Einst hieß es:
Wir sind die Herrenrasse.
Wir haben die besten Gene.
Wir brauchen Land zum Leben.
Wenn dabei andere Völker zugrunde gehen
und auch unser Volk so manches Opfer bringen muss,
dann muss das eben so sein.
Heute heißt es:
Wir sind das Unternehmen.
Wir haben die besten Produkte.
Wir brauchen den Profit.
Wenn dabei einige Konkurrenten zugrunde gehen
und auch die eigene Belegschaft einige Opfer bringen muss,
dann muss das eben so sein.
Von der Haltung, der Form, der Denke her sind das fast identische Aussagen. Nur dass es heutzutage politisch korrekt ist, bei der ersten igittigitt auszurufen und das Gesicht zu verziehen, während man bei der zweiten sofort glänzende Augen und Lust auf Shopping, den nächsten Kurzurlaub und das nächste Überraschungspaket von Amorelie bekommt. Nicht zu vergessen das starke Bedürfnis nach viel viel Klopapier.
Gestern abend lief auf zdfinfo wieder einmal eine Doku über Wohnraum- und Mietpreisentwicklung in Großstädtem, wo einerseits zwar in ein zwei Jahrzehnten zwei Drittel aller Menschen leben werden sollen, andererseits aber heute schon ein Normalverdiener kaum noch bezahlbaren Wohnraum findet.
Übrigens scheint bezahlbarer Wohnraum inzwischen auch kein politisch korrekter Begriff mehr zu sein, in der Doku sprachen sie überwiegend von "leistbarem Wohnraum", was immer das auch heißen soll. Ich denke bei solch neuartigen Wortschöpfungen inzwischen nur noch reflexartig daran, welch unangenehmer Umstand wohl diesmal wieder politisch korrekt umschrieben und relativiert werden soll. Und hier scheint es eindeutig zu sein; es geht um nichts anderes als den unsäglichen Mietwucher, der, tatsächlich beim Namen genannt, eigentlich sogar verboten ist, aber sich durch zahlreiche legale Schlupflöcher und politisch korrekte Wortschöpfungen ungehindert ausbreiten und sein Unwesen treiben darf.
In der Doku gab es eine wunderbare Szene, die mir so bald wohl nicht aus dem Kopf gehen wird. Und zwar wurde kurz vorher von einer neuen großen Wohnanlage in London erzählt, wo das billigste Apartment noch über 50 Millionen Pfund kosten würde. Später zeigten sie in Großaufnahme eine Obdachlose, die in gebückter Haltung und einer grellblauen improvisierten Regenjacke einen Einkaufswagen mit ihrem ebenfalls grellbunten Hab und Gut auf einem Gehweg etwas abwesend wirkend vor sich herschob. Dann zoomte die Kamera heraus und man erkannte allmählich, dass die Frau gerade vor der besagten riesigen grauschwarzen Wohnanlage außerhalb eines unüberwindbar wirkenden grauschwarzen Zauns drumherum ganz alleine einen grauen Gehweg entlang einer unbefahrenen grauen Straße entlang ging und dabei natürlich während des Zoomvorgangs zu einem immer kleineren bunten Punkt inmitten dieses immer mehr alles einnehmenden Graus wurde.
Ich weiß nicht mehr, ob und was der Sprecher dabei gerade erzählte, aber mich brüllte dieses Bild geradezu an, dass hier etwas unmöglich zusammenpasst und unweigerlich entweder das Grau oder dieser bunte Fleck ein für alle Mal verschwinden muss. Dass es dafür einfach keine politisch korrekte Wortschöpfung geben kann und darf.
Über München haben sie auch erzählt, dass die Stadt wie ein Magnet die Menschen anziehen würde, die üblichen qm-Preise bei Mietwohnungen inzwischen 15 bis 25 Euro betrügen und der aktuelle Leerstand gerade einmal 0,2% wäre. Beim Leerstand musste ich an den Londoner Makler denken, der einige Minuten vorher durch eine mehrere hundert qm große Luxiswohnung in Westminster führte (11,5 Mio Pfund), die einem britschen Paar gehört, das überwiegend in Südfrankreich lebt und in mehreren Städten rund um den Globus solche Wohnungen hätte, die sie lediglich ein paar Tage im Jahr bewohnten. Diese Wohnungen werden natürlich nicht zum Leerstand mitgezählt - sie sind ja bewohnt.
Übrigens kam gestern auch meine jährliche Renteninformation an, in der steht, dass der Durchschnittsverdienst aller Versicherten zur Zeit 40.551 EUR beträgt. Kurz mal nachrechnen: ein Drittel davon ab für Steuern und Sozialabgaben, ein weiteres Drittel für die Miete und, wenn wir den Gürtel enger schnallen und einige Opfer bringen (siehe ganz oben!), ein Zehntel für die übrigen Lebenshaltungskosten. Den Rest spart er sich auf für ein Apartment am Hyde-Park; in spätestens 5.000 Jahren ist es dann soweit!
So lange wird es ungefähr wohl noch dauern, bis wir die meisten der ökologischen, ökonomischen, militärischen und moralischen Sünden und Versäumnisse allein der letzten hundert Jahre wieder gut gemacht haben - wenn wir heute anfangen würden!