Türkische Mafia und die Liebe

F

fee_peri

Guest
AW: Türkische Mafia und die Liebe

Hm, ich glaube, er tat dies wegen seiner Spielsucht. Obwohl ich bei ihm war, konnte er dem nicht widerstehen. Ich denke, er schlitterte da langsam wieder hinein. Bei Deniz waren schon die falschen Leute und um seine Spielschulden zu begleichen, wird er wohl jede Möglichkeit angenommen haben um Geld zu verdienen. Bei Cem war er dann "zu Hause", alles sehr familiär, "Freunde", einfach ein Platz um seine Freizeit zu verbringen. Er war nicht gern in seiner Wohnung, er musste jeden Tag "hinaus". Er erklärte mir einmal, dass, wenn man lange Zeit im Gefängnis war, es nicht einen Tag hinter verschlossenen Türen aushält und er jeden Tag die Wohnung verlassen muss. Ein gemütlicher Tag im Pyjama und zu Hause war für ihn undenkbar, da bekam er Beklemmungen. Bei Cem verbrachte er also seine Tage und Abende, es war sein Wohnzimmer.

Ich kenne ihn ja nicht persönlich, und kann mir nur ein Bild von deinen Übermittlungen malen..
Aber diese Diskrepanz, wie schon von Johanna angesprochen wurde, zerfrisst nicht nur ihn sondern auch dich höchst wahrscheinlich!
Ich will nichts näheres dazu schreiben bevor wir deine Geschichte zu Ende hören, aber ich hoffe es geht positiv für dich aus...

Bitte las nicht lange warten
Seid ihr eigentlich noch zusammen? Also aktuell noch Kontakt, oder übermittelst du ein komplett abgeschlossene Beziehung?

Lg
 

schwarze Rose

Active Member
AW: Türkische Mafia und die Liebe

Liebe Eternelle,

auch ich bedanke mich bei dir fürs Weiterschreiben. Du schilderst sehr eindrücklich, was für eine zerrissene Persönlichkeit Ali ist. Auf der einen Seite jemand, der ein neues Leben anfangen möchte, aber auch auf der anderen Seite der Mensch, der es nicht schafft, seine Altlasten los zu werden.

Ich bin sehr gespannt, wie deine Geschichte weiter geht.
 

Aylin2009

Active Member
AW: Türkische Mafia und die Liebe

Boah ich hab schon wieder Gänsehaut.


Also mir haben sich unweigerlich ein paar Gemeinsamkeiten aufgedrängt, aber die sind zugegebener Maßen etwas weit her geholt.

Die Liebesschwüre "bis zum Tod", "du wirst immer mein sein" usw habe ich auch schon gehört. Mein Freund hat auch wortwörtlich zu mir gesagt "es ist egal wo wir wohnen, hauptsache wir sind zusammen. Wenn du nach China gehst, dann komme ich mit dir".

Mein Freund wurde mit 21 von seinem Vater nach Belgien geschickt, obwohl er seine komplette Jugend in Istanbul verbracht hat. Er hat mir dahingehend nur erzählt, dass er wegen Jugendsünden Probleme mit der Polizei hatte und seine Eltern es für besser hielten, wenn er in Belgien noch mal von vorne beginnt.

Als ich ihm vor ein paar Wochen mal mit der Idee konfrontierte, dass wir ja irgendwann mal nach Istanbul auswandern könnten, ich könne bis zu 6 Jahren unbezahlten Urlaub nehmen und in der Zeit könnten wir versuchen dort etwas aufzubauen, da wurde er plötzlich ganz ernst und sagte, dass Istanbul für ihn Geschichte sei und er nie wieder dort leben würde. Ich solle mir das aus dem Kopf schlagen. Ich konnte es überhaupt nicht verstehen, weil er super nationalstolz ist, sein Land und seine Stadt über alles liebt und in GEdanken eigentlich immer noch dort ist. Auf meine Nachfragen ging er aber überhaupt nicht ein. Er wich dem Thema aus und um mich selbst zu schützen fragte ich nicht weiter nach, wollte auch nicht mehr drüber nachdenken.

Das ganze hätte ich nie mit der Mafia in Verbindung gebracht. Ich hab da ganz andere wilde Phantasien gehabt. :)

Aber nachdem ich jetzt gerade den Fortang deiner Geschichte gelesen habe, fiel mir ein, dass der Vater seines besten FReundes, quasi ein Bruder, im Gefängnis sitzt. Die Mutter des Freundes habe ich kennen gelernt. Eine nette frau, die in einer schicken Wohnung im Zentrum Istanbuls lebt ohne selbst arbeiten zu gehen. Als ich meinen Freund nach dem kennenlernen fragte, wie sie das macht, da erzählte er mir beiläufig, dass der Vater ein großes Tier der Istanbuler Mafia sei....ich fand die Geschichte damals zu abstrus und hab es als seine kleinjungen Phantasie abgetan....aber ganz ehrlich, beim Lesen deiner GEschichte habe ich gerade einen kurzen Moment darüber nachgedacht ob das alles einen Zusammenhang haben könnte.

Naja, lieber nicht. ich stehe gerade ein bissl neben mir :)

Jedenfalls bin ich sehr gespannt auf das Ende deiner Geschichte!
 

eternelle

Member
AW: Türkische Mafia und die Liebe

So, ihr Lieben, es ist vollbracht :) Ich bin fertig mit meiner Geschichte und das fühlt sich seeehr gut an! Danke fürs Mitfühlen und eure bisherigen Kommentare dazu.
Es sind übrigens jetzt insgesamt 41 Seiten geworden, wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich sicher nicht damit angefangen *g*

Liebe Grüße!
eternelle
 

eternelle

Member
AW: Türkische Mafia und die Liebe

Es sollte der letzte Tag und die letzte Nacht werden, obwohl es meine erste in dieser Woche bei ihm war, in der ich bei klarem Verstand war. Am nächsten Tag sollte ich das erfahren, was mich ein dreiviertel Jahr beruflich und privat aus der Bahn warf, mich zwang, erstmalig in meinem Leben, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der nächste Tag brachte mich dazu, mich von Ali zu trennen, obwohl ich ihn liebte. Der nächste Tag, der 14. Februar 09, der Valentinstag, zeigte mir alle Grausamkeit auf, die hinter Alis Fassade, und der seiner Freunde steckte…


Als ich am späten Vormittag erwachte, blickte ich direkt in seine Augen. Er hatte mich beim Schlafen beobachtet, lächelte mich an und meinte schelmisch grinsend:“ Askim, can you make coffee, please“. Wir führten oft Gespräche über Emanzipation, die Rolle der Frau im Islam oder der Türkei im Allgemeinen und ich machte ihm immer wieder klar, dass ich nicht seine Putzfrau und Köchin sein würde. Er hielt sich daran, oft standen wir gemeinsam in der Küche und wuschen und trockneten das Geschirr ab, oder er bekochte mich. Er betonte selber sehr oft, dass er sich eine moderne Frau wünsche und sehr europäisch denke. Aber das Kaffee- und Frühstückmachen in der Früh war meine Domäne und er genoss es sichtlich. Ich antworte ihm also übertrieben freundlich und genauso grinsend, dass ich natürlich alles für ihn tun würde und es mir eine Ehre sein würde, ihm den Kaffee ans Bett bringen zu dürfen. Er lachte, ich küsste ihn und ging in die Küche, vorbei an dem wunderschönen Blumenstrauß, den ich am Vorabend von ihm geschenkt bekam. Eine Rose war am Heimweg abgebrochen, es waren nur mehr dreizehn.

Um diese Jahreszeit war es in Alis Wohnung sehr ungemütlich. Er hatte keine Heizung, alleinig das Schlafzimmer wurde mit Klimaanlage warmgehalten, diese war aber sehr laut und wir schalteten sie immer wieder zwischendurch ab. Warmwasser gab es keines. Nur an Tagen, an denen die Sonne schien, war es möglich, mit Warmwasser zu duschen, da dann der Wasserbehälter und die Rohre am Dach des Hauses durch die Sonne erwärmt wurden. Schon bei meinem Besuch zu Silvester war das Duschen der reinste Horror.
Das Wasser war nicht nur kalt, es war so eisig, als käme es direkt aus einem Gebirgsbach. Skurrile Gespräche ergaben sich dadurch. Wenn ich meinte, ich würde jetzt duschen gehen, schob er den Vorhang des Fensters beiseite, schüttelte den Kopf und meinte: „Heute nicht, es regnet.“
Ich erhitzte dann mühsam Wasser in Töpfen am Herd, um wenigstens die notwendigsten Hygienemaßnahmen treffen zu können, ohne dabei zu erfrieren.

Auch an diesem Februartag war es bitterkalt in Alis Wohnung. Im Wohnzimmer fehlte bei einem Fenster die Glasscheibe. Einzig ein Vorhang hing notdürftig davor. Im Sommer war das egal, ab Herbst hatte er wohl durch Alkohol und Kartenspiel keinen Kopf dafür.
Also blieben wir den ganzen Nachmittag im Schlafzimmer, tranken Kaffee, aßen im Bett, und plauderten über Gott und die Welt, im wahrsten Sinne. Er war sehr belesen, in vielen Bereichen ungewöhnlich gebildet, auch geschichtlich beeindruckte er mich mit detailliertem Wissen über Europa. Er erzählte mir, dass er im Gefängnis unzählige Bücher las und dies für ihn ein Weg war, den Mauern zu entfliehen. In den Gefängnissen dort, er war in verschiedenen, gibt es keinerlei Angebote, keine Beschäftigungstherapie. Man vegetiert, zum absoluten Nichtstun verbannt, vor sich hin.
Für den Abend hatten wir geplant, Cem zu besuchen. Ich war seit meinem letzten Besuch im Jänner nicht mehr dort gewesen und Ali erzählte mir, alle würden sich freuen, mich wiederzusehen.

Ali hatte kein Handy mehr, er erzählte mir, er hätte unabsichtlich Wasser darüber geschüttet. Er hatte aber seine Sim-Karte immer bei sich, borgte sich auch schon im Vorfeld immer wieder Handys von Freunden aus, um von ihnen aus mit seiner Simkarte zu telefonieren. Mit mir vor Ort war das kein Problem, nur noch mehr Grund, die gesamte Zeit gemeinsam zu verbringen.

Gegen 20 Uhr brachen wir auf. Cems Place war dunkel, wir klopften mehrmals gegen die Tür, ehe uns endlich jemand aufschloss. Ich nahm mir vor, die Leute genau zu beobachten, war irgendwie naiv fasziniert von der Welt, die sich mir gleich auftun würde. Ich fühlte mich sicher an Alis Seite und wusste, dass mir mit ihm nichts passieren konnte, ich die „Yenge“ war, die man mit Ehrfurcht behandelte oder meist „respektvoll ignorierte“, woran ich mich mittlerweile gewohnt hatte.

Durch die unscheinbare Schiebetür in den hinteren Bereich gelangend, bot sich uns ein trostloses Bild. Es war dunkel, nur hinter der Bar brannte ein schwaches Licht, an einem einzigen Tisch saßen 2 Männer. Es gab keinen „Kellner“, die beiden waren die einzigen hier. Also musste einer von den beiden einen Schlüssel haben oder auch hier beschäftigt sein, mir ist das bis heute unklar. Sie boten uns einen Platz an ihrem Tisch an. Vor ihnen standen zwei Flaschen Wodka und ihre Gläser waren halb gefüllt. Ali und ich hatten Bier mitgebracht und er stellte unsere Getränke hinter der Bar in den Kühlschrank. Es war wie im Wohnzimmer, mit dem Unterschied, dass es hier warm war.

Einer der beiden Männer sprach ein bisschen Englisch und erklärte mir lächelnd, dass heute „sevgililer günü“ sei, Valentinstag. Die beiden seien zutiefst deprimiert, dass sie keine Freundin haben und müssten sich daher vor lauter Frust alleine betrinken. Beide grinsten mich nett an und prosteten mir zu. Ich musste lachen, so groß schienen die Unterschiede unserer beider Kulturen wohl nicht zu sein. Ali bestätigte mir, dass heute hier nichts los sei, habe den Grund, dass alle Männer zu Hause bei ihren Frauen wären. Wie nett! Zuerst die durch alle Fernsehkanäle hüpfenden Weihnachtsmänner, dann die „Jingle Bells“ Beschallung, jetzt noch der Tag eines christlichen Märtyrers, eines Bischofs, als Grund vieler Männer, zu Hause bei ihren Frauen zu bleiben. Schön, wenn aus religiösem Hintergrund ein traditioneller Brauch wird, der, populär gemacht, dann quer über die Kontinente schwappt und ein völker- und religionsverbindendes Brauchtum wird.
 

ege35

Well-Known Member
AW: Türkische Mafia und die Liebe

So, ihr Lieben, es ist vollbracht :) Ich bin fertig mit meiner Geschichte und das fühlt sich seeehr gut an! Danke fürs Mitfühlen und eure bisherigen Kommentare dazu.
Es sind übrigens jetzt insgesamt 41 Seiten geworden, wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich sicher nicht damit angefangen *g*

Liebe Grüße!
eternelle

Uuuuuuuuuund - wo bleibt deine Geschichte? Ich bin so gespannt!

Edit - hast mich überholt :)
 

eternelle

Member
AW: Türkische Mafia und die Liebe

Die beiden Männer waren mir sympathisch, beide um die 30 Jahre, sehr gepflegtes Äußeres und die offen zugegebene Sehnsucht nach einer Frau in ihrem Leben, löste in mir Gefühle des Verständnisses und des Mitfühlens aus. Ali verließ plötzlich mit einem der beiden das Lokal und ging in den malerischen Innenhof. Minuten später rief er mich zu sich. Als ich den Innenhof betrat, bei dem ich immer an den „schwarzen Mann“, den Patron, denken musste, sah ich, dass die beiden Marihuana rauchten. Ali bot mir den Joint an. Ich lehnte lächelnd ab, wollte ihn nicht bloß stellen und argumentierte, dass ich das Bier schon spüren würde, und deshalb nicht wollte, war aber gleichzeitig innerlich entrüstet. Ich sprach im Vorfeld mit Ali über Drogen und er versicherte mir, nur gelegentlich davon zu konsumieren. Ich war nur mittlerweile sehr vorsichtig Alis Aussagen gegenüber geworden. Ich weigerte mich ganz tief drinnen in mir, neben einem Alkohol-, Spielsucht-, und Mafiaproblem auch noch ein Drogenproblem dazuzunehmen. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel, ging dann zurück an den Tisch, atmete tief durch und war sehr nachdenklich. Welche Chance würde unsere Liebe haben. Was wird sich mir noch an Abgründen eröffnen, wie kann ich so einen Mann ändern, wie soll ich es anstellen, werde ich die Kraft dazu haben. Welchen Einfluss kann ich nehmen, wenn ich so weit entfernt lebe. Ein gemeinsames Leben in Österreich ist beinahe unmöglich, und ein gemeinsames Leben in der Türkei würde nichts an seinem Leben ändern.

Die beiden kamen zurück und es wurde der Plan geboren, in das Lokal zu wechseln, in dem wir Silvester waren. Es war ein gutes Stück entfernt, also überlegten wir, ein Taxi zu nehmen. Es folgte ein lebhafter Wortwechsel, einer zückte einen Autoschlüssel und wir fuhren los mit einem schicken, großen Auto, das vor der Türe stand. Ali und ich nahmen hinten Platz.

Während wir die breite Hauptstraße in Alanya entlangfuhren, riss mich Ali plötzlich zu Boden, er drückte meinen Kopf zwischen meinen Sitz und die Rückenlehne des Fahrers. Die drei Männer schrien sich an, gestikulierten, Ali drückte meinen Kopf mit enormer Kraft nach unten und schrie, er solle abbiegen, weg von der Hauptstraße. Der Fahrer riss das Steuer herum, bog ab, schnitt noch einige Kurven in kleinen Nebengassen, bis er das Auto parkte und Ali meinen Kopf freigab. Ein wildes Stimmengewirr entbrannte, sie schrien sich an, waren äußerst aufgeregt. Meine Fragen, was los sei, wurden ignoriert, Ali schnappte mich am Arm und zog mich wortlos in das Lokal, welches ich von Silvester kannte. Es dauerte eine Zeit, bis Ali mir endlich Rede und Antwort stand. Er erzählte, dass das Auto nicht dem Mann gehörte, er nur darauf aufzupassen hatte. Auf dem Weg bei der Ampel war ein Auto neben uns. Die Insassen sahen uns und sie durften nicht wissen, dass wir alle in dem Auto saßen, also versuchte er mich zu schützen, weil er und der Beifahrer glaubten zu sehen, dass die neben uns eine Waffe herausholten und auf uns zielten. Haarsträubend! Ich glaubte kein Wort. Warum versuchte Ali sich nicht zu ducken, warum versuchte er nur mich zu verstecken. Warum blieben der Beifahrer und Ali völlig aufrecht sitzen, während er mich zu Boden drückte? Warum durfte man mich nicht sehen? Ich weiß es bis heute nicht! Ich weiß nur, dass ich ihm die Geschichte nicht glaube. Da die beiden anderen Männer sofort wieder mit Ali in ein heftiges türkisches Gespräch einstiegen, beschloss ich, wieder einmal, das morgen mit ihm in Ruhe zu besprechen. Hier, bei Musik und in einem Lokal wäre das mühsam.


Auch in diesem Lokal war wenig los. Als der Kellner die Raki-Tafel brachte und uns einschenken wollte, deutete Ali, wie immer, dem Kellner, er wolle selber einschenken und verzichte darauf, dass dies der Kellner vornahm. Anfangs fand ich das überzeichnet und arrogant, mit der Zeit lernte ich, dass dies zum eigenen Schutze war. Ali wollte sicher gehen, dass die Raki Flasche original verschlossen war, zu viel würde hier gepanscht werden, und er wollte sich überzeugen, dass der Verschluss versiegelt war und keine minderwertigen, oder gesundheitsbedenklichen Stoffe beigemengt worden waren. Das Leben hier war ein einziges Misstrauen gegenüber allem und jedem.
 

eternelle

Member
AW: Türkische Mafia und die Liebe

Die Stimmung blieb angespannt, mir saß der Schock noch in den Knochen, quer über zwei Autos an einer Ampel beinahe angeschossen worden zu sein, obwohl ich so meine Zweifel an der Geschichte hatte und noch immer habe. Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.
Die Türe zum Lokal öffnete sich. Der Rosenverkäufer, dem Ali am Vorabend die 14 Rosen abgekauft hatte, stand in der Tür, an zwei Krücken gestützt, humpelnd. Dabei war eine blonde, große, besonders gutaussehende Frau Mitte dreißig, die ich schon zuvor einmal bei Cem sah, die auch hier in dem Lokal am Silvesterabend kellnerte. Ich nahm damals an, sie sei eine Prostituierte, heute glaube ich, sie nahm sich viel eher der Damen an, verwaltete sie und organisierte, war die „Puffmutter“, wie man hierzulande sagen würde. Ansonsten hätte man niemals so gleichberechtigt und respektvoll mit ihr bei Cem geplaudert. Sie hatte ihren Einfluss auf ihre Weise, war sehr charismatisch und ignorierte mich völlig.
Der humpelnde Rosenverkäufer, ein kleiner, schmächtiger Mann um die 60, kam zu unserem Tisch, direkt auf Ali zu. Aufregung, laute Worte, jeder schrie, die Blonde blieb bei der Tür stehen und beobachtete das Ganze. Der Rosenverkäufer und Ali stritten. Ali sprang von seinem Sessel auf, gestikulierte wild, schrie ihn an. Im Jänner hatten wir eben jenen Rosenverkäufer einmal auf ein Getränk an unseren Tisch geladen, Ali und ihn verband eine Freundschaft, sie kannten sich lange und er sprach nur Gutes von ihm. Er stützte sich in seine Krücken, die er am Vorabend noch nicht hatte, wirkte verzweifelt und gleichzeitig vorwurfsvoll, er war definitiv wütend auf Ali. Als er langsam wieder zur Türe ging, warf uns die blonde Schönheit einen missbilligenden Blick zu, verzog die Mundwinkel abfällig und verließ mit dem Rosenverkäufer das Lokal. Erneute Aufregung am Tisch.

Heute weiß ich, dass den guten Mann, aus welchem Grund auch immer, die Rache der Mafia traf, dass ein Schuss ins Bein ihre grausame Signatur war. Damals wusste ich das noch nicht, und dachte allen Ernstes nur an einen Unfall, einen Verkehrsunfall oder sonstiges. Begegnet mir in Österreich ein Mann auf Krücken, ist das Letzte, was ich vermute, dass er angeschossen worden ist! Bringt mir ein Kellner eine Flasche Wein, ist das Letzte was ich vermute, dass der schon geöffnet und gestreckt wurde. Woher sollte ich nur irgendeine Ahnung haben! Man mag mir Naivität vorwerfen, ich nenne es Unwissenheit, oder besser „Unerfahrenheit“.
Hat man sein ganzes Leben mit so etwas nicht zu tun, sieht man hinter Frauenhändlern Hotelmanager und hinter Mafiawerken Sportunfälle. Weil man mit so etwas nicht rechnet, dies außerhalb des Möglichen liegt, außerhalb der Erfahrungswerte. Wenn der Rosenverkäufer also „abgestraft“ wurde, warum war er so wütend auf Ali? Warum steckte er da schon wieder mit unter der Decke? Worum ging es hier?

Ich fragte Ali was los gewesen sei, ich war außer mir, voller Sorge, die Stimmung am Tisch war kaum zu ertragen, Ali war wie ausgewechselt. Als knappe Antwort bekam ich nur, der Rosenverkäufer wollte Geld von ihm und er wollte ihm nichts geben. Damit speiste er mich ab. In dem Moment wusste ich schon, dass das nicht so einen Aufregung verursachen könne. Unsere beiden Begleiter nahmen ihn dermaßen gesprächsmäßig in Beschlag, dass ich mich in Geduld übte. Die drei Männer diskutierten herzhaft und ich setzte diesen Vorfall auf meine Liste, die ich morgen mit ihm in Ruhe zu Hause zu besprechen hatte. Ich lehnte mich zurück, meine Gedanken drifteten ab, mir wurde alles zu viel. Ich verstand kein Wort, hatte keine Lust mehr, Brocken herauszuhören, die ich verstand und mir zusammenzureimen, worüber gerade gesprochen wurde. Ich wollte in Alis Wohnung, mit ihm alleine sein, und über den seltsamen Abend aufgeklärt werden. Ich war erst am Vorabend angekommen, also noch keine 24 Stunden in dieser Stadt und trotzdem spürte ich, dass die Luft zum Schneiden war, irgendetwas in der Luft lag, Anspannung und Ärger vorprogrammiert waren.

Einer der beiden „valentinstags-frustrierten“ jungen Männer, der, der ein paar Brocken Englisch konnte, verließ aufgebracht, im Streit, das Lokal. Zurück blieb Sedat, mit dem ich ein paar Wörter wechselte, holprig und mühsam wegen unserer unterschiedlicher Muttersprachen. Es war nach Mitternacht und wir beschlossen nach Hause zu gehen. Ali hatte, wie immer um diese Uhrzeit, Lust auf eine Suppe und wir suchten einen „Soup-shop“, wie er sie nannte, auf. Ein großes Lokal, direkt an der Hauptstraße, mit großem Gastgarten. Sedat fuhr uns mit dem Auto. Was mich dazu bewegte, einzusteigen, obwohl ich wusste, dass genug Alkohol geflossen war, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich selber bin eine Verfechterin der 0,0 Promillegrenze und nehme das Lenkrad nicht mehr in die Hand, sobald ich einen Milliliter Alkohol in mir habe. Vielleicht war es das Wissen, dass es nur ein paar Meter waren, oder das Gefühl, dass er nicht betrunken wirkte, oder die Faulheit zu Fuß zu gehen. Es war unvernünftig von mir, aber ich war zu träge für Widerworte.
 
Top