Entschleunigung von heute auf morgen

Mendelssohn

Well-Known Member
In Wuppertal nicht. Hier bleibt gefühlt Sommerferien-Sontagvormittag. Träge. Wenig los, alles heruntergedimmt. Jedenfalls ca. 17.00 Uhr, wenn ich mich durch Elberfeld bewege. Nur halt, trotz Sonne, nicht so warm.
Abends ist es ruhiger, wenn zu Hause gefuttert wird. Man will ja nicht umsonst gehamstert haben.
Außerdem muss man sich solidarisch vor Fernsehen und Internet verbinden.
Das Positive:
Wohnungseinbrüche und Autounfälle passieren signifikant weniger. Hier können die Versicherungen ordentlich einsparen, zumal ja nur die wenigsten Klein-Selbständigen über eine Verdienstausfallversicherung verfügen dürften.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Bis heute nachmittag um drei, dachte ich, es sei Freitag. Dann nahm ich die Zeitung zur Hand und wunderte mich, dass die Wochenendbeilage schon dabei war. Mein erster Gedanke: Corona! Erst mein zweiter Gedanke ließ mich die Frontseite prüfen, aber nicht um festzustellen, dass schon Samstag war, sondern dass sie die Wochenendbeilage einen Tag zu früh eingelegt haben. Weit gefehlt.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit dem Wochentag falsch gelegen haben.
 

Zerd

Well-Known Member
Gerade lief eine sehr optimistische Folge von ZDFZeit über mögliche Entwicklungen, die die Corona-Krise auch im Hinblick auf Entschleunigung triggern könnte. Leider (noch) nicht in der Mediathek, läuft aber in einer der folgenden Nächte noch einmal -> Link
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Mit Camus bin ich in diesem Kleinstformat auf S.130 von 170 Seiten. Der Höhepunkt der Seuche ist erreicht: es werden Massengräber ausgeschaufelt, dennoch wird der Platz eng für die Toten. Dr. Rieux befürchtet, dass die Toten bald auf der Straße liegen gelassen werden, weil es niemanden mehr gibt, um sie ordnungsgemäß zu bestatten. Ein Serum wird ausprobiert, das dem Kind nicht hilft. Er hadert mit der Vorsehung bzw. ihrer zweckmäßigen Anordnung.
Einerseits das alte Grauen, der Sensemann, andererseits eine moderne Verwaltung, die Isolation, Desinfektion, Bestattung anordnet und durchsetzt - noch. Wenn die Verwaltung schlapp macht - und sie wird im Roman von Menschen getragen (genauso wie die Shoa von Menschen verwaltet wurde, nur andersrum, um zu töten, nicht um zu retten) - dann würde die Stadt an die Pest verloren gehen. Es werden am Ende die Menschen sein, kleine Verwaltungsangestellte, die zuerst ihre Freizeit für die Verwaltung der Seuche und am Ende womöglich ihr Leben hingeben werden, damit nicht das Grauen das letzte Wort hat, sondern die Humanität.
Wenn ich durch bin, sage ich, ob die Protagonisten überlebt haben. Ich befürchte, dass nur der "Berichterstatter" davonkommen wird. Also der Doktor.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Was vielleicht noch erwähnenswert ist:
Der Höhepunkt der Pest, wenn es nicht noch tödlicher wird, wird im Roman etwa neun Monate nach dem ersten Pesttoten erreicht. Die Stadt ist seit 9 Monaten abgeriegelt, so abgeriegelt, dass kaum Schmuggel möglich ist, also allmählich wird auch Alkohol und Nikotin knapp, außer in den Spelunken, die offenbar Beziehungen zu den Stadtwachen und zur Hafenmeisterei haben. Insgesamt wird es wohl mindestens ein Jahr dauern.
Wir sind erst in der vierten Corona-Woche. Noch ist alles mehr oder weniger normal. Auch in Camus' Roman rechnet man zu diesem Zeitpunkt nur mit vorübergehenden Beschränkungen, nichts, was wirklich in die Privathäuser kommt. Das Wetter ist gut, man genießt den Frühling, die Pestviertel sind woanders, nur der Doktor und seine späteren Helfer wissen es besser: dass es lange dauern wird, viel viel länger als im Frühling von den "Mitbürgern" gedacht.
Camus nennt sie immer Mitbürger (concitoyen). Die, die sterben und die, die dabei zuschauen und leiden. Alle sind Mitbürger ungeachtet von Stand und Klasse, Geschlecht, Religion, Alter oder Hautfarbe.
Sartre vermisste den Klassenkampf.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Der Höhepunkt der Pest, wenn es nicht noch tödlicher wird, wird im Roman etwa neun Monate nach dem ersten Pesttoten erreicht. Die Stadt ist seit 9 Monaten abgeriegelt, so abgeriegelt, dass kaum Schmuggel möglich ist, also allmählich wird auch Alkohol und Nikotin knapp, außer in den Spelunken, die offenbar Beziehungen zu den Stadtwachen und zur Hafenmeisterei haben. Insgesamt wird es wohl mindestens ein Jahr dauern.
Habe meine Lektüre wieder aufgenommen, bin erst auf Seite ca. 100.

Was sich für uns merkwürdig liest: Die haben als Stadt insgesamt Quarantäne, keiner kommt mehr raus. Aber intern haben sie kein Kontaktverbot. Sie gehen in Cafes und Spelunken, die Kinos sind voll, obwohl irgendwann immer nur noch dieselben Filme gezeigt werden, die Kirche ist voll weil kann ja nicht schaden.

Aber Wikipedia meint, das geht o.k. Hier ist die Rede von der Beulenpest, die wird durch Flohbisse übertragen. Nur die Lungenpest durch Tröpfcheninfektion.
 

Zerd

Well-Known Member
Precht betätigt sich bei Lanz gerade als einsamer Rufer in der Wüste, indem er darauf abstellt, dass die Menschen eben sehen, was alles möglich ist, und einige deshalb auf die Idee kommen könnten, die Flugzeuge am Boden oder die leeren Straßen zu schätzen. Mendelssohn würde das sicher gefallen.

Aber es ist schon offensichtlich, wie alleine er dasteht neben Lanz, einem Virologen und der Chef-"Ethikerin", für die das wirtschaftliche Wachstum untrennbar mit Grundrechten und Freiheiten verknüpft ist...
 
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