Der Sammelbegriff ist eben Rassismus, weil sich beides dadurch motiviert. Die eine Reaktion auf die empfundene Abneigung ist nur heftiger als die andere.
Liebe Eru, ich halte es für eine der wichtigsten Grundlagen der Freiheit des Menschen, dass er selbst entscheiden kann, in welchem Zusammenhang er verallgemeinert und wo er eher zu differenzieren bereit ist. Du neigst hier, übrigens ebenso wie der Rassist, eher dazu, eine Menge Menschen unter demselben Oberbegriff zu verallgemeinern, die meines Erachtens weitaus mehr und gravierendere Unterschiede aufweisen als die Gemeinsamkeit, dass sich ihr Handeln auf die eine oder andere Weise nachteilig für eine bestimmte Menscchengruppe auswirkt.
Rassisten vom Schlage einer Zschaepe, eines Mundtods oder meinetwegen auch eines Gaulands sind in meinen Augen nicht das Hauptproblem der Masse der Benachteiligten, weil sie sich selbst am Rand der Gesellschaft bewegen und gar nicht so viele Einflussmöglichkeiten besitzen. Das Hauptproblem sind diejenigen, die sich von den oben genannten klar abgrenzen, sich der fremdenfeindlichen Auswirkung ihrer Handlungen und Entscheidungen vielleicht noch nicht einmal bewusst sind und deshalb in der Regel auch gar nicht aus rassistischen Motiven handeln. Sie wehren sich aus ihrer Sicht durchaus berechtigt gegen den Rassismus-Vorwurf.
Es ist wichtig zu erkennen, dass die grundlegenden Mechanismen und Anlagen, die in ihrer letzten Konsequenz zum Rassismus führen, in jedem Menschen vorhanden sind. Jeder Mensch versucht Muster zu erkennen und Schubladen anzulegen, um die Komplexität der Welt zu verringern und sie dadurch handhabbar für sich zu machen. Dabei sind uns die meisten dieser Muster und Schubladen gar nicht bewusst, weil dieser Vorgang weitgehend automatisiert in unserem Gehirn vor sich geht.
Hat ein Mädchen, das überwiegend mit anderen Mädchen befreundet ist männerfeindliche Motive? Oder eine Junge, der vorzugsweise mit seinen überwiegend männlichen Kumpels abhängt, frauenfeindliche Motive? Nein, denn es könnte sein, dass das ganz natürlich so gekommen sind, weil sie einfach mehr Gemeinsamkeiten hatten und sich besser verstanden. Wenn jetzt einer dieser Jungs oder Mädels später Personaler wird und dann bei der Auswahl der Bewerber eher zum einen oder anderen Geschlecht neigt, vielleicht sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein, wird er dann zu einem Männer- oder Frauenfeind?
Verstehst Du, Muster, Schubladen und daraus sich ergebende Prioritäten sind immer vorhanden. Und sie sind immer mit einer gewissen Diskriminierung verbunden. Aber keiner würde einem Jungen oder Mädchen einen Vorwurf machen, wenn er seine Freunde nach solchen Prioritäten aussucht. Auch beim Personaler, der darauf bedacht ist, die bestmögliche Kooperation und Kommunkation im Team anzustreben, ist die Angelegenheit nicht immer eindeutig. Und irgendwann, noch weit bevor diese Prioritäten tatsächlich und bewusst rassistisch sein müssen, kommt es zu einer beträchtlichen und signifikanten Benachteiligung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Und das ist nicht in Ordnung und sollte bekämpft werden.
Aber mit dem Kampfbegriff Alltagsrassismus schießt man dabei völlig am Ziel vorbei und erreicht die Leute gar nicht, auf die es eigentlich ankommt. Denn die sehen sich - durchaus berechtigt - meilenweit davon entfernt, einem Dönerbudenbesitzer irgendein Leid zu wünschen oder die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in Anatolien entsorgen zu wollen. Wen willst Du damit also erreichen, was willst Du so verändern?
Unser Addressat müßte der Bildungsbürger sein, der stolz ist auf die Aufklärung, die Menschenrechte und seine demokratische Grundgesinnung und der selbst ein Stück weit erschüttert darüber wäre, welch fremdenfeindliche Auswirkungen seine eigenen Kriterien und Präferenzen, seine Entscheidungen haben. Der Lehrer etwa, der dem einen Schüler trotz vergleichbarer Leistungen höheres Potential zutraut als dem anderen und ihm darum eher eine Gymnasiumsempfehlung gibt. Oder der Professor, der die größere Religiösität des einen Studenten als fehlende Affinität zur Wissenschaft deutet. Oder den Personaler, der einfach nur eine gute Stimmung in seinem Team anstrebt, in dem zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts regelmäßig ein Weißwurstfrühstück stattfindet usw.
Das sind alles keine Rassisten und mit den meisten von ihnen ließe sich sehr gut darüber reden, wenn Du ihnen Zahlen vorlegst, welche Auswirkungen ihre scheinbar wertneutralen und rationalen Kriterien und Präferenzen für Angehörige einer bestimmten Bevölkerungsgruppe gesamtgesellschaftlich haben. Aber eben nicht, wenn Du sie von vornherein des Rassismus beschuldigst, wogegen sie sich völlig zu recht wehren oder was sie einfach nur ignorieren.