Sehen Sie, ich kam aus einer rein akademischen Tätigkeit. Und in der Hinsicht hat das Jahr ‘33 bei mir einen sehr nachhaltigen Eindruck gemacht. Man denkt heute oft, daß der Schock der deutschen Juden 1933 sich damit erklärt, daß Hitler die Macht ergriff. Nun, was mich und Menschen meiner Generation betrifft, kann ich sagen, daß das ein kurioses Mißverständnis ist. Das war natürlich sehr schlimm. Aber es war politisch. Es war nicht persönlich. Daß die Nazis unsere Feinde sind – mein Gott, wir brauchten doch, bitteschön, nicht Hitlers Machtergreifung, um das zu wissen! Das war doch seit mindestens vier Jahren jedem Menschen, der nicht schwachsinnig war, völlig evident. Daß ein großer Teil des deutschen Volkes dahinterstand, das wußten wir ja auch. Davon konnten wir doch nicht ‘33 schockartig überrascht sein. Erstens wurde das allgemein Politische ein persönliches Schicksal, sofern man herausging. Zweitens aber wissen Sie ja, was Gleichschaltung ist. Und das hieß, daß die Freunde sich gleichschalteten! Das Problem, das persönliche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten. Was damals in der Welle von Gleichschaltung, die ja ziemlich freiwillig war, jedenfalls noch nicht unter dem Druck des Terrors, vorging: Das war, als ob sich ein leerer Raum um einen bildete.