nsu: aufarbeitung

Bintje

Well-Known Member
Gestern abend bin ich mitten in eine Sendung zum Thema geraten. Da ging es ausser dem Werdegang der Zschäpe darum, ob und wer die Hintermänner der drei waren.
Es wurde unter anderem bezweifelt ob sie tatsächlich die Polizistin erschossen haben. Zeugen hatten zwei blutbefleckte Männer weg laufen sehen. Die angefertigten Phantombilder ähneln in keiner Weise Mundlos und dem anderen. Der Kreis um die drei muss evtl. wesentlich grösser gewesen sein. (...)

War das zufällig diese Doku? "Die Todesliste des NSU" von Rainer Fromm?

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-die-todesliste-des-nsu-100.html

Finde ich sehr sehenswert!
 

Bintje

Well-Known Member
Der Kreis um die drei muss evtl. wesentlich grösser gewesen sein. Ein V-Mann, natürlich aus der Szene, erzählte er habe seinem "Führungsoffizier" mitgeteilt das die drei Leute ermorden. Es ist ja die Frage ob man solchen Leuten wie dem V-Mann glauben kann. Aber das scheint ein Sumpf zu sein, den bestimmt niemand restlos aufklären möchte.

Der Kreis war sehr viel größer, das darf man als sicher annehmen. Dazu kommen die teils sehr akribischen Aufzeichnungen aus der sog. "Todesliste", die nahelegen, dass das Trio jeweils ortskundige Helfer bzw. Zuarbeiter hatte. Nicht nur, aber vor allem auch in Dortmund, wo die rechte Szene stark ist. Auf dieser Grundlage lässt sich trefflich spekulieren: Was, wenn sie von anderen Rechtsextremen nicht nur mit detaillierten Informationen über potenzielle Ziele, sondern regelrecht mit "Aufträgen" versorgt wurden? Zur menschenverachtenden Ideologie und dem Kerngeschäft des NSU - scheinbar wahllose und zusammenhanglose Mordanschläge auf Menschen mit ausländischen Wurzeln - würde das passen.

Aber so was oder anderes käme nur ans Licht, wenn Zschäpe auspacken würde.
Was sie wohl aus Überzeugung nicht tut, und sich selbst zuliebe auch nicht.
Zumindest dann nicht, wenn sie davon ausgeht, vielleicht irgendwann wieder auf freiem Fuß zu sein. Szene-Aussteiger leben gefährlich. Die sind praktisch schon tot, bevor sie den Knast verlassen (Ausnahmen wie Ingo Haßelbach bestätigen die Regel).

Es wäre nicht nur der politischen Hygiene halber gut, wenn das geklärt würde. Denn das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden hat durch die gesamten Ungereimtheiten, Aktenschreddereien und so weiter massiv gelitten. Und die Angehörigen der Opfer sind zu Recht interessiert, dass es vollständig geklärt wird. Deren Anwälte wendeten sich heute an die Öffentlichkeit: Schon 2016 haben sie eine Klage eingereicht, mit der sie erreichen wollen, dass [auch] der Staat juristisch zur Verantwortung gezogen wird und pochen jetzt erneut darauf.

„Das Gericht stellt den NSU als abgeschottetes Trio dar, das bereits vor dem Untertauchen seine Entscheidungen alleine traf“, heißt es in der Erklärung der Rechtsanwälte.

Damit würden die Ermittlungsbehörden davon freigesprochen, dass sie das NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach deren Untertauchen hätten finden können und müssen. Der Verfassungsschutz und „die strukturell rassistischen Ermittlungen zu Lasten der Angehörigen der Opfer“ würden gar nicht erwähnt. „Das Urteil darf nicht das Ende der Aufklärung bedeuten“, so die Anwälte.

Die Anwältin der Familie des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek, Seda Basay, sagte am Donnerstag in Berlin: „Wir möchten, dass ein Gericht in Deutschland feststellt, dass der Staat versagt hat." Das solle mit einer bereits eingereichten Staatshaftungsklage erreicht werden.

https://www.welt.de/politik/deutsch...ht-feststellt-dass-der-Staat-versagt-hat.html
 
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sommersonne

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Kann sein, aber ganz genau weiss ich es nicht, bin ja mittendrin dazu gekommen. Es war auf jeden Fall sehr interessant und von der Liste wurde auch berichtet. (kann es jetzt nicht auch noch einmal ansehen)
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Warum der Senat darauf besteht, daß es sich bloß um ein Trio auf einer einsamen, abgeschotteten Insel ohne Kontakt zur regionalen und nationalen Neonaziszene gehandelt haben soll, ist mir auch schleierhaft.
Wenn die Revision Erfolg haben soll, muß Zschäpe reden, also wer die "Verbindungsoffiziere" waren, die Geld, Waffen, Wohnstatt, Fahrzeuge und Papiere besorgt haben. Sie haben ja nicht 12 Jahre in der Kanalisation gelebt. Sondern oben, in der Gesellschaft so wie wir.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Von mir aus kann sie die hohe Strafe ruhig haben, sie hätte die beiden Männer jederzeit verlassen können. Aber es macht auf mich schon den Eindruck als büsse sie jetzt für die beiden Männer mit, die man nun nicht mehr belangen kann.
Natürlich büßt sie für die Taten ihrer Freunde, die auch ihre eigenen sind, da sie diese Taten weder verhindert noch nach Kenntnis angezeigt hat. Sie ist ja in geistiger Hinsicht nicht eingeschränkt und wusste sehr genau, dass Mord ein Kapitalverbrechen ist. Ideologische Verblendung ist kein Strafminderungsgrund.
Zugleich, und da gebe ich dir recht, war sie die ideale scape goat (passt besser als Sündenbock). Die gesamte Aufmerksamkeit stürzt sich wahlweise auf die Domina oder Sklavin, so dass das große Netz- und Unterstützerwerk bis hinein ins Kanzleramt (dem die Geheimdienste unterstehen) an den Rand gedrängt wurde.
Ein Jahrzehnt wurde was von Dönermorden gefaselt, ein Jahrzehnt der recht liberalen deuten Gesellschaft die Idee einer türkischen Mafia in Deutschland infiltriert. Als die Nummer platze ging es dann weiter mit der Islamophobie, um die Ressentiments zu stärken und salonfähig zu machen.
Mit dem Einzug von Gauland et al ins Parlament ist die Strategie ziemlich gut aufgegangen.

Deutsche Politik, also die Politik zwischen den Blöcken, ist nicht einfach. Einerseits die von Putin gesponserten Rechten im Nacken, andererseits den von Putin gesponserten amerikanischen Präsidenten vor der Brust, der seine Waffen unverzollt in die EU verkaufen will.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Wenn die Revision Erfolg haben soll, muß Zschäpe reden, also wer die "Verbindungsoffiziere" waren, die Geld, Waffen, Wohnstatt, Fahrzeuge und Papiere besorgt haben. Sie haben ja nicht 12 Jahre in der Kanalisation gelebt. Sondern oben, in der Gesellschaft so wie wir.
Ähm. Bin überrascht, daß wir hier nicht auf dem selben Informationsstand sind.

Es sind bislang sechs wichtige Zeugen ums Leben gekommen. Übermorgen wollten sie eine wichtige Aussage machen, haben sich aber heute in einem Auto explodieren lassen. Sind mit dreißig an unerkannter Diabetes gestorben. Seine Freundin wenig später mit Lungenembolie. Stets hat die Polizei wichtige Spüren ärgerlicherweise gerade nicht gesichert. Eine Familie hat ein ausgebrannten Auto aufkaufen und vor dem Verschrotten bewahren müssen, einen eigenen Gutachter beauftragen, um nachweisen zu können, daß ihr Sohn hat nicht mehr am Leben sein können, als die Kiste in Brand gesetzt wurde.

Zschäpe wird nicht auspacken. Sie wird im Knast vermodern oder nicht mehr lange leben. Zum Auspacken wird sie nicht kommen.

Zum Einlesen. :)
 
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Bintje

Well-Known Member
Zschäpe wird nicht auspacken. Sie wird im Knast vermodern oder nicht mehr lange leben. Zum Auspacken wird sie nicht kommen.

Es sei denn, sie macht's und bekommt zur Entlassung eine neue Identität (in 20, 24 Jahren oder so unter Anrechnung der U-Haft, vorausgesetzt, das jetzt verhängte Strafmaß hat Bestand). Bei Kay Diesner, einem verurteilten Rechtsterroristen, der u.a. wegen Mordes 19 Jahre lang saß, haben sie das gemacht. Davor hatte er sich öffentlich von der Szene losgesagt. Der lebt seit 2016 irgendwo unter neuem Namen.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
vorausgesetzt, das jetzt verhängte Strafmaß hat Bestand
Die Revision beinhaltet durchaus ein Risiko für Zschäpe, wenn sie nämlich wegen Unberechenbarkeit in anschließende Sicherheitsverwahrung genommen wird. Mit diesem Urteil hat sie ungefähr die Hälfte der Strafe abgesessen. Bei einem Dutzend Morden kein schlechter Deal. Das wissen auch die Verteidiger.
Eine Revision ist nur möglich, wenn die Verteidiger gute Gründe für ein Wiederaufnahmeverfahren in der Frage um die Beihilfe zu Mord vorbringen können. Dann müsste Zschäpe sprechen und erklären, warum sie dachte, dass es sich nicht um Mord, sondern um einen Staatsauftrag gehandelt habe. Bevor das passiert, wird sie sich mit ihrem Schal erhängen. Da gebe ich @Alubehütet recht.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Revision heißt nicht, daß das ganze Verfahren inklusive Beweisaufnahme noch einmal aufgerollt wird. Etwa, weil neue Tatsachen ans Licht gekommen wären; Zeugenaussagen, DNA-Spuren. Revision bedeutet, daß man das Urteil aufgrund der ermittelten Faktenlage noch einmal prüft. Das ist eine rein juristische Geschichte: Kann man aufgrund der Faktenlage nicht auch zu einer anderen Bewertung kommen, einem milderen Urteil?

Sicherheitsverwahrung sehe ich nicht, das wäre der Fall bei einer möglichen Wiederholungsgefahr. Die Zschäpe hat nicht aus sadistischen oder sexuellen Motiven gehandelt, auch nicht aufgrund einer wahnhaften Persönlichkeitsstörung. Ich sehe keinen Grund zur Annahme, daß sie nach der Entlassung eine neue Terrorgruppe aufbauen könnte.

Festgestellt wurde eine besondere Schwere der Schuld. Heißt, sie käme frühestens nach 17 Jahren insgesamt aus dem Bau; Wikipedia meint, üblich wäre ein Aufschlag von 10 Jahren, bei wiederholten Mord aus besonders abartigen Motiven können daraus aber auch schon mal 25 werden und mehr. Dagegen lohnt sich eine Revision auf alle Fälle.
 

Bintje

Well-Known Member
Mit diesem Urteil hat sie ungefähr die Hälfte der Strafe abgesessen.

Zschäpe sitzt seit Ende 2011, das sind knapp sieben Jahre. Lebenslang bedeutet im deutschen Justizvollzug in der Regel 15 Jahre, was aber auch ohne besondere Schwere der Schuld deutlich länger ausfallen kann. Oft ist das so. Die Statistiken der Landesjustizministerien weisen als durchschnittliche Haftdauer bei derartigen Langstrafen zwischen 17, 18 und in Einzelfällen bis zu 28 oder 29 Jahren aus. Besondere Schuldschwere bedeutet, dass sie keinesfalls eine vorzeitige Entlassung (wegen guter Führung, positiver Sozialprognose usw.) beantragen kann.

Solange sie eine Abkehr von der Szene nicht glaubhaft macht, weil sie zum Beispiel redet, wird sie richtig lange sitzen. Dann ist das, was sie bis jetzt hinter sich hat, schätzungsweise erst ein Drittel. Oder weniger.

Eine Revision ist nur möglich, wenn die Verteidiger gute Gründe für ein Wiederaufnahmeverfahren in der Frage um die Beihilfe zu Mord vorbringen können.

Verzeih, aber das geht jetzt ein bisschen durcheinander: Revision einlegen bedeutet nur, dass der Bundesgerichtshof das Urteil auf abstrakte Normen und mögliche verfahrensrechtliche Fehler prüfen soll.
Da geht es nicht um Inhalte, nur um das Formale. Wenn die Bundesrichter die Revision zulassen und zum Beispiel der Ansicht sind, dass dieser oder jener rechtliche Aspekt nur unzureichend geprüft wurde, können sie das Verfahren - oder nur jenen angenommenen Teilaspekt - zur Neuverhandlung an ein anderes Gericht verweisen. Dann gibt es eine neue Beweisaufnahme und am Ende ein Urteil. Eine Wiederaufnahme ist etwas anderes.
 
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