Na ja, wenn ich sogar in der unmittelbaren Verwandtschaft Leute habe, die nach über 20 Jahren in Deutschland immer noch kaum deutsch sprechen oder verstehen, dann kann ich das manchmal verstehen, allerdings nur bei den Älteren. Bei Leuten in deinem Alter erwartet man schon, dass sie gutes deutsch sprechen.
Wie gesagt oder noch nicht erzählt? Ich weiß es nicht, ob ich es hier schon öffentlich erwähnt habe, aber ich arbeite u.a. mit Frauen, Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Nicht nur aus der Türkei, da sind ganz viele Nationen dabei. Ich weiß noch genau, wie ich am Anfang meiner Arbeit, mir selbst Vorurteile eingestehen musste. Ich war immer so wütend und sogar teilweise peinlich berührt, wenn ich Ausländer hörte, die kaum Deutsch sprechen konnten. Heute verstehe ich die Gründe und kann es besser nachvollziehen.
Das größte Problem ist, dass die meisten ihre eigene Sprache kaum richtig beherrschen. Wenn sie noch nicht mal auf ihrer eigenen Muttersprache zum Beispiel wissen was Wortarten sind, wie sollen sie das dann auf Deutsch verstehen? Teilweise muss man da bei den elementaren Grundlagen einer Sprache anfangen. Nomen, Verben usw. erklären, damit sie überhaupt ein Verständnis für Sprache bekommen.
Das nächste große Problem liegt daran, dass sich viele Ausländer schämen Deutsch zu sprechen. Jeder, wirklich jeder von ihnen hat schon ein und mehrere negative Erfahrungen damit gemacht, wenn sie versucht haben sich auf Deutsch zu artikulieren. Ein Beispiel, was für viel Gelächter gesorgt hat und wirklich das Problem deutlich beschreibt. Eine Mutter mit wenigen Deutschkenntnissen ist eines Tages einer anderen Mutter auf dem Schulhof begegnet. Die 'deutsche' Mutter sah heute besonders schick aus, hatte nach ihrem Verständnis eine Bekleidung an, die eine Feierlichkeit andeutete. Also sagte sie es ihr auch: "Ahhh, du sehen heute gut aus! Wohin gehen?" Die festlich gekleidete Frau antwortete: " Auf eine Beerdigung.". Da sie nicht wusste, was eine Beerdigung bedeutet und die Frau ganz offensichtlich feierlich Angekleidet war, erwiderte sie: "Ohhh, schön! Viel Spaß!!". Der verwirrte und sprachlose Blick ließen sie aber zweifeln, war es doch sonst eine nette Frau. Zuhause fragte sie ihren Mann, was 'Beerdigung' bedeutet und war natürlich tief betroffen. Auch wenn die Frau ihre Entschuldigung widerwillig annahm und versicherte, sie sei ihr nicht böse, hat sie dieses Erlebnis so sehr beeinflusst, dass sie sich nicht mehr wirklich traut von sich aus Deutsch zu sprechen.
Eine arabische Frau erzählte auch was sehr interessantes. Als sie neu in Deutschland war und ein paar Worte Deutsch konnte, hat sie all ihren Mut zusammen genommen und eine Verkäuferin gefragt, was der Preis für die Ware xy sei. "Du mir sagen können was das kosten?". Die Verkäuferin erwiderte in einem patzigen, wütenden Ton:"Sie! Es heißt Sie!". Nun ist es aber so, dass es in der arabischen Sprache keine Personalpronomen existieren. Da wird nur nach weiblich und männlich in den Endungen unterschieden. Bis dato hatte ihr auch niemand den Unterschied zwischen dem duzen und siezen erklärt. Diese Frau hat nun die Meinung und Befürchtung, man müsse und dürfe nur korrektes Deutsch sprechen. Es gibt viele solcher Geschichten.
Natürlich kann man jetzt sagen, wieso lassen sie sich denn von solch einem negativen Erlebnis einschüchtern. a) Es waren nicht nur einmalige Erlebnisse und b) die meisten leiden eh unter Minderwertigkeitskomplexen, weil sie in einem fremden Land leben, wo sie die Sprache nicht beherrschen. Es ist ein Teufelskreis, wo sie schwer rauskommen. Daher wünschte ich mir, dass wir Deutschen sensibler mit Menschen umgehen, die eben die Sprache nicht so gut beherrschen. Ich lache auch niemanden aus, der nicht gut Türkisch kann. Ich reagiere auch nicht patzig, wenn jemand mit gebrochenem Türkisch mit mir redet. Wieso kann man nicht behilflich sein, anstatt zu diskriminieren? Auch wenn jemand ganz schlecht Deutsch spricht, kann man, vorausgesetzt man will, verstehen was derjenige sagen möchte. Man braucht ein Gefühl für eine Sprache, viele können diese nicht entwickeln.
Auch kann ich 'Deutsche' verstehen, die nicht verstehen können, wieso der Ausländer xy nicht Deutsch kann. Aber es wird gerne immer mit dem Finger auf diese Menschen gezeigt, aber nicht hingeschaut wieso es so ist. Mehr Begegnungen und Dialoge untereinander müssen stattfinden, anstatt sich den Ball der Schuld zu werfen! Hach, dazu fällt mir allerdings was ein. Wir haben ein Projekt gestartet. Ziel war es, Frauen aller Nationen bei einem lockeren Frühstück ins Dialog zu bringen. Für die ausländischen Frauen eine Möglichkeit ihr Deutsch zu verbessern und Vorurteile untereinander abzubauen. Leider kamen bis dato (1 Jahr läuft es schon) nur zwei deutsche Frauen vorbei
Die Generation meiner Eltern wollten so schnell wie möglich nach Hause zurück. So viel Geld verdienen, wie es in der Heimat reicht. Koffer und Kinder einpacken und schnell wieder zurück. Diese Kinder wollten aber nicht mehr zurück, denn ihre Heimat war nicht die Heimat der Eltern. Shit happens! Auf der anderen Seite, zielte eben die damalige Politik auch auf das Gleiche hinaus. Daher wurde für die Integration und vor allem für die Sprachförderung nichts getan. Shit happens!
Aber ist es nicht nun an der Zeit, die Fehler der Vergangenheit beiseite zu legen und anstatt sich gegenseitig zu beschuldigen das Problem anzupacken? Mehr Verständnis auf beiden Seiten, mehr aufeinander zugehen, Begegnungen und Dialoge führen, anstatt sich weiter voneinander zu entfernen? Dafür scheint mir die Zeit nicht reif genug zu sein- wir stecken noch in der Trauerphase. Ist wie eine Beziehung die in die Brüche gegangen ist. Man liebte sich am Anfang, dann kamen die ersten Zweifel, dennoch wurde lieber geleugnet und man wollte es nicht wahrhaben, dass es gescheitert ist. Dann kam der große Knall und nun stecken wir in der Phase der Wut und Trauer. Na, hoffentlich ist sie bald vorbei und wir können in die letzte Phase übergehen.
Manchmal denke ich aber, die letzte Phase der Versöhnung liegt noch weit in der Zukunft. Man erlebt eben solche krassen Momente, da zweifelt man. Letzten hat mich ein 'Deutscher' in der feucht fröhlichen Seminarabschlussrunde gefragt, wie es sein kann, dass ich als 'Türkin' ein Seminar im Bereich der Fort- und Weiterbildung leiten könne. Kann ja wohl nicht sein, dass das nicht ein 'Deutscher' leiten würde. Da stehst du nun, bist in einer beruflichen Situation, willst irgendwie was sagen, aber möchtest auch weiter von Firmen gebucht werden. Da kannst du nur dein Kopfkino einschalten und einen auf Kill Bill machen und zweifeln und dich bei der Beurteilung rächen. Seinem Arbeitgeber habe ich erstmal dezent eine weitere Fortbildung im Bereich soziale Kompetenz empfohlen. Vollidiot
Meistens liegt es am Elternhaus. Leider
Nicht nur! Natürlich fällt es den Eltern schwer die Kinder bei den Hausaufgaben zu unterstützen, wenn sie der Sprache nicht mächtig sein. Jedoch kann man auch hier nicht nur einer Seite die Schuld geben, solange es noch Lehrer gibt, die Eltern mit Migrationshintergrund empört entgegnen:"Also, für ihr Kind reicht ja wohl eine Empfehlung für die Gesamtschule! Schließlich ist es ein Kind mit Migrationshintergrund.". Ja, aber bereits in der 3. Generation. Jetzt kommt mir nicht mit ist ein Einzelfall! Habe es schon so oft erlebt und mitbekommen, dass es eben kein Einzelfall ist.
Edit: Wuuuhhuuu, sorry für den langen Text. Habe ich gar nicht gemerkt! Liest sich ja wie ein Tagebucheintrag vor dem Schönheitsschlaf