TÜRkenkalender oder die Zeit zur Ruhe zu kommen...

Hanni Heini

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Türchen 18


Das perfekte Verbrechen

In London geben die Heizkörper Wärme ab, wenn man sie durch einen Schlitz mit Geldstücken füttert.
Arm also ist, wer in einem strengen Winter keine Münzen besitzt, um die Heizung seiner Wohnung in Betrieb zu nehmen. In dieser Lage befanden sich einige Lateinamerikaner, die von den Militärdiktaturen ihrer Länder ins Exil gejagt worden waren. Zitternd vor Kälte saßen sie in ihrer Unterkunft und starrten wie gebannt auf den Heizstrahler, unterwürfig, wie vor einem Toten, wie in einem stummen Gebet befangen.
Sie dachten angestrengt nach, wie sie das Britische Imperium überlisten könnten. Mit Münzen aus Blech oder Pappe würde sich zwar der Radiator, nicht aber der Stromkassierer bei seinem nächsten Besuch übertölpeln lassen.

Was tun?, fragten sich die Exilierten. Sie schlotterten wie im Malariafieber, klapperten mit den Zähnen und zerbrachen sich die Köpfe. Da stieß einer von ihnen plötzlich einen wilden Schrei aus, der die Fundamente der westlichen Zivilisation nachhaltig erschütterte. Das war die Geburtsstunde der Münze aus Eis, ersonnen von einem armen, halb erfrorenen Mann aus den Tropen.


Augenblicklich gingen sie zu Werke. Sie machten Wachsformen, deren Hohlräume perfekte Nachbildungen britischer Münzen waren, gossen die Formen mit Wasser aus und stellten sie dann ins Gefrierfach.
Die Münzen aus Eis hinterließen keine Spuren, weil sie sich in der Wärme auflösten.
Und von Stund an verwandelte sich die Londoner Wohnung in einen Strand der Karibik.



Eduardo Galeano.
 

Hanni Heini

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Türchen 19


“Wenn ich mein Leben
noch einmal leben könnte, im nächsten Leben, würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen, ich würde mich mehr entspannen.


Ich wäre ein bisschen verrückter, als ich es gewesen bin,
ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
Ich würde nicht so gesund leben, würde mehr riskieren.
Ich würde mehr reisen, mehr Sonnenuntergänge betrachten,
mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen.


Ich würde an mehr Orte gehen, wo ich vorher noch nie war.
Ich würde mehr Eis essen and weniger dicke Bohnen.
Ich würde mehr echte Probleme als eingebildete haben.


Ich war einer dieser klugen Menschen, die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten.
Freilich hatte ich auch Momente der Freude, aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben.


Falls du es noch nicht weißt, aus diesen besteht nämlich das Leben, nur aus Augenblicken.
Vergiß nicht das Jetzt!


Ich war einer derjenigen, die nirgendwo hingingen
ohne ein Thermometer, eine Wärmeflasche, einen Regenschirm und Fallschirm.
Wenn ich noch einmal leben könnte, würde ich leichter reisen.


Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn an bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.
Ich würde mehr Karussel fahren, mir mehr Sonnenaufgänge ansehen und mehr mit Kindern spielen,
wenn ich das Leben noch vor mir hätte.


Aber sehen Sie… ich bin 85 Jahre alt und weiß, daß ich bald sterben werde.”



Jorge Luís Borges
 

Hanni Heini

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Türchen 20


Was zählt

Aber - organisierte Religion hin, organisierte Religion her –
ich wünsche mir, dass ihr alle ein bisschen fromm werdet. Vergesst das Beste nicht!

Ich meine damit, dass ihr Gott manchmal lobt, nicht immer –
das tun nur Schwätzer und Höflinge Gottes -,
aber doch manchmal, wenn ihr glücklich seid,
so dass das Glück ganz von selbst in die Dankbarkeit fließt
und ihr „Halleluja“ oder das große Om der indischen Religion singt.

Eins von euch, ich glaube, es war Caroline, hat mal beim Besuch einer scheußlichen Kirche,
in die wir euch bei Reisen schleppten, trocken gesagt: 'Ist kein Gott drin.'
Genau das soll in eurem Leben nicht so sein,
es soll 'Gott drin sein',
am Meer und in den Wolken, in der Kerze, in der Musik und natürlich in der Liebe.“



Dorothee Sölle, aus einem Brief an ihre Enkelkinder
 

Hanni Heini

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Türchen 21


Was würden Sie tun,
wenn Sie das neue Jahr regieren könnten?


Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich
Die ersten Nächte schlaflos verbringen
Und darauf tagelang ängstlich und kleinlich
Ganz dumme, selbstsüchtige Pläne schwingen.


Dann – hoffentlich – aber laut lachen
Und endlich den lieben Gott abends leise
Bitten, doch wieder nach seiner Weise
Das neue Jahr göttlich selber zu machen.



Joachim Ringelnatz
 

Hanni Heini

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Türchen 22


Das Tagesgeschenk

Stell Dir vor, jeden Morgen stellt Dir eine Bank 86.400 Euro auf Deinem Konto zur Verfügung.
Du kannst den gesamten Betrag an einem Tag ausgeben.
Allerdings kannst Du nichts sparen, was Du nicht ausgegeben hast, verfällt.
Aber jeden Morgen, wenn Du erwachst,
eröffnet Dir die Bank ein neues Konto mit neuen 86.400 Euro für den kommenden Tag.


Außerdem kann Dir die Bank das Konto jederzeit ohne Vorwarnung schließen.
Sie kann sagen: das Spiel ist aus. Was würdest Du tun?


Dieses Spiel ist Realität: Jeder von uns hat so eine magische Bank: die Zeit.
Jeden Morgen bekommen wir 86.400 Sekunden Leben für den Tag geschenkt.
Was wir an diesem Tag nicht gelebt haben, ist verloren, für immer verloren.
Aber jeden Morgen beginnt sich das Konto neu zu füllen.


Was also machst Du mit Deinen täglichen 86.400 Sekunden?



Marc Levy
 

Hanni Heini

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Türchen 23


Ich habe einen Traum

Ich habe einen Traum. Ich halte die Welt der schlechten Nachrichten einfach an.

Aus den Studiolautsprechern kommt eine Durchsage des Regisseurs:
"Das heute-journal fällt aus. Es gibt nichts, was wir zu vermelden brauchten.
Wir senden stattdessen ein Schwarzbild. Schönen Feierabend."


Ich zappe durch zwei deutsche Nachrichtenkanäle. Auf n-tv läuft nur das Wetter
und sich ständig wiederholende Berichte über den Start des Senders vor zehn Jahren.
N24 wiederholt Tierdokumentationen aus den sechziger Jahren.
Auf einem Laufband steht: "Es gibt gerade nichts Neues."


Die Telefone laufen heiß. Tausende Zuschauer beschweren sich.
"Wo bleiben die Toten, wo die miserablen Konjunkturdaten?", fragen sie empört.
Das ZDF bringt nach dem 30-minütigen Schwarzbild eine Sondersendung zum Thema:
"Nichts ist das Neue. Wie wir ab sofort ohne News leben müssen."


RTL vermeldet unter dem Signet "Breaking News":
"Ruhe vor dem Sturm: Geheimnisvoller Frieden erschüttert die Welt. Tausende Reporter bald ohne Arbeit?"
Die Nachrichtenagentur dpa versendet eine Eilmeldung:
" Bild hat Hinweise auf Kollaboration von friedlichen Elementen weltweit."
Die ARD ruft eilig die Chefredakteure der Regionalsender zusammen. Der Programmauftrag sei in Gefahr. Schon befürchte man einen Einbruch bei den Gebühren.

Die Nachrichtenagenturen überbieten sich mit immer neuen Deutungen der plötzlich gewaltlosen Weltlage.
Im ZDF senden wir weiter Schwarzbild mit Untertiteln ("Es gibt nichts zu berichten – bleiben Sie dran!").

Am nächsten Morgen legt man uns die Zuschauerzahlen auf der Tisch:
Es waren die höchsten Einschaltquoten aller Zeiten.




Marietta Slomka, aufgezeichnet von Marc Kayser für "DIE ZEIT"
 

Hanni Heini

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Türchen 24

an dieser Stelle möchte ich mich bei euch allen bedanken,
die mich durch den "internationalen Advent" begleitet haben.
Hier in der Türkei kommt man schwer in "Weihnachtsstimmung"
und dieser Kalender hat mir jeden Tag ein wenig dabei geholfen.

Ich wünsche euch allen, dass für euch

"rote Rosen regnen",

dass euch

sämtliche Wunder begegnen,

dass die Welt sich umgestaltet und "ihre Sorgen für sich behält"


Und weil Hildegard Knef in diesem Video aussieht wie ein Weihnachtsbaum/Yilbaşı ağaç
passt es auch wunderbar zum Fest :)

 
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