gestellter, auf noch-schlechter-Gestelltere loszugehen.
 

alterali

Well-Known Member
...........Besonders auffällig ist diese Ungerechtigkeit dort, wo zwei Menschen im öffentlichen Dienst genau dieselbe Arbeit machen, der eine verbeamtet ist, der andere nicht (wie es mittlerweile an sehr vielen Schulen der Fall ist), und sich dann über die Jahre hinweg, wie erst kürzlich in einer Studie in NRW errechnet, ein geldwerter Vorteil von mehreren hunderttausend Euro (!) für den verbeamteten Kollegen ergibt...

Beamte dürfen/müssen auch nicht streiken, damit haben sie auch keinen Verdienstausfall,
obwohl der Beamtensold meist kurzfristig angepasst wird. Dies ist allerdings auch eine Forderung des DGB.
 

sommersonne

Well-Known Member
Ein schönes Argument, das man auch so übersetzen könnte: um die Vorteilnahme Einzelner durch korrupte Beamte, also Ungleichbehandlung und Unrecht zu verhindern, legen wir gleich von vornherein eine Sonderbehandlung für Beamte, also gesetzlich geregelte Ungleichbehandlung fest, die durch die gesetzliche Regelung nun einfach nur kein Unrecht mehr ist. Sorry, aber das entbehrt für mich jeglicher inneren Logik und ist darum kein vernünftiges Argument.
Ich würde dir nicht widersprechen, deinem ganzen Beitrag nicht.
Nur, das System nennt sich Kapitalismus, Ungleichbehandlung und Unrecht ergibt sich einfach daraus. Solange es keine andere Gesellschaftsordnung gibt, so lange gibt es Ungleichbehandlung.
 

EnRetard

Well-Known Member
Dieser Eindruck könnte höchstens dadurch entstehen, dass es mir persönlich einfacher zu realisieren scheint, dass Beamten auf ihre Privilegien verzichten anstatt allen Erwerbstätigen Beamtenprivilegien zugesprochen werden.
Alles was Du anführst, ließe sich durch entsprechende Anpassung des Grundgehalts genauso gut oder sogar besser regulieren, statt per Dekret eine Sonderbehandlung für einen ganzen Berufsstand festzulegen.
Du musst schon sehen, worum es in meinem Beitrag geht, und das ist schon im ersten Absatz ganz klar formuliert

Damit reduzierst du deine vielen Worte auf's Wesentliche: Die soundsovielte deutsche Neidhammellitanei: Statt Verbesserungen für alle zu fordern, lieber den (vermeintlich) privilegierten Beamten was wegnehmen. Das spart auch noch Geld, wie schön! Nach der Logik könntest du auch fordern, dass alle Arbeitnehmer auf das Niveau von Leiharbeitern runtergezogen werden, denn die Privilegien der Stammbelegschaften sind himmelschreiend ungerecht!
 

Zerd

Well-Known Member
Ich würde dir nicht widersprechen, deinem ganzen Beitrag nicht.
Nur, das System nennt sich Kapitalismus, Ungleichbehandlung und Unrecht ergibt sich einfach daraus. Solange es keine andere Gesellschaftsordnung gibt, so lange gibt es Ungleichbehandlung.

Ich weiß ja nicht, was Du unter System verstehst, aber die Staatsform wird als freiheitlich demokratischer Rechtsstaat beworben. Kapitalismus ist lediglich die Wirtschaftsform der Wahl aller zuletzt gewählten Regierungen. Aber auch die sind ans Grundgesetz gebunden, in dem es in Art. 3 Abs. 1 heisst: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Wir reden hier gerade darüber, dass es arbeitsrechtlich, sozialversicherungsrechtlich, rentenrechtlich einige gibt, die gleicher sind als andere und für die andere Regeln herrschen. Und wir haben bislang noch keinen vernünftigen Grund dafür gehört, warum das so sein muss.
 
Top