Was ich Dir noch sagen wollte

Aylin2009

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AW: Was ich Dir noch sagen wollte

Das erste Mal fragtest Du mich in unserem ersten Urlaub. Wir saßen auf der Dachterrasse im Hause Deines Vaters. Ein Mehrfamilienhaus in einer kleinen, hügeligen Straße in Bayrampasa. Irgendwann wird dieses Haus Dir gehören. Wir saßen auf der Schaukel und genossen den Blick über die Dächer Istanbuls.

Ich war völlig betäubt von den vielen Eindrücken. Das erste Mal in diesem Land. Deine große Familie. Diese überdimensionale Stadt. Die vielen Menschen. Es war ein langer, anstrengender Tag. So laut. Dein Vater hatte sich ins Zeug gelegt um mir die Schönheit Deiner Stadt zu zeigen.
So saßen wir nun auf diesem Dach, erschöpft, und tranken Tee. Mitten in der Nacht. Und Du erzähltest mir Geschichten aus deiner Kindheit. Wir lachten viel an diesem Abend. Und auch ich fing an zu erzählen. Betäubt von den ganzen Eindrücken, erzählte ich Dir von meiner Kindheit. Von meiner Familie. Und während ich so erzählte und du mein Gesicht studiertest, fielen die Worte plötzlich und unverhofft. Und ich wusste, Du hattest gar nicht zugehört, meine Worte waren banal. Nebensächlich.

„Benimle evlenir misin?“.

Ich sprach zu diesem Zeitpunkt noch gar kein türkisch. Und dennoch verriet ein Blick in Dein verletzliches, glücküberströmtes Gesicht, was Du mir sagen wolltest. Ich lehnte mich an Deine Schulter und fuhr mit meiner Geschichte fort. Unendlich glücklich. Ich wollte den Moment nicht zerstören. Es war perfekt. Es war genauso, wie ich mir diesen Moment immer gewünscht habe. Nichts hat gefehlt. Alles war perfekt. So saßen wir aneinander gekuschelt die ganze Nacht dort und unterhielten uns. Bis der Muezzin zum Morgengebet rief. Es war zu früh. Wir kannten uns gerade 4 Monate.

Heute frage ich mich manchmal, ob es ein Fehler war, nicht ja gesagt zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir doch alles. Vielleicht hätte ich Deiner verrückten Spontaneität folgen sollen. Mich fallen lassen. Unvernünftig sein.
 

Aylin2009

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AW: Was ich Dir noch sagen wollte

Das zweite Mal war mein Geburtstag. Du warst bei mir. Hast mich mit Küssen aus dem Schlaf geholt. Ich öffnete meine Augen, sah dein strahlendes Lächeln und wusste es wird ein guter Tag.

Du warst bei mir. Wir waren noch Schlaftrunken. Ungewaschen. Vertraut. Du hast mir zum Geburtstag gratuliert. Und dann sprangst Du auf, nervös wie ein kleiner Junge, und wühltest etwas aus einer Schublade. Ein Schmuckkästchen. Neugierig öffnete ich es und was ich sah, übertraf all meine Erwartungen. Es war schlichtes Weißgold. In der Mitte ein mittelgroßer Stein. Von diesem Stein ging das Gestell ab, wie zwei Engelsflügel auf beiden Seiten. Ich war überwältigt von der Schlichtheit und gleichzeitigen Einzigartigkeit. Ich war überwältigt davon, wie Du meinen Geschmack getroffen hattest. Wo wir doch in allen anderen Dingen unterschiedlich tickten. Du nahmst den Ring aus dem Kästchen und stecktest ihn mir um. Er passte. Du sahst mir in die Augen, mit einem Strahlen im Gesicht.

„Tu veux m’epouser, Bebisim?“

Zu dem Zeitpunkt waren wir ein halbes Jahr zusammen. Ich nahm Dich in den Arm. Ich sah Dir in die Augen und sagte „warte noch. Der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Wir müssen erst mal sehen, wo und wie wir leben werden. Bitte warte noch“. Du sagtest mir, Du würdest warten. Solange wie ich es möchte. Dann küssten wir uns. Es wurde ein guter Tag.

Wie oft frage ich mich, ob es ein Fehler gewesen ist, an diesem Tag nicht ja gesagt zu haben. Zu diesem Zeitpunkt waren wir glücklich. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch Hoffnung und Kraft. Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch bereit gewesen, Opfer zu bringen. Hätte ich mich fallen lassen sollen? Unvernünftig sein?
 

Aylin2009

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Das dritte Mal war an einem warmen Tag, Ende September. In Berlin. Die Sonne strahlte. Doch wir Strahlten nicht. Wir waren entkräftet von der gemeinsamen Zeit. Entkräftet von der Arbeitssuche. Von den Geldsorgen. Entkräftet von dem Versuch unsere Träume zu erfüllen. Desillusioniert.

Du holtest mich von der Arbeit ab. Ich stieg in Dein Auto und sah in Dein kühles, bleiches Gesicht. Die tiefen Augenränder. Ich schenkte Dir ein Mut machendes Lächeln. Ein Lächeln für das auch ich zu diesem Zeitpunkt keine Kraft mehr hatte. Du hast das Lächeln nicht erwidert. Du sahst mich mit versteinertem Blick an und sagtest mir, dass Du Deutschland verlassen wirst. Dass Du hier nicht leben kannst. Dass Du es versucht hast, aber das hier nicht Dein Leben sei. Dass du Dich allein fühlst. Deine Familie vermisst. Dass es schwerer war, als du geglaubt hattest. Dass Du arbeiten willst. Geld verdienen. Um uns unsere Träume zu verwirklichen. Du sagtest mir, dass Du das jetzt tun musst. Dass es für Dich keinen anderen Weg gäbe. Dann nahmst Du meine Hand und brachst in Tränen aus. Du konntest kaum sprechen, doch die Worte kamen klar und deutlich bei mir an.

„Heirate mich. Komm mit mir. Du wirst dort einen Job finden. Du bist stärker als ich. Ich weiß, dass es dir viel leichter fallen wird. Und solange du nicht arbeitest, werde ich für dich sorgen. Ich werde uns eine Wohnung kaufen. Und du darfst sie einrichten. Wir können unsere Möbel auch mitnehmen. Wenn du Zeit brauchst, werde ich warten. Ich werde drüben alles vorbereiten und auf dich warten. Wenn du kommst, wird unser Heim fertig sein. Meine Familie wird auch deine Familie sein. Egal wie lange du brauchst, ich werde auf dich warten. Aber heirate mich. Bitte heirate mich“.

Ich nahm Dich in den Arm und sagte Dir, dass Du gehen musst. Dass ich Dich nicht aufhalten möchte. Und dass ich stolz auf Dich sei, weil du diesen Entschluss gefasst hast. Und dass ich Dich nicht verlieren möchte. Dass wir weitermachen würden, wie zuvor. Auf Entfernung. Und wenn meine Probezeit hier vorbei sei, wenn ich die Lebenszeit hätte, dann würde ich sehen, was sich Jobmäßig drüben ergibt, dann würde ich kommen. Solange müsstest Du warten. Und Du versprachst zu warten. Zu diesem Zeitpunkt waren wir 1,5 Jahr zusammen.

Oft habe ich mich gefragt, ob es ein Fehler gewesen ist, mich nicht fallen gelassen zu haben. Nicht mit Dir gegangen zu sein. Du hättest für mich gesorgt. Zu diesem Zeitpunkt war Dir mein Glück heilig. Doch ich war vernünftig.
 
E

Elena

Guest
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Aylin, diese ganze Geschichte tut mir schrecklich Leid für dich . Man spürt förmlich, wie du am Ende bist .:-?
Du möchtest einen Schminkkurs dann mache es.Das tut dir und deinem Selbstbewusstsein gut . Du willst nach Indien , und Yoga lernen , das kannst du auch hier bei uns . Gibt sehr gute Yogazentren wen du magst kann ich Dir eines in deiner Stadt raussuchen .Oder geh ins fitnessstudio, wo du auch Spaß hast, dich auszupowern. Kurzum, tue das was dir Spaß macht, und sitze nur nicht zu Hause, und blase Trübsal, das ist der Typ nicht wert.
 

Aylin2009

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AW: Was ich Dir noch sagen wollte

Das vierte Mal war in Özdere. Es war viel zu kalt für Ende April. Die kühle feuchte Luft erinnerte eher an die Nordsee. Fünf Tage verbrachten wir fast nur im Hotel. Fünf Tage stritten wir oder versuchten nicht zu streiten. Die bittere Realität der Fernbeziehung hatte uns wieder eingeholt.

Wir waren zu diesem Zeitpunkt etwas über zwei Jahre zusammen. Unsere Träume von einst waren zerplatzt. Wir arbeiteten hart daran, uns neue Träume zu überlegen. Uns eine Perspektive zu geben. Aber es hatte nicht mehr diesen Glanz. Wir wussten mittlerweile, wer wir wirklich waren. Wir hatten zwischen Träumen und Realität zu unterscheiden gelernt. Das ganze machte mich unglaublich traurig. Ich wollte so unbedingt zurück zu dem was wir hatten. Und jeder erbärmliche Versuch, machte mich trauriger.

An einem dieser Tage liefen wir am menschenleeren Strand entlang. Der Wind war kalt. Ich war viel zu leicht angezogen. Wortlos gingen wir dort lang und ließen das Geräusch der Wellen auf uns wirken. Plötzlich bliebst Du stehen und sahst eine ganze Weile lang auf das weite Meer. Ich erinnere mich noch gut, was ich in diesem Moment fühlte…es waren abgründige Momente. In mir hatte sich alles zusammengezogen und ich hatte mir vorgestellt wie es wäre, wenn diese Wellen mich einfach davon treiben könnten. Ich konnte diesen Druck in mir nicht ertragen. Leise kullerten Tränen über mein Gesicht. Da legtest Du Deinen Arm über meine Schulter. Drehtest mit Deiner Hand mein Gesicht zu Dir. Sahst mir in die Augen. Ignoriertest die Tatsache, dass ich mal wieder weinte. Fragtest nicht wieso. Nahmst es einfach so hin. Und fragtest mich

„Benimle evlenir misin?“

Ich brach in Tränen aus. Ist es nicht merkwürdig, dass ich kurz vor dem Moment, wo Du mich fragst, ob ich Dich heiraten will, das erste Mal in meinem Leben ans Sterben gedacht habe. Dass in einem Moment, in dem Du mir nicht näher sein konntest, ich mich einsam wie nie zuvor gefühlt habe. Ich sagte nichts, sondern weinte nur in Deinen Armen. Du trocknetest meine Tränen mit deinem Pullover und setztest Dich wieder in Bewegung. Nach einer Weile des Schweigens sagtest Du „ich werde warten“. Wir gingen zurück zum Hotel.

Jetzt frage ich mich, ob es ein Fehler war, nicht mit Ja geantwortet zu haben. War das nicht der Beweis dafür, dass Du es wirklich wolltest. In guten wie in schlechten Zeiten. An meiner Seite stehen. Meine Tränen trocknen. War ich in diesem Moment unvernünftig?
 

Aylin2009

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AW: Was ich Dir noch sagen wollte

Jetzt sitze ich da, alleine in unserer Wohnung. Meine Wohnung. Du bist nicht mehr da. Erhebst keinen Anspruch mehr.

Ich sitze hier und denke an die vielen Momente die wir hatten. Alles was wir durchgemacht haben. Ich frage mich, warum, ich mich dagegen gewehrt habe. Warum ich mich nicht fallen lassen konnte. Warum ich vernünftig war.

Immer wieder stelle ich mir vor, dass es Du einen Flug buchst und zu mir kommst. Sogar auf deinem Online-account habe ich schon nachgesehen. Du hast das Passwort noch nicht geändert. Ich stelle mir vor, wie Du bei Schnee und Eis in Dein Auto steigst. Die 800 Kilometer überwindest. Wie Du an meiner Tür klingelst. Die Treppen hochgerannt kommst. Nur ein Ziel vor Augen. So wie früher.

Ich öffne Dir die Tür und schaue Dich ungläubig an. Du gehst zu Boden, nimmst meine Hand und fragst mich. Ein letztes Mal.

Wie oft bin ich diese Vorstellung in den letzten Tagen durchgegangen. Mit einem Lächeln im Gesicht. Mit Tränen, die meine Wangen entlang kullern. Du bist nicht da um sie zu trocknen.

Und ich weiß, dass Du nicht kommen wirst. Du wirst nie wieder fragen. Das Warten hat endlich ein Ende gefunden. Du wartest nicht mehr.

Du wirst mich nicht wieder fragen. Du bist zur Vernunft gekommen. Denn dieses mal kennst Du meine Antwort genau.
 

aleynanaz1

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AW: Was ich Dir noch sagen wollte

Wie ist es eigentlich so,wenn die ''Story'' mit jemanden aus einer anderen Kultur
beendet ist? Haengt man da noch an der Kultur und Mentalitaet an die man sich
in den langen Jahren gewöhnt hat,oder kommt man schnell darüber hinweg und
hackt alles als erlebt und finished ab?
Bei dir sieht es so aus,als ob du noch lange vieles bereuen wirst,da du hier von deinem Schmerz nun seit einiger Zeit rumerzaehlst.

Weiss nicht ob du an die Bestimmung/ das Schicksal glaubst.
Ich glaube daran und für mich sieht es so aus,dass du nicht sein Schicksal bist und umgekehrt auch nicht,deswegen musste alles so kommen,wie es eben gewollt ist,da man sein Schicksal auch nur begrenzt beeinflussen kann.
 
P

pauline09

Guest
AW: Was ich Dir noch sagen wollte

Jetzt würde ich Dich gern in den Arm nehmen und mit Dir weinen, Aylin.. :cry:

Ja, man kann viel zu lange viel zu vernünftig sein. Und danach ist es zu spät. Der einzige Stolz, der dann bleibt: dass man das Leben, das man führt, selbst gewählt hat. Kein Grund für Tränen. Kein Grund für Vorwürfe an die Liebe oder gar das Leben selbst. Man hat es so gewollt. Sich entschieden, dem Kopf zu trauen und nicht dem Herzen, das doch die Antwort längst kannte.

Wieviele dieser Entscheidungen fallen aus Angst? Weil man sich nicht vertraut? Sich nicht reif fühlt und nur dem Glück, nicht aber dem Ernst und der Tiefe einer Liebe gewachsen?

Sie wird Dich begleiten. Du hast sie nicht verloren, wirst sie immer im Herzen tragen. Nur wird es auf Dauer weniger weh tun und eines Tages vielleicht gar nicht mehr. Und ab diesem Tag wird alles wie neu sein. Ich wünsche Dir, dass er bald kommt..

"Es entspricht einem Lebensgesetz: Wenn sich eine Tür vor uns schließt, öffnet sich eine andere. Die Tragik ist jedoch, daß man auf die geschlossene Tür blickt und die geöffnete nicht beachtet." (André Gide)
 

aleynanaz1

Well-Known Member
AW: Was ich Dir noch sagen wollte

@Aylin2009

Mein Gott Aylin2009,wenn ich das so lese,warum hast du ihn nicht geheiratet?
Was gibt es schöneres sagen zu können''er ist mein Mann'' statt mein Freund.

Da muss ich aber immer mit dabei denken... Schicksal eben.
Es ist so bestimmt,dass jemand anders ein Teil von seinem Leben wird.:-?
 
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