AW: Türkische Mafia und die Liebe
Es sollte der letzte Tag und die letzte Nacht werden, obwohl es meine erste in dieser Woche bei ihm war, in der ich bei klarem Verstand war. Am nächsten Tag sollte ich das erfahren, was mich ein dreiviertel Jahr beruflich und privat aus der Bahn warf, mich zwang, erstmalig in meinem Leben, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der nächste Tag brachte mich dazu, mich von Ali zu trennen, obwohl ich ihn liebte. Der nächste Tag, der 14. Februar 09, der Valentinstag, zeigte mir alle Grausamkeit auf, die hinter Alis Fassade, und der seiner Freunde steckte…
Als ich am späten Vormittag erwachte, blickte ich direkt in seine Augen. Er hatte mich beim Schlafen beobachtet, lächelte mich an und meinte schelmisch grinsend:“ Askim, can you make coffee, please“. Wir führten oft Gespräche über Emanzipation, die Rolle der Frau im Islam oder der Türkei im Allgemeinen und ich machte ihm immer wieder klar, dass ich nicht seine Putzfrau und Köchin sein würde. Er hielt sich daran, oft standen wir gemeinsam in der Küche und wuschen und trockneten das Geschirr ab, oder er bekochte mich. Er betonte selber sehr oft, dass er sich eine moderne Frau wünsche und sehr europäisch denke. Aber das Kaffee- und Frühstückmachen in der Früh war meine Domäne und er genoss es sichtlich. Ich antworte ihm also übertrieben freundlich und genauso grinsend, dass ich natürlich alles für ihn tun würde und es mir eine Ehre sein würde, ihm den Kaffee ans Bett bringen zu dürfen. Er lachte, ich küsste ihn und ging in die Küche, vorbei an dem wunderschönen Blumenstrauß, den ich am Vorabend von ihm geschenkt bekam. Eine Rose war am Heimweg abgebrochen, es waren nur mehr dreizehn.
Um diese Jahreszeit war es in Alis Wohnung sehr ungemütlich. Er hatte keine Heizung, alleinig das Schlafzimmer wurde mit Klimaanlage warmgehalten, diese war aber sehr laut und wir schalteten sie immer wieder zwischendurch ab. Warmwasser gab es keines. Nur an Tagen, an denen die Sonne schien, war es möglich, mit Warmwasser zu duschen, da dann der Wasserbehälter und die Rohre am Dach des Hauses durch die Sonne erwärmt wurden. Schon bei meinem Besuch zu Silvester war das Duschen der reinste Horror.
Das Wasser war nicht nur kalt, es war so eisig, als käme es direkt aus einem Gebirgsbach. Skurrile Gespräche ergaben sich dadurch. Wenn ich meinte, ich würde jetzt duschen gehen, schob er den Vorhang des Fensters beiseite, schüttelte den Kopf und meinte: „Heute nicht, es regnet.“
Ich erhitzte dann mühsam Wasser in Töpfen am Herd, um wenigstens die notwendigsten Hygienemaßnahmen treffen zu können, ohne dabei zu erfrieren.
Auch an diesem Februartag war es bitterkalt in Alis Wohnung. Im Wohnzimmer fehlte bei einem Fenster die Glasscheibe. Einzig ein Vorhang hing notdürftig davor. Im Sommer war das egal, ab Herbst hatte er wohl durch Alkohol und Kartenspiel keinen Kopf dafür.
Also blieben wir den ganzen Nachmittag im Schlafzimmer, tranken Kaffee, aßen im Bett, und plauderten über Gott und die Welt, im wahrsten Sinne. Er war sehr belesen, in vielen Bereichen ungewöhnlich gebildet, auch geschichtlich beeindruckte er mich mit detailliertem Wissen über Europa. Er erzählte mir, dass er im Gefängnis unzählige Bücher las und dies für ihn ein Weg war, den Mauern zu entfliehen. In den Gefängnissen dort, er war in verschiedenen, gibt es keinerlei Angebote, keine Beschäftigungstherapie. Man vegetiert, zum absoluten Nichtstun verbannt, vor sich hin.
Für den Abend hatten wir geplant, Cem zu besuchen. Ich war seit meinem letzten Besuch im Jänner nicht mehr dort gewesen und Ali erzählte mir, alle würden sich freuen, mich wiederzusehen.
Ali hatte kein Handy mehr, er erzählte mir, er hätte unabsichtlich Wasser darüber geschüttet. Er hatte aber seine Sim-Karte immer bei sich, borgte sich auch schon im Vorfeld immer wieder Handys von Freunden aus, um von ihnen aus mit seiner Simkarte zu telefonieren. Mit mir vor Ort war das kein Problem, nur noch mehr Grund, die gesamte Zeit gemeinsam zu verbringen.
Gegen 20 Uhr brachen wir auf. Cems Place war dunkel, wir klopften mehrmals gegen die Tür, ehe uns endlich jemand aufschloss. Ich nahm mir vor, die Leute genau zu beobachten, war irgendwie naiv fasziniert von der Welt, die sich mir gleich auftun würde. Ich fühlte mich sicher an Alis Seite und wusste, dass mir mit ihm nichts passieren konnte, ich die „Yenge“ war, die man mit Ehrfurcht behandelte oder meist „respektvoll ignorierte“, woran ich mich mittlerweile gewohnt hatte.
Durch die unscheinbare Schiebetür in den hinteren Bereich gelangend, bot sich uns ein trostloses Bild. Es war dunkel, nur hinter der Bar brannte ein schwaches Licht, an einem einzigen Tisch saßen 2 Männer. Es gab keinen „Kellner“, die beiden waren die einzigen hier. Also musste einer von den beiden einen Schlüssel haben oder auch hier beschäftigt sein, mir ist das bis heute unklar. Sie boten uns einen Platz an ihrem Tisch an. Vor ihnen standen zwei Flaschen Wodka und ihre Gläser waren halb gefüllt. Ali und ich hatten Bier mitgebracht und er stellte unsere Getränke hinter der Bar in den Kühlschrank. Es war wie im Wohnzimmer, mit dem Unterschied, dass es hier warm war.
Einer der beiden Männer sprach ein bisschen Englisch und erklärte mir lächelnd, dass heute „sevgililer günü“ sei, Valentinstag. Die beiden seien zutiefst deprimiert, dass sie keine Freundin haben und müssten sich daher vor lauter Frust alleine betrinken. Beide grinsten mich nett an und prosteten mir zu. Ich musste lachen, so groß schienen die Unterschiede unserer beider Kulturen wohl nicht zu sein. Ali bestätigte mir, dass heute hier nichts los sei, habe den Grund, dass alle Männer zu Hause bei ihren Frauen wären. Wie nett! Zuerst die durch alle Fernsehkanäle hüpfenden Weihnachtsmänner, dann die „Jingle Bells“ Beschallung, jetzt noch der Tag eines christlichen Märtyrers, eines Bischofs, als Grund vieler Männer, zu Hause bei ihren Frauen zu bleiben. Schön, wenn aus religiösem Hintergrund ein traditioneller Brauch wird, der, populär gemacht, dann quer über die Kontinente schwappt und ein völker- und religionsverbindendes Brauchtum wird.