Die Prämisse, jeder Mensch sei gleich kriminell veranlagt, ist einerseits im Begriff, neurowissenschaftlich widerlegt zu werden (wobei ich dem sehr skeptisch gegenüber stehe, gibt es doch Parallelen zur Phrenologie). Andererseits schließt sie den Zusammenhang von Bildung und Kriminalität nicht aus, weil die gleiche kriminelle Veranlagung zweier Menschen mitnichten zwangsläufig das Begehen einer vergleichbaren Anzahl von Straftaten im Laufe ihres Lebens veranlasst. Die Dichte und Intensität von Tatanreizen hängen wesentlich vom sozialen und ökonomischen Umfeld der Person ab. Ich halte es für durchaus plausibel, dass das typische Umfeld von ungebildeten Kreisen durch eine besonders hohe Belastung mit Tatanreizen gekennzeichnet ist. Dies ist auch nicht die erste Studie, die darauf hinweist. In Verbindung mit der geringen Fähigkeit, die Risiken der Strafverfolgung abzuwägen, einer geringeren "Fallhöhe" und damit einer höheren Risikobereitschaft an sich, ergibt das zwangsläufig eine relativ höhere Tatgeneigtheit aus jeder möglichen Veranlagung heraus.
Dass es unterschiedliche Straftaten mit unterschiedlichen Schadensmerkmalen gibt, ist sicher bewusst kein Gegenstand der Studie. Angesichts der Dunkelziffer-Schätzungen zwischen 25 bis 80 Prozent in Bezug auf Wirtschaftskriminalität, kann man schon nicht von belastbaren Zahlen sprechen, die darauf hindeuten würden, diese Kriminalitätsart würde wesentlich effektiver verborgen als andere. Darauf kommt es auch nicht an, wenn man, wie diese Studie, den - im Gegensatz zum Schaden aus unerkannten Wirtschaftsdelikten - einfach vermeidbaren volkswirtschaftlichen Verlust aufzeigen will, der durch schlechte Bildung unter anderem über eine erhöhte Kriminalitätsrate verursacht wird. Die Masse der Strafprozesse dreht sich nun mal um einfachste Tatbestände ebenso schlichter Täter, die nach einem Prozess und dem Gefängnisaufenthalt, welche ein Vielfaches der ursprünglichen Schadenssumme kosteten, von der produktiven Gesellschaft weiter entfernt sind denn je.
In diesem wie auch in anderen vielleicht nicht lückenlos fundierten Appellen für ein besseres Bildungssystem primär die Diskriminierung Ungebildeter zu identifizieren, ist ein Reflex mit dem sich die Deutschen zwar schon etliche Jahre wohlfühlen, der aber auch keine Besserung verspricht.