Kommunalwahlen am 31. März in der Türkei

sommersonne

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Und nebenbei seiner eigenen: für ihn wäre es fraglos ein Triumph, zum Jahrestag des 100. Bestehens der Türkischen Republik eine sehr symbolträchtige und m.E. auch auf interreligiösen Frieden und Aussöhnung gerichtete Entscheidung Atatürks ausgelöscht zu haben.
Wahrscheinlich hofft er, dass die Bevölkerung ihn dafür so feiert wie ursprünglich Mehmet II. ....
Da stimme ich dir zu.

Allerdings hat natürlich auch Atatürk diese alte Kirche der Christen umgewidmet. Zwar als Museum, aber die Zeit als Kirche ist vorbei.
 

Bintje

Well-Known Member
Da stimme ich dir zu.

Allerdings hat natürlich auch Atatürk diese alte Kirche der Christen umgewidmet. Zwar als Museum, aber die Zeit als Kirche ist vorbei.

Das ist das Wesen des Kompromisses: beide oder alle Seiten machen Konzessionen. Normal. :)
Wichtiger und fortschrittlicher finde ich das von Atatürk und dem damaligen Ministerrat gesetzte Statement, indem sie die Ayasofya als Museum, also in erster Linie als Ort der Bildung, Kultur und Historie etablierten.
Das unterstrich m.E. den laizistischen Charakter der jungen türkischen Republik noch zusätzlich - mal abgesehen davon, dass es auch für vertriebene Christen (Griechen, Armenier ..) und deren Nachfahren tröstlich gewesen sein dürfte, Spuren ihrer Geschichte an einem Ort nachgehen zu können, der Menschen jeglichen Glaubens offen steht und zum Weltkulturerbe zählt.

Dass die jetzige Regierung kaum Interesse daran hat und vorwiegend nationalistische und islamistische Wählerschichten bedient, ist m.E. längst deutlich geworden. Dafür braucht man nicht zwingend das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Es sei denn, man ist ernsthaft der Ansicht, dass in Istanbul ein beklagenswerter Mangel an Moscheen herrscht. ; ) Und dass die seit Jahren, ach was: Jahrzehnten immer wieder aufgewärmte Umwandlungsdiskussion nach dem rechtsextremen, muslimfeindlichen Anschlag in Neuseeland sofort wieder befeuert wurde und nun offenbar tatsächlich Konsequenzen haben soll, könnte man glatt als späten Triumph des rechtsextremistischen Mörders von Christchurch sehen. Auch wenn es paradox klingen mag: Tarrant wollte mit aller Macht spalten und lieferte Geistern wie Erdoğan eine willkommene Steilvorlage. Traurig.
 
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EnRetard

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@Bintje Ich stimme dir vollkommen zu, der Status der Hagia Sophia als Museum ist ideal. Allerdings wird auf allen Seiten, direkt beteiligt oder nicht, geheuchelt was das Zeug hält. Ein ähnlicher Fall wie die Hagia Sophia, nur umgekehrt, ist die Mezquita Catedral in Córdoba. Die Moschee wurde nach der katholischen Eroberung zu einer katholischen Kirche umgewidmet, wobei die Kirche mitten in die Moschee hineingebaut wurde. Bis heute weigert sich die katholische Kirche, dort Muslimen das Beten zu gestatten. Der Vorschlag, den Komplex zu einem interreligiösen Gotteshaus zu machen, wurde von der Kirche, aber auch von der rechten Stadtregierung Córdobas brüsk abgelehnt.
 

Bintje

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(...)Ein ähnlicher Fall wie die Hagia Sophia, nur umgekehrt, ist die Mezquita Catedral in Córdoba. Die Moschee wurde nach der katholischen Eroberung zu einer katholischen Kirche umgewidmet, wobei die Kirche mitten in die Moschee hineingebaut wurde. Bis heute weigert sich die katholische Kirche, dort Muslimen das Beten zu gestatten. Der Vorschlag, den Komplex zu einem interreligiösen Gotteshaus zu machen, wurde von der Kirche, aber auch von der rechten Stadtregierung Córdobas brüsk abgelehnt.

Wenn Religioten und Ideologen an einem Strang ziehen, wird's grundsätzlich übel. :rolleyes: o_O
 

Alubehütet

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Mir hat sich eingeprägt, als ich wieder einmal im Aachener Dom stand und ich auf einmal den Eindruck hatte: Ich stehe ja gar nicht in einer Kirche. Ich stehe in einer Moschee! – Also, spätere Anbauten mal weggedacht.

Aix_dom_int_vue_cote.jpg

Tatsächlich. Ich stehe in einer Mini-Hagia-Sophia. Die Hagia Sophia war Vorbild aller christlichen Sakralbauten, bis dann Romanik, Gotik, Renaissance, Barock ... kamen. Und eben nicht nur der Moscheen bis heute. Und darum gehört sie nicht mehr nur Muslimen, aber auch nicht mehr den Christen, die Muslime haben sie erfolgreich adoptiert.

Eigentlich, so wurde es hier vorgeschlagen, sollte tatsächlich dort das Freitagsgebet stattfinden und die Sonntagsmesse. Denke aber, gerade die orthodoxen Ikonen (Heiligenbilder) werden bei Muslimen zu Recht Anstoß erregen, genießen sie doch religiöse Verehrung (Bilderverbot). Also so belassen, wie es ist, aber individuell dort beten sollte man wieder dürfen.

Und dann hat dieser Bau noch den genialen, interkonfessionellen Namen „Heilige Weisheit“. „Dreifaltigkeitskirche“ wäre doof gewesen, aber Ayasofya, das konnten die Osmanen guten Gewissens übernehmen.
 
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Bintje

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So, das war's.

"Das Oberste Verwaltungsgericht in der Türkei hat den Status der berühmten Hagia Sophia in Istanbul als Museum annulliert und ermöglicht so die Nutzung der einstigen Kirche als Moschee. Das berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Der Kuppelbau gehört als Teil der Istanbuler Altstadt zum Unesco-Welterbe. Die UN-Kulturorganisation hatte die Türkei zuvor vor der eigenmächtigen Umwandlung gewarnt und vor der Entscheidung zum Dialog aufgerufen. Ein Staat dürfe "keine Veränderung an dem herausragenden universellen Wert" eines Welterbe-Monuments vornehmen. Mit diesem Titel seien "eine Reihe von Zusagen und rechtlichen Verpflichtungen verbunden"."

https://www.zeit.de/kultur/2020-07/recep-tayyip-erdogan-unesco-hagia-sophia-umbau-moschee

Sollen sie machen. Hoffentlich macht die Unesco Nägel mit Köpfen, wenn die Hagia Sophia umgebaut wird. Den prestigeträchtigen Welterbe-Status braucht's dann nicht mehr.
 

Burebista

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Wenn Religioten und Ideologen an einem Strang ziehen, wird's grundsätzlich übel. :rolleyes: o_O
Du bist weit weg... Kannst nicht verstehen. Die
In Deutschland werden mangels Gläubigen Kirchen zu Wohnhäusern oder Kultursälen. Das Christentum hat zum Aufbau seiner Kirchen oftmals heidnische Kultplätze verwendet.
Warum sollte dann in der Türkei eine Kirche nicht zur Moschee und dann zum Museum und wieder zurück umgewidmet werden? An der ganzen Geschichte ärgert uns doch nur Erdogan.
:) Nein. An der ganzen Geschichte erinnert uns doch nur Erdogan. Und demütigt uns noch einmal Erdogan. Ärger ist nicht das passende Wort.
Mal sehen was im ganzen Balkan und Russland passieren wird, wenn die Hagia Sophia mal tatsächlich wieder eine Moschee sein wird. Ärger wird nicht das passende Wort sein.
So ein Blödsinn hätte ich mir nie gedacht: Hunderttausende oder sogar Millionen Türkeifreunde auf einmal als Feinde zu gewinnen... Die Ostchristen werden das den Türken nicht verzeihen.
 
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Bintje

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Mich macht es auch traurig.

Die Ayasofya war das erste, was ich von Istanbul sah. Eine liebe alevitische Freundin, die dort lebte, war der Meinung, wir müssten unbedingt hin. Später, sagte ich, nein, beharrte sie: jetzt! Es war Frühherbst, und nach tagelangen heftigen Regenfällen kam das erste Mal wieder die Sonne durch.
Es war überwältigend!, das Licht, der Nachhall des Raumes, die ganze Architektur.
Ich habe mich sofort in den Bau verliebt, sofort, wusste genau, was meine Freundin daran faszinierte.
Und jedesmal, wenn ich an Istanbul dachte, Sehnsucht hatte, musste ich auch daran denken.

Die Freundin habe ich leider verloren.
Jetzt auch den Ort, diesen speziellen Ort.

-.-
 

Burebista

Well-Known Member
Mir hat sich eingeprägt, als ich wieder einmal im Aachener Dom stand und ich auf einmal den Eindruck hatte: Ich stehe ja gar nicht in einer Kirche. Ich stehe in einer Moschee! – Also, spätere Anbauten mal weggedacht.

Den Anhang 16163 betrachten

Tatsächlich. Ich stehe in einer Mini-Hagia-Sophia. Die Hagia Sophia war Vorbild aller christlichen Sakralbauten, bis dann Romanik, Gotik, Renaissance, Barock ... kamen. Und eben nicht nur der Moscheen bis heute. Und darum gehört sie nicht mehr nur Muslimen, aber auch nicht mehr den Christen, die Muslime haben sie erfolgreich adoptiert.

Eigentlich, so wurde es hier vorgeschlagen, sollte tatsächlich dort das Freitagsgebet stattfinden und die Sonntagsmesse. Denke aber, gerade die orthodoxen Ikonen (Heiligenbilder) werden bei Muslimen zu Recht Anstoß erregen, genießen sie doch religiöse Verehrung (Bilderverbot). Also so belassen, wie es ist, aber individuell dort beten sollte man wieder dürfen.

Und dann hat dieser Bau noch den genialen, interkonfessionellen Namen „Heilige Weisheit“. „Dreifaltigkeitskirche“ wäre doof gewesen, aber Ayasofya, das konnten die Osmanen guten Gewissens übernehmen.

Na ja, die Christen haben die Kuppel auch aus dem Osten später aufgenommen (aber nicht von den Türken...) und adaptiert.
Hagia Sophia war wirklich eine Synthese der Kunstformen.

Muslimisches Freitagsgebet und christliche Sonntagsmesse passen nicht zusammen . Denn beide Religionen haben als gemeinsames Element die Gewissheit der "Unreinheit", die man weg machen soll. Die Muslime durch das Waschenritual, die Christen durch das Weihe. Dieses Gewissen über die geistliche Unreinheit wird in Osteuropa wirklich erlebt, jetzt nicht mehr so oft wie früher. Aber trotzdem.
Interessant ist, dass es in Rum. 2 Wörter gibt:
lateinisch: spurcat (von spurcare - verunreinigen). Nur religiös angesehen: geistlich verunreinigt;
türkisch: murdar. Nur was das materielle Schmutz betrifft: "sufragerie murdara" bedeutet ein schmutziges zentrales Hauszimmer, wo Gäste ans Tisch eingeladen werden. "Casa murdara" bedeutet schmutziges Haus und "strada murdara" eine schmutzige Straße :)
Schmutz heißt im Rum. "murdarie". Spirituelle Unreinheit heißt dagegen "spurcaciune"
Also. Für muslimische Gläubige bedeutet eine christliche Sonntagsmesse eine Verunreinigung des Raumes. Und dasselbe umgekehrt auch für die Ostchristen. Man müsse dann das Raum wieder weihen lassen, um es spirituell zu reinigen.
Im Westen kennt man das nicht mehr. Diese Manie für die geistliche Reinheit.
Im Osten schon. Im Ostchristentum gibt es nur die Weihe, einfach und für alles. Im Islam gibt es eine wahre Kasuistik wie man die Unreinheit wegschafft. Und wieviel Wasser man braucht, wenn es fließt oder im Eimer steht usw. usf. :)
 
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