Deniz Yücel

EnRetard

Well-Known Member
Die weniger informierte Öffentlichkeit hätte man aber schon darüber unterrichten können, daß ein Interview mit einem hochrangigen PKK-Mann keine Beiläufigkeit ist, sondern ganz zentral weil rotes Tuch. Mit einem meiner Lieblingstürken kann ich über vieles reden. Aber nicht über Deniz. Der hat mit der PKK geredet, der ist ein Arsch, der gehört weggesperrt, Details interessieren mich gar nicht, muß ich nicht wissen. Und mein Gewährsmann ist Kemalist. Das hätte mit an den Anfang gehört in den Was wirft man Deniz eigentlich vor?-Teil. Das ist viel wichtiger, als daß Deniz der Kanzlerin in einer PK unbotmäßige Fragen stellt.

Das sehe ich anders. Sie mögen sich ja Löcher in den Bauch geärgert haben über Yücels Interview mit dem Oberterroristen-Statthalter. Das allein hätte aber bei einem internationalen Journalisten, dessen Ergüsse auf Ausländisch im Ausland erscheinen, nicht für eine Verhaftung gereicht. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat, dass er Ahmet Davutoglu auf der PK mit Angela Merkel vorgeführt hat. Das hat nämlich jeder mitgekriegt.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Die Anklage ist wischiwaschi, und insofern wissen wir nicht, was letztendlich ausschlaggebend war. Das PKK-Interview mag es nicht gewesen sein. Ich persönlich messe seiner „Putsch“-Berichterstattung hohe Bedeutung zu Das Interview hat aber entscheidend dazu beigetragen, daß man der türkischen Öffentlichkeit hat verkaufen können, Deniz sei nicht nur und nur zur Tarnung Journalist, sondern ein Terrorist.
 

Bintje

Well-Known Member
Die weniger informierte Öffentlichkeit hätte man aber schon darüber unterrichten können, daß ein Interview mit einem hochrangigen PKK-Mann keine Beiläufigkeit ist, sondern ganz zentral weil rotes Tuch. Mit einem meiner Lieblingstürken kann ich über vieles reden. Aber nicht über Deniz. Der hat mit der PKK geredet, der ist ein Arsch, der gehört weggesperrt, Details interessieren mich gar nicht (...)

Ja, gut, okay, da gebe ich Dir recht. Den Tenor kann ich ebenfalls bestätigen.
Was aber, denke ich, u.a. damit zusammenhängt, dass - zwischenzeitlich abgebrochener Friedensprozess hin oder her - die PKK nun mal als terroristische Organisation eingestuft ist und ganz die große Mehrheit, wie ich es wahrnehme, im Gedanken an jeden weiteren getöteten türkischen Soldaten einfach nur stinksauer und empört ist. Finde ich begreiflich, nachvollziehbar, und trotzdem interessiert zumindest nach meiner Meinung auch die andere Seite. Audiatur et altera pars. Alter Grundsatz, erst recht in Zeiten von Propaganda-Getöse.

Dass Journalisten, jedenfalls die, die ihren Job ernst nehmen, alle Seiten zu Wort kommen lassen (wollen), interessiert viele gar nicht die Bohne. Leider. Denn Yücel hat m.E. einfach nur seinen Job gemacht. Ganz mal abgesehen davon, dass er sich damit in der TR weit aus dem Fenster gelehnt hat (obwohl das Interview, glaube ich, noch zu Zeiten des laufenden Friedensprozesses stattfand).
Und nicht nur nach türkischen Maßstäben, denke ich: frage Dich mal, was in Deutschland los wäre, würden Journalisten tief unterm Radar von Ermittlungsbehörden Interviews mit abgetauchten Alt-RAF'lern oder IS-Leuten führen (ohne RAF und IS gleichsetzen zu wollen). Die würden sich sofort, aber sofort, gesteigerter staatlicher Aufmerksamkeit inklusive TKÜs und möglichen Durchsuchungen erfreuen.

Festgenommen und verhaftet würden sie allerdings nicht. Und schon gar nicht ohne Anklage mehr als ein Jahr infolge ihrer Berufsausübung eingebuchtet. Das ist der Unterschied.

Ich glaube aber auch nicht, dass das PKK-Interview der entscheidende Punkt war. Die haben halt alles zusammengetragen, was sie hatten oder zu haben glaubten. Da dient so was natürlich als Steilvorlage.
Und die PK mit Davutoğlu und Merkel setzte der Sache dann die Krone auf, das sehe ich ähnlich wie @EnRetard. Türkische Journalisten haben sich gefälligst sehr höflich und respektvoll zu verhalten und im Zweifel die Klappe zu halten. Nicht so wie hier. Yücel benahm sich aber wie hier. Und Merkel schaute prompt not amused. ^^
 

Bintje

Well-Known Member
Die Anklage ist wischiwaschi, und insofern wissen wir nicht, was letztendlich ausschlaggebend war. Das PKK-Interview mag es nicht gewesen sein. Ich persönlich messe seiner „Putsch“-Berichterstattung hohe Bedeutung zu Das Interview hat aber entscheidend dazu beigetragen, daß man der türkischen Öffentlichkeit hat verkaufen können, Deniz sei nicht nur und nur zur Tarnung Journalist, sondern ein Terrorist.

Denkt mal an Redhack. Die Nummer mit den geleakten Mails von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak.
Hochinformativer Text damals in der "Welt", und außer Yücel hat es ja noch einige weitere Journalisten erwischt.

https://www.reporter-ohne-grenzen.d...ack-affaere-prozess-gegen-sechs-journalisten/

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Alubehütet

Well-Known Member
Das Interview mit dem PKK-Oberst: Für uns ist das investigativer Journalismus. Für die meisten Türken ist das Kumpanei mit Terroristen. Mit solchen Leuten redet man nicht. Es ist egal, was sie sagen. Für uns verstehbar wird das, glaube ich, wenn man in die Vergangenheit zurückgeht und sich erinnert, wie Jean Paul Sartre Andreas Baader im Knast besucht hat. Immer schwer vergleichbar. Sartre hat nicht berichtet, er hat sich solidarisiert. Aber die RAF war bei uns auch nicht, und schon gar nicht für so lange Zeit, was die PKK über Jahrzehnte für die Türkei darstellt.

Yücel ist nicht so weit gegangen wie Sartre. Aber viel weiter als Heinrich Böll. Er hat nicht nur PKK-Versteher-Kommentare geschrieben, was nicht einmal Thema war gegen ihn, fast erstaunlicherweise.





Wobei ich zugebe: Die Doku, die ich gerne gesehen hätte, hätte meine Mutter nach fünf Minuten abgeschaltet. Aber das ist nicht, was ich kritisiere. Das war keine Doku, das war ein historischer Roman. Mit vielen authentischen Zeugnissen, aber eben doch Dokufiction.
 

EnRetard

Well-Known Member
Du unterstellst mit deinen Vergleichen und mit der unbelegten Behauptung, Yücel hätte "Versteher-Kommentare" geschrieben, mangelnde Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung. "Versteher-Kommentare" suggeriert, Yücel habe sich mit der PKK gemein gemacht. Damit betreibst du nicht nur Victim Blaming, du gibst sogar der türkischen Gesinnungsjustiz recht.
 

Bintje

Well-Known Member
(...)
Yücel ist nicht so weit gegangen wie Sartre. Aber viel weiter als Heinrich Böll. Er hat nicht nur PKK-Versteher-Kommentare geschrieben, was nicht einmal Thema war gegen ihn, fast erstaunlicherweise.

Was meinst Du mit "Versteher"-Kommentaren? Diesen hier von 2015?
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5022305&s=Deniz+Yücel+PKK/

Oder den? https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5018274&s=Deniz+Yücel+PKK/

Nicht ernstlich, oder? o_O
 

Alubehütet

Well-Known Member
Den hatte ich im Kopf, ja. Danke für's Raussuchen! :)

In Syrien kämpfen die PKK und PYD nicht nur gegen die gegenwärtig brutalste, organisierte Barbarei der Gegenwart, sondern sind eine der wenigen verlässlich säkularen Kräfte in der Region – ein Gegenentwurf nicht nur zum Islamischen Staat, sondern auch zur AKP, was schon in ihrer Bildpolitik deutlich wird. Es waren vor allem Bilder von Frauen, die sie aus dem Kobane in Umlauf brachten: kämpfende Frauen, lachende Frauen, zum Schluss jubelnde und tanzende Frauen.
 

Bintje

Well-Known Member
Den hatte ich im Kopf, ja. Danke für's Raussuchen! :)

In Syrien kämpfen die PKK und PYD nicht nur gegen die gegenwärtig brutalste, organisierte Barbarei der Gegenwart, sondern sind eine der wenigen verlässlich säkularen Kräfte in der Region – ein Gegenentwurf nicht nur zum Islamischen Staat, sondern auch zur AKP, was schon in ihrer Bildpolitik deutlich wird. Es waren vor allem Bilder von Frauen, die sie aus dem Kobane in Umlauf brachten: kämpfende Frauen, lachende Frauen, zum Schluss jubelnde und tanzende Frauen.

Womit Du den gesamten Einstieg und die Argumentationslinie flott 'überlesen' hast (nein, ich will hier keine Debatte über Aufhebung oder Nicht-Aufhebung des PKK-Verbots lostreten, aber dieser Teil gehört unbedingt dazu):
Im November 1993 gab es gute Gründe, die PKK als terroristische Organisation zu verbieten. In der Türkei führte sie nicht nur einen Guerillakrieg, sondern verübte zudem Anschläge auf Zivilisten oder löschte Mitglieder der so genannten Dorfschützermiliz mitsamt ihrer Familien aus. Auch hierzulande bot die Arbeiterpartei Kurdistans kein freundliches Bild: Schutzgelderpressung, blutige interne Abrechnungen, Brandanschläge auf türkische Einrichtungen. (Nein, nicht die Sache mit der Autobahn, die kam danach.)

All das spielte beim Verbot, das der damalige Innenminister Manfred Kanther verfügte, eine Rolle. Doch hinzu kamen weitere Gründe, die dazu beitrugen, dass nicht, wie es beispielsweise in der EU bei der Hamas zeitweise der Fall war, nur der bewaffnete Flügel als terroristisch eingestuft wurde, sondern die gesamte PKK.
(...)

Daraus geht klar hervor, dass er das damalige Verbot für gerechtfertigt hielt. So sieht für meine Begriffe kein "Versteher"-Kommentar aus. Und noch was: dieses Meinungsstück entstand unter dem Eindruck der Schlacht um Kobanê und stammt aus einer Zeit, in der die offizielle Linie der Türkei noch immer auf den Friedensprozess gerichtet war. Ich habe das als Versuch eines Brückenschlags interpretiert: ganz gleich, was man davon jeweils gehalten haben mag.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Ein „Putin-Versteher“ ist ja noch kein Putin-Fan, einer, der ihm in allem Recht gäbe. Deniz ist kein PKK-Anhänger, aber einer, der sie nicht ohne Sympathie betrachtet. Geht mir übrigens genau so.
 
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