Was denkt Ihr gerade? (38)

Bintje

Well-Known Member
So wird Joseph Conrad rezensiert, auf dessen realen Erfahrungsgrundlagen sich Hannah Arendt beruft:

Conrad war ein verdammter und reueloser Rassist; zu soziopathischer Weltsicht neigend, die im Imperialismus wurzelt sowie in dem Versuch, Rechtfertigungen dafür zu erfinden und zu fabrizieren, warum Europa einen Kontinent gnadenlos ausraubte und plünderte, der von anderen Menschen bewohnt war. Conrads Herz war von solcher Finsternis, so hohl und unruhig. Etwas von ihm zu lesen bedeutete, schmerzhaft von einem Mann zu lesen, der sich in seinem Versuch, andere zu verunglimpfen entmenschlicht hat.

Diese tragische Figur zeigt, was die alte Igbo-Weisheit besagt, dass man nicht jemanden verunglimpfen kann, ohne sich selbst zu entmenschlichen. Conrads Buch „Im Herzen der Finsternis“ war ein sehr dunkles Buch, in dem ein Wortschwall ergossen und das in den Dienst des Rassismus gestellt wurde. Conrad versuchte literarisch, das Gewissen Europas von der historischen Last der Grausamkeiten gegenüber Afrikanern zu befreien.


Emmanuel Franklyne Ogbunwezeh

Wie unterschiedlich man das lesen kann, nicht? Hier eine andere Rezension:

"Conrads Roman stellt eine fundamentale Kritik an der belgischen Kolonialpolitik am Kongo dar. "Den Eingeweiden des Landes Schätze zu entreißen, das war ihr Verlangen", heißt es einmal. Und an anderer Stelle: "Diese Menschen schienen von keiner hochsinnigeren Absicht geleitet zu werden als Banditen beim Aufbrechen eines Geldschranks." Damit sind die Elfenbeinhändler gemeint, deren verbrecherische Geschäfte Conrad in der Person des Kolonialagenten Kurtz verdichtete, einer Gestalt, die fast bis zum Schluss unsichtbar bleibt und nur wie ein dunkler, langsam anwachsender Schatten durch das Buch gleitet. Ohne als Person deutlichen Umriss zu gewinnen, geht eine unheimliche Fernwirkung von ihm aus. Was sich in seinem finsteren Reich abspielt, wird nur angedeutet. Der Leser kann bestimmten Ahnungen Raum geben, ob es sich um sexuelle Orgien, sadistische Grausamkeiten, Herrschaftsgelüste oder nackte Besitzgier handelt oder um alles zugleich. Er sieht die Schrecken nicht in realer Gestalt, aber das letzte Wort, das Kurtz von sich gibt, heißt "das Grauen", im englischen Original "the horror".

Joseph Conrad schrieb später, er werde den Verdacht nicht los, "das Ziel der Schöpfung könne kein ethisches sein". Diesem Befund kommt keines seiner Bücher so nahe wie "Herz der Finsternis". Der Roman enthält über alle soziale und politische Kritik hinaus eine apokalyptische Dimension. [...]“

https://www.ndr.de/kultur/buch/Joseph-Conrad-Herz-der-Finsternis,weltliteratur184.html

Das hat Hanjo Kesting geschrieben. Der ist weiß, Jahrgang 1943 und versteht auch was von Musik.
Also kann er nur ein "Rassist" sein. *Ironie off*
 

Alubehütet

Well-Known Member
Diese Passage ("noch schließlich bei jenen, die in ihrem berechtigten Kampf gegen Rassevorstellungen aller Art die verständliche Tendenz haben, ihnen jegliche reale Erfahrungsgrundlage überhaupt abzusprechen") zielt nach meiner Lesart ganz klar auf die sog. Regressive left: Leute, die Rassismus ausschließlich für eine vertikale Angelegenheit halten, die von bösen Europäern und dem Westen insgesamt und exklusiv ersonnen wurde (Weiß -> Schwarz).
Arendt sagt: Anders, als die schlichten Gemüter redlicher Antirassisten vermeinen, gibt es sehr wohl reale Erfahrungsgrundlagen. Die zwar Rassismus nicht rechtfertigen. Sehr wohl aber sein Entstehen verständlich machen.

Und diese reale Erfahrungsgrundlage ist das Entsetzen der Buren, als sie den Schwarzen begegnet waren. Das, was der Rassismus dann seinerseits Entsetzliches anrichtete, habe dann zwar dieses ursprüngliche Entsetzen bei weitem überboten. Aber merkwürdig waren diese erstaunlich, wenn nicht erschreckend kulturlosen Schwarzen schon, irgendwie.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Der Roman enthält über alle soziale und politische Kritik hinaus eine apokalyptische Dimension.
Was in Apokalypse Now für die (auch schon wieder) amerikanische Gegenwart in Vietnam neu gelesen wird. Alleine dafür scheint sich zu lohnen, Conrad zu lesen.

Nur ist das zwar eine andere Lesart, aber keine im Widerspruch stehende. Das ist doch der Gedanke Arendts: Aus der Begegnung, Konfrontation mit schon eher dämonischen, vermeintlichen Quasi-Halbmenschen resultiert, daß die Kolonialisten selber entmenschlichen.
 

Bintje

Well-Known Member
Arendt sagt: Anders, als die schlichten Gemüter redlicher Antirassisten vermeinen, gibt es sehr wohl reale Erfahrungsgrundlagen. Die zwar Rassismus nicht rechtfertigen. Sehr wohl aber sein Entstehen verständlich machen.

Und diese reale Erfahrungsgrundlage ist das Entsetzen der Buren, als sie den Schwarzen begegnet waren. Das, was der Rassismus dann seinerseits Entsetzliches anrichtete, habe dann zwar dieses ursprüngliche Entsetzen bei weitem überboten. Aber merkwürdig waren diese erstaunlich, wenn nicht erschreckend kulturlosen Schwarzen schon, irgendwie.

Na ja, es ist auch irgendwie merkwürdig, wenn Diebe von Passanten einfach halb oder ganz totgeschlagen oder in Säcke gesteckt und auf dem Meer versenkt werden (Ghana, 20. Jahrhundert).
Wenn Arbeitsmigranten aus einem benachbarten Staat im Zuge ausgedehnter Pogrome in einen Stapel von Autoreifen gezwängt, mit Benzin übergossen und angezündet werden (Nigeria, 20. Jahrhundert).
Wenn Hutu auf Tutsi losgehen und sie massakrieren (Ruanda, 20. Jahrhundert).
Wenn Serben und Kroaten ... ach nein, anders, ganz anders, das war ja das zivilisierte Europa, wo so was gar nicht passieren kann. Auch 20. Jahrhundert. Aber weit nach Arendt. Ja, alles merkwürdig!
 

Alubehütet

Well-Known Member
Linke sind manchmal seltsam. Die Junge Welt hat einen Artikel hinter einer Paywall. Das hindert den taz-Aushilfshausmeister nicht, ihn zu klauen. Aus marxistischer Sicht – Er meint, gut, teilweise habe Arendt die subjektive Sicht der Buren beschrieben; oft genug aber auch sich mit dieser identifiziert.
Liebe @Bintje, ich habe noch mal Kernpassagen dieser Analyse überflogen, und sehe noch nicht, was ihr widerspricht. Werde ich selber mal in die Bibliothek gehen müssen, komme ich diese Woche nicht zu :( Den Verweis auf Nolte finde ich interessant. Gerade auch, weil der Autor betont, daß Arendt weit darüber hinausgeht und die Selbst-Entmenschlichung des Rassismus betont. Als Preis, den die Faschisten zu zahlen bereit gewesen wären.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Habe ja selber schon erwähnt, spätestens seitdem ich in Flüchtlingsheimen sah, wie „Negermamas“ ihre Blagen wegzogen von „Zigeunerkindern“, denen sie sich unbefangen nähern wollten – Aber mit denen spielt man nicht!; seitdem Roma einen Schwarzen zusammengeschlagen hatten, weil er ihre Tochter geschwängert hatte (und den schwarzen Säugling zu zeigen hatten sie sich geschämt, der Arme), bin ich, was nicht-weissen Rassismus angeht, weitgehend desillusioniert. Klar, gibt es.

Wobei das Römische und das Osmanische Reich durchaus Gegenbeispiele sind. Wenn der Apostel schreibt

Gal 3,26-28: 26 Denn ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus. 27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28 Es gibt nicht mehr Juden noch Griechen, nicht mehr Sklaven noch Freien, nicht mehr männlich noch weiblich; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.
dann scheint er eine Unterscheidung nach Hautfarbe nicht zu kennen.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Ich google gerade Reflections on Little Rock hinterher. Tut mir leid, aber das läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Politische Gleichberechtigung der Schwarzen ist sie unbedingt für. Aber daß schwarze Kinder gemeinsam mit weißen zur Schule gehen sollen dürfen, das tut dann doch nicht Not.
 

Berfin1980

Well-Known Member
Ich las mal einen Text in dem Hannah Arendt dafür plädierte die Rassentrennung an Schulen in den USA beizubehalten, Trump hätte da sicher eine Freundin?

Hannah Arendts`s Berichte zum Eichmann Prozess liegen mir auch vor. Sie ist einfach eine Jüdin die Glück hatte, einen Antisemiten und Rassisten an ihrer Seite hatte, dessen Ideologie übernahm und sich keine Freunde schuf, damit.

Damit ist alles gesagt zu der Dame meinerseits....Ende!
 
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