AW: Umstrittene Rede von Papst Benedikt XVI.zum Islam
Zitat von cokomel:
bitte eine diskussion ohne leise stichelein, seitenhiebe und verletzungen der religiösen gefühle jeder einzelnen !!
... sorry, coko, bei allem Verständnis dafür, was Dich umtreibt: aber Du hast das Thema auf die Agenda gesetzt, und es gibt nun einmal unterschiedliche Meinungen und Empfindungen dazu. Alis Ansichten sind ebenso berechtigt wie Deine. Theoretisch könnte ich als Ex-Katholikin hier auch ganz anders argumentieren, aber ganz mal abgesehen davon, dass ich's mit Dogmen und religiösen Unfehlbarkeitsansprüchen nicht so habe (und der Vatikan sich im übrigen glänzend selbst vertreten kann): Nützt das?
Das eigentliche Problem ist doch ein anderes: Morddrohungen gegenüber Andersdenkenden, Andersgläubigen und in diesem Fall dem Papst tragen nicht gerade dazu bei, den Islam als friedliche Religion
erscheinen zu lassen. Es geht um die
Erscheinungsform - nicht den Islam an sich, dessen Existenzberechtigung in Frage zu stellen ähnlich töricht wäre wie den christlichen oder jüdischen Glauben als latent minderwertig zu betrachten.
Bedenke bitte, ganz allgemein, dass es viele Menschen gibt, die vom tieferen Kern des Islam keinen Schimmer haben - und vermutlich genau so viele Menschen, wage ich zu behaupten, wissen gar nicht, was Christen- oder gar Judentum bedeutet. Vor diesem Hintergrund lassen sich Feindbilder beliebig aufpolieren und benutzen, in jede erdenkliche Richtung. Den Rest erledigt die Boulevardpresse, zum Beispiel, im absurden und, wenn man das alles mal aus entgegengesetzten Richtungen denkt, paradoxen Schulterschluss mit religiösen Fanatikern, die sich anmaßen, die religiösen Gefühle von 1,4 Milliarden Muslimen auf der Welt für ihre machtpolitischen Interessen missbrauchen zu dürfen. Ähnlich rigide, wie der Vatikan innerkirchliche Abweichler einschüchtert und mundtot macht (siehe u.a. die Zerschlagung der südamerikanischen Befreiungstheologie rings um Leonardo Boff*), glauben islamistische Religionsführer, alle Deutungsmacht für sich beanspruchen und die Gläubigen nach Belieben manipulieren zu dürfen.
Das ist schäbig, und in meinen Augen zutiefst unmoralisch.
Das schadet dem Islam, sonst nichts. Und es führt im Übrigen auch dazu, dass die leiseren, differenzierteren Stimmen der islamischen Welt vor lauter Getöse verstummen bzw. mundtot gemacht werden. Obwohl es womöglich die schweigende Mehrheit ist, die ihren Glauben nur in Frieden praktizieren und einzig und allein mit Allah abmachen möchte.
Ich denke, man ist ganz gut beraten, sich bei solchen überdrehten Hypes grundsätzlich zu fragen, aus welcher Ecke was kommt. Wem es womöglich warum nützt. Und die Verlautbarungen der Muslimischen Bruderschaft in Kairo, mit Verlaub, finde ich in diesem Fall ähnlich "lebensnah" und "menschenfreundlich" wie die Haltung des Vatikan in Verhütungsfragen. (Die vorsorglichen Anführungszeichen sind dem Wunsch geschuldet, dass man die triefende Ironie dahinter verstehen möge.)
Jedenfalls ist's allerhöchste Zeit, dass die Mehrheit der Gläubigen quer durch alle monotheistischen Religionen sich endlich mal freimachen und emanzipieren vom blinden Glauben an die Unfehlbarkeit irgendwelcher Führungsfiguren, die die Menschen nach Belieben instrumentalisieren und Feindbilder zementieren. Emanzipation kommt von "ex manus cipere", lateinisch, und bedeutet lediglich: "aus der Hand nehmen". Nichts weiter. Nicht mehr und nicht weniger. Aber dazu gehört eben auch die innere Bereitschaft oder überhaupt nur: Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Und insofern begreife ich auch Alis Kritik an der Vermittlung islamischer Inhalte: Arabisch mag eine wunderschöne, sehr reiche Sprache sein, und es mag ja auch der Tradition entsprechen, Suren seit jeher auf Arabisch zu rezitieren - aber würden christliche Messen und Gottesdienste überall auf der Welt heutzutage noch auf Lateinisch gelesen, wie es im Vatikan Brauch ist: gäbe es mit Sicherheit sehr viele Christen, die ihren Glauben gar nicht verstehen geschweige denn hinterfragen und darüber diskutieren könnten. Sprache kann auch ein Machtinstrument sein, um Menschen unmündig zu halten und künstlich gegeneinander aufzuhetzen. Das, finde ich, darf man bei solchen leidigen Themen durchaus ins Kalkül ziehen.
anouk
ps *Mehr zu Leonardo Boff und dem Streit mit dem Vatikan bzw. Kardinal Ratzinger, dem jetzigen Papst:
http://de.wikipedia.org/wiki/Leonardo_Boff