Was denkt Ihr gerade? (38)

Zerd

Well-Known Member
Hier wieder ein lesenswerter Artikel, in dem ganz schön zusammengefasst wird, wie unser Wirtschaftssystem im Großen und Ganzen funktioniert

Wie ihr wisst, ist vor ein paar Tagen ein Unternehmen aus dem Dax geflogen, das vor einigen Jahren eine tolle Idee und große Wachstumsraten hatte und bei dem irgendwann einfach 1,9 Millarden in der Kasse gefehlt haben. Nach denen sucht heutzutage, wo gerade wieder wegen Corona Billionen umverteilt werden, wohl kaum noch einer.

Wie dem auch sei, nun wurde also bekannt gegeben, welches Unternehmen an Wirecards Stelle in den Dax rücken soll und darum geht es in dem Artikel. Eckdaten des Unternehmens: 2011 gegründet, Börsengang 2017, seitdem eine Vervierfachung des Börsenwerts und bis heute noch keinen Gewinn erwirtschaftet. Dafür aber ständig gewachsen auf derzeit 25000 Mitarbeiter weltweit.

Lasst uns das mal kurz übersetzen: wer also 2017 mal gerade sagen wir eine Million in der Portokasse hatte, die er in eine zwar riskante, aber möglicherweise doch profitable Aktie investieren konnte, der darf sich heute, also drei Jahre später, über 4 Millionen Euro freuen. Idealerweise musste er dafür nur eine kurze Mail schreiben oder fünf Mausklicks tätigen. Den Rest erledigte das seit einigen Jahrzehnten unfehlbare Prinzip: viel geld zieht immer noch mehr Geld an!

Warum wächst aber der Aktienkurs eines Unternehmens, das noch gar keinen Gewinn erwirtschaftet? Das ist mittlerweile Gang und Gebe bei fast jedem Unternehmen der New Economy. Allen voran war es schon bei Google, Amazon und Facebook so, dass jahrelang Verluste eingefahren wurden, während der Aktienkurs dabei durch die Decke ging. Es sind einfach Investitionen in die Zukunft. Und das funktioniert derzeit so gut, dass man gerne bereit ist, in geich 50 riskante Geschäfte jeweils eine Million zu investieren; wenn nur einige wenige davon ihren Weg machen, sei es nun zu Gewinn oder auch nur zu einem ohne irgendwelche entsprechenden Zahlen durch die Decke gehenden Aktienkurs, dann lohnt sich das schon. Einzige Voraussetzung: eine gut gefüllte Portokasse. Und wenn der Börsenwert dann irgendwann mal groß genug ist (Stichwort: systemrelevant), dann gibt es ohnehin überhaupt kein Risiko mehr, denn in dem Fall werden Verluste dann in der Regel vergesellschaftet, während alle Gewinn schön privat bleiben und in die Portokasse zurückwandern.

Und was bedeutet eigentlich "Investition in die Zukunft"? Ganz einfach: hier werden mögliche Gewinne in der Zukunft heute schon verteilt, und zwar an die, die eben genügend in ihrer Portokasse haben. Das bedeutet, dass der Ottonormalbürger von heute, dessen Portokasse nicht so prall gefüllt ist, ganz gleich, wie gut sich die Wirtschaft in Zukunft entwickeln sollte, in die Röhre schauen und nicht oder kaum etwas davon haben wird, weil die erwirtschafteten Gewinn ja schon vor Jahren und Jahrzehnten verteilt wurden (während, zur Erinnerung, die Verluste in dieser Zeit so ziemlich alle vergesellschaftet, also von ihm und seinesgleichen bezahlt wurden).

Weiter geht es damit, wie dieses Unternehmen einmal Gewinn erwirtschaften soll, auch darauf enthält der Artikel einige Hinweise.Lasst uns mal großzügig sein und uns annehmen, dass es sich bei den Imbißbudenbesitzern, den Betreibern von kleineren Lieferdiensten, den Kurieren und den Kunden überwiegend um Ottonormalbürger mit nur wenig Geld in der Portokasse handelt. Und genau auf deren Kosten soll dieses Dax-Unternehmen irgendwann einmal einmal Gewinn abwerfen. So steht es im Artikel, entweder gibt der Imbußbudenbetreiber einen größeren Anteil seiner Einnahmen ab, oder der Käufer zahlt mehr für seine Lieferung, auf jeden Fall müssen die kleineren Dienste pleite gehen oder aufgekauft werden und die armen Kuriere dürfen für immer weniger Geld immer mehr leisten.

Also Umverteilung von unten nach oben par excellence: jeder beteiligte Ottonormalbürger muss etwas zusätzlich leisten oder abgeben, damit unser Großinvestor, der schon ohne Gewinn aus seiner Million vier Millionen gemacht hat (steuerfrei, wohlbemerkt) in Zukunft auch noch vierzig Millionen daraus machen kann.

Aber damit nicht genug, es geht noch weiter. Wir erfahren im Artikel nämlich, dass gerade dieses Unternehmen sein Deutschlandgeschäft bereits verkauft hat und vor allem in Asien, im nahen und mittleren Osten und in Afrika expandiert. Auch in Südamerika soll ein großes Geschäft warten. Das sind überwiegend Länder der zweiten und dritten Welt, in denen ein Großteil der Bevölkerung an oder unterhalb der Armutsgrenze lebt. Wer bitteschön lässt sich denn da das Essen nach Hause bringen? Ich meine, bei uns kann sich das wohl jeder sparsame HartzIV-Empfänger ein bis zweimal im Monat leisten, einen Lieferdienst zu beauftragen, aber in den ärmeren Ländern? Dort werden es bevorzugt die Privilegierten sein, die diesen Dienst in Anspruch nehmen und dafür auch gerne den einen oder anderen Dollar zusätzlich dafür zahlen. Und wo werden wohl diese Privilegierten jener Länder vorzugsweise diese zusätzlichen Dollar herbekommen? Sehr vermutlich, indem sie die Ärmeren jenes Landes noch etwas mehr bluten lassen. Und das Beste: der Gewinn, der sich dann letzten Endes vielleicht ergeben könnte, bleibt ja nicht einmal in diesem Land, sondern wandert, vermutlich auf dem Umweg über einige Steueroasen, wieder in die Heimat und damit in die ohnehin schon prall und praller gefüllten Portokassen. Wie gehabt: viel Geld zieht immer nur noch mehr Geld an!

Und damit auch global eine perfekte Umverteilung von unten nach oben, Kolonialismus mit den Mitteln des 21. Jhds.

Zur Erinnerung: das ist das Wirtschaftssystem, zu dem alle etablierten Parteien dieses Landes uneingeschränkt stehen, zumindest habe ich selbt von den Linken und der AfD noch keinen Hauch einer Idee eines Konzeptes vernommen, wie dieser stete Kreislauf durchbrochen werden könnte. Also: weit über 95% der Wähler in diesem Land sprechen sich bei Wahlen für ein Wirtschaftssystem aus, das zwangsläufig ihren eigenen Anteil am gesamtgesellschaftlich erwirtschafteten Gewinn verringert und die Ausbeutung der wirtschaftlich schwächeren (zu denen im eigenen Land zumindest auch sie selbst gehören) fördert. Herzlichen Glückwunsch!
 

alterali

Well-Known Member
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Zur Erinnerung: das ist das Wirtschaftssystem, zu dem alle etablierten Parteien dieses Landes uneingeschränkt stehen, zumindest habe ich selbt von den Linken und der AfD noch keinen Hauch einer Idee eines Konzeptes vernommen, wie dieser stete Kreislauf durchbrochen werden könnte. .!
Die Linken haben doch die Vermögenssteuer.
Dem Wählers Schuld? Ne doch nicht.
Und dann kommen doch die Kapitalisten immer mit der Globolierung.
 

Zerd

Well-Known Member
Von "Schuld" würde ich nicht reden, eher von Verantwortung oder Fehler: es ist nämlich eindeutig ein Fehler, gegen seine eigenen Interessen und Ziele zu wählen. Der vermögende Egoist und Sozialdarwinist macht dagegen alles richtig, er handelt nach seinen Interessen und Zielen und füllt sich die Taschen dabei. Das kann man ihm doch nicht ernsthaft vorwerfen. Ermöglichen tun es ihm aber die Wähler und ihre politischen Vertreter.
 

Burebista

Well-Known Member
Je mehr alte byzantinische Kirchen von Museen zu Moscheen umgewandelt werden, wird die Türkei als Feind in Osteuropa angesehen. Aber das spielt für die neuen türkischen Machthabern keine Rolle. Die wollen als Feinde angesehen werden.
 

Zerd

Well-Known Member
Das kann man so oder auch richtig sehen: ein halbes Jahrhundert lang wollte die Türkei alles andere als ein Feind Europas sein. Als die osteuropäischen Staaten noch über 2 Jahrzehnte den Ostblock bildeten, war die Türkei schon assoziiertes Mitglied der EWG und erfüllte dieser ein halbes Jahrhundert lang so ziemlich jeden Wunsch. Aber irgendwie blieb sie immer der Feind, der nie dazugehören durfte. Zuletzt hat man ihr 62 (!) Bedingungen für die Mitgliedschaft gestellt, von denen sie 57 erfüllt hatte und dennoch hieß es draußen bleiben. Gerade die Osteropäischen Staaten, von denen einige bei ihrem Beitritt noch nicht einmal die Hälfte dieser Bedingungen erfüllen mussten, sollten vorsichtig sein mit allzu vorschnellen Urteilen. Oder vielleicht sind sie gerade deshalb so vorlaut, weil sie ganz genau wissen, dass mit ihnen ganz anders umgegangen wurde als mit der Türkei.

Und wenn nun einmal die Religion offensichtlich der Hauptgrund für die Feindschaft ist, warum soll man dann irgendwann nicht genau den Vorstellungen entsprechen, nach denen man schon ein halbes Jahrhundert behandelt wurde.

Sorry Leute, ich halte wirklich nicht viel von Erdogan, aber was seine Politik gegenüber diesem bornierten selbstgefälligen Westen angeht, würde ich mir sogar eine noch konsequentere Vorgehensweise wünschen. Das macht er richtig gut, wie er Europa immer wieder den Spiegel vorhält und eine lange Nase zeigt: seht her, wir können das auch! Trägt zwar nicht zu Frieden und Völkerverständigung bei, aber daran hat Europa, wenn es um Nichteuropäer und Nichtchristen geht, ohnehin kein Interesse.
 

Zerd

Well-Known Member
Was würdet ihr von dem Satz halten: Fritz hat eine blaue Nase, denn Julia hat sie ihm grün angemalt?

Heute fiel ein ganz ähnlicher Satz in einem heute-express-Filmbeitrag: als Julia Nawolny heute die Charite verlässt, hat sie Gewissheit: die Vergiftung ihres Mannes ist sehr wahrscheinlich.

Gewissheit verhält sich zu sehr wahrscheinlich in etwa wie blau zu grün. Wenn man nur ein klein wenig den Kopf einschaltet beim Hören und Lesen von Nachrichten, ist es gar nicht so schwer zu erkennen, ob da gerade von einem Ereignis berichtet oder nur unter diesem Vorwand etwas suggeriert werden soll.

Das soll jetzt nicht bedeuten, dass Nawolny nicht vergiftet wurde, denn ausgeschlossen konnte es ganz offensichtlich auch nicht werden. Aber es zeigt, wie verbreitet es ist unter den Journalisten, ein X für U auszugeben, wenn das gerade besser passt. Achtet mal darauf: in fast jedem aktuellen Artikel über Russland, Türkei oder China lassen sich solche Stilblüten entdecken.
 

Zerd

Well-Known Member
Oder vielleicht sind sie auch nur deshalb so gelassen, weil die Unschuldsvermutung gilt, bis die Schuld nachgewiesen wurde - nach wie vor!

Und in Alubehütets Beitrag wieder dasselbe Bild: in der Überschrift ist von einer Gewissheit die Rede und im dazu verlinkten Artikel nur von einer Möglichkeit!

Diese Denke hat zur Zeit wieder Hochkonjunktur in allen Gesellschaftsbereichen hier in Deutschland: die Russen müssen Nawalny vergiftet haben, weil sie eben so mit Oppositionellen umzugehen pflegen und Türken und Juden sind sowieso an allem Schuld, weil sie es immer schon waren.

Menschen mit so einer Denkweise bekommen genau die Führer, die sie verdienen, nämlich solche, die diese Tricks am besten beherrschen. Herzlichen Glückwunsch!
 
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