AW: Was ich Dir noch sagen wollte
Ohne Worte.
Nun bist du also weg. Und ich möchte dir erzählen, wie es mir ergangen ist ohne dich. Möchte meine Geschichte mit dir teilen. Dich weithin an meinem Leben teilhaben lassen. Vielleicht sollte ich dich anrufen...
Ich könnte dir erzählen, dass es mit meinem Studium voran geht. Dass ich mich im neuen Job gut eingefunden habe.
Ich könnte dir von meinen Geldsorgen berichten. Oder von dem Urlaub, den ich dieses Jahr nicht nehmen werde. Dass ich stattdessen beruflich in die Türkei gehe.
Vielleicht erzähle ich dir lieber nicht von dem jungen Mann, mit dem ich mir schreibe. Oder dass ich in ein Sportstudio gehe und mein Körper sich wieder zu formen beginnt. Stattdessen könnte ich dir erzählen, dass meine Haut wieder besser geworden ist. Ich hatte ja vermutet, es sei der Stress.
Sicherlich sollte ich auch erwähnen, wie sehr du mir fehlst.
Dass ich es noch immer nicht übers Herz gebracht habe, dir deine restlichen Sachen zu schicken. Sie liegen gut zusammengelegt und gebügelt im Schlafzimmer. Das erste was ich am Morgen sehe. Das letzte, bevor ich abends das Licht ausschalte. Noch ist der Moment nicht gekommen, dass ich dir das Paket schicke. Sollte ich dich vorwarnen, dass ich einen Spritzer meines Parfums, das du so liebst, drauf gesprüht habe?
Ich könnte auch erzählen, dass ich ein Buch gekauft habe, in türkischer Sprache. Weil ich der Meinung bin, du solltest es gelesen haben. Und wenn ich es unseren Kindern niemals vorlesen werde, so solltest du es deinen Kindern später nicht vorenthalten. Du sagtest doch immer, dass du hoffst ich werde die Mutter deiner Kinder sein, weil deine Kinder dann ein reines Herz haben würden. Mit diesem Buch bin ich groß geworden.
Ich sollte dir auch sagen, dass ich mir Sorgen um dich mache. Wenn nicht ich, wer sonst passt denn auf dich auf?
Und sicherlich würde ich dir erzählen, dass ich auf der Suche nach einer neuen Zukunft bin. Meine alte Zukunft hast du mit dir genommen. Sie wurde nicht alt. Und nun sitze ich da und bastel in Gedanken an einer neuen Zukunft. Sollte ich verschweigen, dass du immer wieder darin auftauchst? Dass ich dich einfach nicht rauskriege aus meiner Zukunft. Mal bist du Protagonist, mal nur Nebendarsteller. Aber ganz fehlen tust du nie. Das müsste ich wohl gestehen.
Wenigstens könnte ich dir erzählen, dass ich den Ring nun endlich abgelegt habe. Und dass meine Freundinnen mir alle ein Foto mitgebracht haben. Sie ersetzen nun dein Gesicht in allen Ecken der Wohnung.
Aber vielleicht sollte ich dir lieber etwas Positives erzählen. Dass das Wetter langsam besser wird. Und ich bereits die ersten Frühlingsblumen gekauft habe. Auch die Oster-Deko, habe ich schon hervor gekramt.
Ich könnte dir auch von meinen neuen Vorsätzen erzählen. Dass ich jeden Abend früh schlafen gehe und erst um 06:30 Uhr aufstehe. Arbeiten tue ich nun bis 19 Uhr. Es gibt keinen Grund mehr, früher nachhause zu kommen.
Auch sollte ich dir erzählen, dass ich jetzt auf meine Ernährung achte. Ich koche fast jeden Tag. Manchmal schmeckt es sogar.
Ich könnte dir davon berichten, wie ich mich gerade nur auf mich selbst konzentriere. Dass ich mich dadurch manchmal ein Gefühl großen Glücks überkommt.
Ich könnte dir erzählen, dass es mir gut geht. Oder aber, dass ich mich frage, warum ich mein Leben nicht schon vorher in den Griff bekommen habe. Wenn ich mein Leben im Griff gehabt hätte, vielleicht hätten wir unsere Liebe dann auch in den Griff bekommen.
Und ja, ich weiß, dass du genau das hören wollen würdest: ich könnte dir auch erzählen, dass ich auf Wohnungssuche bin. Deine Worte habe ich nicht vergessen. Blöd ist der, der ein Leben lang Miete zahlt. Gerne würde ich dir die Objekte meiner Begierde schicken, damit du mir deine Meinung sagst. Ja, es fällt mir noch immer schwer, ohne dich eine Entscheidung zu treffen. Nur dass du nicht mehr da bist, um meine Entscheidungen für mich zu treffen.
Und so müsste ich dir auch sagen, dass ich zwar lauter Vorsätze habe, aber wie gelähmt da sitze und überlege, was du dazu sagen würdest. Aber dann denke ich mir, wenn es um eine Wohnung gehst, würdest du immer deinen Segen geben. Deswegen werde ich einfach kaufen. Ich würde dir gerne erzählen, dass ich guter Dinge bin.
Ich würde dir wohl nicht erzählen, dass ich schon zweimal ausgegangen bin. Dass ich versucht habe Spaß zu haben. Weil ich es meinen Freundinnen versprochen habe.
Definitiv würde ich dir nicht sagen, dass die einzigen Typen, die mich dort angesprochen haben, ein Türke aus Istanbul und ein Albaner waren. Du würdest zu recht wütend werden, wenn ich dir das erzählte. Auch wenn ich dir wahrheitsgemäß beteuern würde, dass du für mich der einzige türkische Albaner bist und ich diese Gespräche eher als Zeichen von Oben gesehen habe, als als spaßige Ablenkung.
Auch dass das Paket, das du mir geschickt hast, nicht angekommen ist, sehe ich als Zeichen. Das würde ich dir sagen. Und ich würde dich gern fragen, ob du nicht auch erkennst, dass irgendetwas wohl nicht will, dass wir endgültig abschließen.
Es gibt so viel was ich dir erzählen könnte.
Dann ruf ich dich an. Du nimmst ab. Und ich sage….nichts. Ich höre deine Stimme und die Gefühle überwältigen mich. Alles was ich dir erzählen könnte erscheint unwichtig. Alles ist leer in mir. Ich sage nichts. Du wartest geduldig. Ich beiße mir auf die Lippe. Kneife die Augen zusammen. Ich möchte sprechen, aber alles ist weg. Schweigen, so lange bis ich platze und mein Schluchzen das Schweigen bricht. Einen Moment hältst du inne. Dann sagst du „Anladim Bebisim. Anladim.“
Dann fang ich an zu lachen. Und auch du fängst an zu lachen. Wir lachen gemeinsam. Tränen der Verzweiflung mischen sich mit Tränen des Glücks. Wir lachen noch einen weiteren gemeinsamen Augenblick. Dann bedanke und verabschiede ich mich. Ich lege auf mit dem Gefühl, das beste Gespräch meines Lebens geführt zu haben. Mit dem Gefühl, wortlos verstanden worden zu sein.