Ich sehe zwar Biden vorn, aber diese Debatten haben etwas von zwei dementen Opas die streiten.
Es hatte was von Waldorf & Statler, den beiden Alten auf dem Balkon, obwohl das eigentlich ein zu harmloser Vergleich ist.
Was mich verwirrt hat ist, das Trump über Biden als "ihr Politiker" spricht....ohne zu realisieren, das er als Präsident ebenfalls Politiker ist und jenes Unverständnis sollte jedem Amerikaner die Augen öffnen, das Trump die Präsidentschaft als Geschäft sieht, wo er das meiste für sich heraus holen kann und sich einen Scheiß um die Wähler kümmert.
Das realisiert er durchaus! Für mich war dabei völlig klar, dass er sich noch immer als Gegenentwurf zum Washingtoner Establishment inszeniert: eine Rolle, die seine Wähler ihm abnehmen und richtig gut finden, weswegen sie ihn auch ein zweites Mal wählen werden. Klar ist das lächerlich, aber es verfängt.
Und er hatte sich für seine Verhältnisse auch bemerkenswert gut im Griff, gab sich zum Teil regelrecht staatsmännisch, säuselte Biden zwischendurch mehrmals als "dear Joe" an (ich dachte, ich hör nicht richtig), um ihn danach umso härter anzugehen und konnte beim Klimathema sogar punkten, als Biden und er nach Plänen für die Ölindustrie gefragt waren.
Bidens Pläne mit Klimaneutralität und dem abermaligen Beitritt zum Pariser Abkommen: gut und schön.
Aber in Pennsylvania, Oklahoma, Ohio und Texas, was Trump dann ja auch genüsslich herausstellte, dürften viele nur verstanden haben, dass Trump ihr wirtschaftliches Wohlergehen sichert, während Biden die Ölindustrie zugunsten erneuerbarer Energien nach und nach auszutrocknen plant. Und was ihm meines Erachtens auch weitgehend gelang: Biden in die Ecke des über acht Jahre angeblich untätigen Funktionärs der Obama-Regierung zu drängen. Das hat er nicht ungeschickt gemacht.
Biden war nicht schlecht, aber sein Auftritt insgesamt zu harmlos - und seine stärkste Waffe, Trumps mieses Benehmen, blieb gestern stumpf. Ganz mal abgesehen davon, dass seine Repliken auf mich teilweise gescripted wirkten. Alles, was an ihm gepriesen wird, der authentische und weitaus empathischere Umgang mit Menschen, kann man ihm zwar abnehmen. Aber gestern setzte er das zwischendurch mehrmals so forciert ein, um die Debatte herumzureißen, dass es auf mich fast wie pures Schauspiel wirkte: Schalter an, Schalter aus, Licht an, Licht aus. Sonderlich vertrauenerweckend fand ich das nicht.
Gut an der Debatte fand ich vor allem, dass inhaltliche Unterschiede auch weit über Corona hinaus klar wurden. Insofern okay, informativer als vorher vermutet. Aber hilft nix: wäre ich gefragt, würde ich wohl keinen von beiden wählen. Oder genauer: Biden nur mit Blick auf Kamala Harris. Tragisch. Bei Trump ist es so, dass man nur Trump wählt - weil er alle anderen außerhalb seiner Sippe zu Statisten degradiert.
Und in diesem Jahr können die Amis ja noch nicht mal ausweichen. 2016 stand wenigstens noch Jill Stein zur Wahl (die ich gut fand!), aber in diesem ganz und gar polarisierten System haben die Kleinen eh keine Chance.