Man fragt sich ja, wie die einst so reiche islamische Kultur so impotent geworden ist, daß sie noch nicht einmal mehr in der Lage ist, eigene Verschwörungstheorien hervorzubringen. Juden, Freimaurer, Finanzkapital ... selbst ihre Feindbilder übernehmen sie vom Westen.
Da ist wohl weniger die islamische Kultur am Werke als eine Kultur des Kapitals. Nur ist diese nicht jüdischen, sondern calvinistisch schweizerischen Ursprungs. Die calvinistische Republik Genf war der Startschuß für den Aufstieg der sich selbst verteidigenden Städte gegen die Milizen des Bischofs und des Fürsten, die nun nicht mehr so ohne weiteres plündern oder aushungern konnte. Es konnte Geld angesammelt, in neue Geschäfte und Kriege investiert werden, Fürsten wurden zu Kunden, ob kirchlich oder weltlich. Was auf der einen Seite bürgerliche Emanzipation heißt, ist auf der anderen Seite der Code der Profitrate, diesmal etwas besser verteilt, aber immer noch nicht so, daß alle partizipieren. Denn die bürgerliche Gesellschaft ist eine Konkurrenzgesellschaft, so daß mindestens die Hälfte, wenn nicht mehr, leer ausgehen. Ökonomisch wie kulturell. D. h. im System der Konkurrenzgesellschaft wird es immer Verlierer geben. Wenn die einen aufsteigen, also gewinnen, werden andere absteigen, selbst dann, wenn sie bleiben, wo und wie sie sind. Darum ja auch der Wahlkampf mit der Angst vor dem Abstieg. Alle wissen, daß er nicht nur möglich, sondern Teil des Systems ist.
Erdogan kommuniziert, daß der Islam eine konkurrenzfähige Antwort auf den Kapitalismus darstelle. Er und seine Wähler verwechseln Kategorien. Möglich ist wohl den politischen Richtlinien ein religiöses Bekenntnis zu Seite zu stellen, Wirtschaft funktioniert dagegen ganz ohne Religion. Der Islam hilft nicht, den Kapitalismus zu überwinden. Er ist ein Trostmittel wie einstmals das Christentum im überwiegend armen Europa.