AW: Die Beschneidung, Bagatelle oder Straftat?
Übrigens habe ich immer noch nicht abgestimmt. Der Grund ist, daß ich jede Veränderung am Körper eines noch nicht der Willensbekundung fähigen Kindes aus nur religiösen Gründen kategorisch ablehne, wie auch jede andere Veränderung, in der ich keine schlüssigen medizinischen Vorteile sehe.
Von den medizinischen Vorteilen bin ich überzeugt - würde es aber als unerträglich ansehen, wenn dieser Staat er versäumen würde, der aus seinem Schutzauftrag gegenüber Unmündigen erwachsenen Sorgfaltspflicht nachzukommen und klarzustellen, daß die körperliche Unversehrtheit besonders von Kindern ein sehr hohes Gut ist, das keinesfalls religiösen Interessen geopfert werden darf, denn anderenfalls könnten noch andere Gruppen auf den Plan treten und ihre Änderungen einfordern. Es wäre am Staat, die ihm von Ärzten vorgetragene medizinische Nützlichkeit in eine gute Aufklärung der Bevölkerung umzusetzen, die es Eltern ermöglichen würde, sich ihre eigene Meinung bilden sollten.
Muslime möchten nun anführen, ihr Prophet wäre ebenso unbeschnitten gewesen und wollte man seinem Weg folgen, müsse man es ihm gleichtun, doch mir scheint diese Begründung und auch der Hinweis, die Eltern wären verpflichtet, ihr Kind in dieser Beziehung in die richtige Bahn zu lenken, mehr als dürftig, denn hier belassen es die Eltern ja nicht bei behutsamer Einführung ihrer Kindes in diese Lehren, sondern man greift zum Messer und verändert den Körper. Ist das Vorbild Mohammed der einzige Grund oder nennt der Islam noch weitere? Wenn nicht, warum bitte war Mohammed beschnitten. Ist der Grund dafür überliefert?
In den letzten Tagen habe ich mir dank Uni-Netzzugang ein paar Artikel zum Thema angesehen. Auf der soziologischen Seite ist dabei interessant, dass in den Gesellschaften, die Beschneidung an Frauen praktizieren, die Befürwortung ebenso vehement von den Frauen bzw. Müttern ausgeht. Scheinbar liegt das an einer höheren Identifikation der sozialen Stellung mit Fertilitäts-Aspekten und den vorherrschenden Ansichten, was die diesbezüglichen Auswirkungen einer Beschneidung angeht. Denn in die dortige Diskussion, v.a. in Ägypten, werden auch weitgehend dieselben Argumente über die Vorteile der Beschneidung eingebracht wie hierzulande bei der männlichen Beschneidung. Wohl als Reaktion auf die WHO-Programme, schließt das die "Medizinisierung" durch den Nachweis angeblicher Vorteile für Fruchbarkeit und Infektionskrankheiten mit ein.
Sozialer Pragmatismus scheint mir nur für eine von mehreren Erklärung zu taugen. Ich frage mich, wie weit ein Mensch resignieren muß, um das selbst erfahrene Leid als Nützlichkeit im Leben zu verklären, die er sich auch für die eigenen Kinder wünscht, nur weil es ihrem Fortkommen dient? Schließlich ist dies der Versuch der Auslöschung der Frau als sinnlich empfindender Mensch (ob dies durch die weibliche Beschneidung völlig gelingt, sei dahingestellt, aber schon der Versuch zählt als Diffamierung der Frau als sündiges Wesen, dem man die Wollust austreiben muß wie einen Dämon).
Vielleicht ist ein anderer Grund für die spätere Zustimmung beschnittener Frauen das Bedürfnis, dieses Trauma seelisch zu verwalten und die eigene Rolle als damaliges Opfer in ein System aus guten Gründen zu stellen, denn die Alternative wäre ein Leben im vollen Bewußtsein der angetanen Demütigung, das folgerichtig in Haß gegen die eigene Familie, Ekel vor dem eigenen, verstümmelten Körper und Zweifel an der Religion geführt werden müßte.