AW: Verliebt in Türkin - kann sowas gut gehen?
Meine Gesprächspartner sind im schnitt ca. 8-10 Jahre jünger als ich. Dies scheint ein Alter zu sein in dem man eine dt.- tr. Beziehung anfängt zu hinterfragen. Mit ca. 35 scheint man, als ein in Deutschland integrierter Mensch, seine Wurzeln zu ergründen. Es muß ein ähnliches Gefühl sein, wenn Menschen im Alter wieder ihren Weg zur Religion suchen.
Hallo DameTR,
hier will ich doch nochmal einhaken, in Zusammenhang mit der Ei-mit-Sucuk-Geschichte, die mich, Du merkst es, ein wenig beschäftigt und ganz sicher nicht nur in mir einen vitalen Punkt berührt hat. Denn vordergründig klingt es (oder klang es zumindest nach meiner Wahrnehmung) nach einer Art "innerer Kündigung", Absage an die Beziehung: was denn sonst, wenn man sich an der Seite eines (vermeintlich?) geliebten Partners weit weg und romantisch überhöht an die Seite eines anderen träumt..
Nur glaube ich, das ist zu oberflächlich und greift im Grunde zu kurz. Das alles hat, glaube ich, sehr viel weniger mit dem jeweiligen Gegenüber sondern mit einer Kernfrage zu tun, auf die viele von uns, egal ob deutsch oder türkisch, irgendwann mal mit der Nase gestoßen werden: Wer bin ich, wo komme ich her, wo will ich hin - und wie will ich eigentlich leben?
Wer auch mit sich selbst einigermaßen ehrlich und offen umgeht, statt es nur hilfs- und ersatzweise im Umgang mit anderen zu erproben, wird sich sicher eingestehen können, dass es nichts Statisches im Leben gibt, schon gar nicht Gefühle, und dass es Phasen gibt, in denen Prioritäten, die niemals hinterfragt wurden, mit sich selbst und dann auch dem Partner neu verhandelt, abgesteckt und verschoben sein wollen. Das gehört einfach, glaube ich, ganz normal zur Selbstwerdung und Identitätsfindung dazu: um zu werden, was bzw. wer man ist, um es mit Nietzsche zu sagen.
Und ich glaube, dass Biografien, die nicht gradlinig verlaufen, sondern womöglich auch von mehr oder weniger abrupten Brüchen gekennzeichnet sind, in dieser Hinsicht eine Herausforderung darstellen: sei es, dass ein Kind die Erfahrung gemacht hat, permanent zwischen zwei Welten zu stehen, sei es, dass die Eltern sich irgendwann entschlossen haben, z.B. von Sivas nach Dortmund zu ziehen, oder - umgekehrt - von Hamm zurück nach Zonguldak ... es bleibt, glaube ich, ein Loch. Das Gefühl eines emotionalen Verlustes, der sich bisweilen tief in die Seele einbrennt. Aber Gefühle, schon gar nicht die eines Kindes, sind in solchen Um- und Aufbruchzeiten wenig gefragt. Gefragt ist Anpassung, Leistung, nicht das, was mancher, der sich seiner eigenen verschütteten Gefühle nicht bewußt ist, abwehrend als "Larmoyanz" bezeichnen würde.
Was bleibt, sind Erinnerungen an andere Landschaften, Gerüche, sinnliche Erfahrungen, wie Izzet es so treffend beschrieb. Was bleibt, ist - vielleicht - eine unstillbare Sehnsucht, die umso stärker werden kann, je weniger es gelingt, ihr im Alltag, im Hier und Jetzt, Ausdruck zu verleihen. Und sei es durch Kleinigkeiten, die einem anderen gar nichts, einem selbst jedoch sehr viel bedeuten.
Eier mit Sucuk und die Phantasie, der Wunsch, solche Kindheitsgenüsse mit einem Partner aus dem eigenen Kulturkreis statt dem jetzigen zu teilen (der den unausgesprochenen "Makel" einer anderen Biografie hat), ist nach meinem Dafürhalten nur eine Metapher für eine womöglich lange entbehrte, emotionale Ur-Erfahrung: das Gefühl, wirklich daheim, in sich selbst heimisch zu sein. Denn wo könnte man es sonst, außer zunächst und vor allem in sich selbst?
Worauf ich hinauswollte: das Problem ist nicht der Partner, der Mann oder die Frau, aus dem anderen Kulturkreis. Es könnte eben so gut ein geliebter Mensch aus dem eigenen Kulturkreis sein, mit dem man sich plötzlich ganz einsam fühlen kann, wenn man merkt: - da ist noch mehr. In mir. Hinter der Fassade, die man um Anpassung bemüht täglich zur Schau trägt, auf Kosten der eigenen Individualität.
Wer seine Wurzeln, seine Bedürfnisse, beständig in sich vergräbt, oder glaubt: sie vergraben und unterdrücken zu müssen, weil es (angeblich, sprich: in der eigenen Vorstellung, den eigenen Ängsten) anders nicht geht, wird dieses bittere Gefühl des Abgetrenntseins sicherlich kennen - und sehr wahrscheinlich solange wiederholen, wieder erleben, bis auch das Verdrängte und Verleugnete, die Wehmut und der Schmerz über den Verlust oder das Fehlen eines "heimatlichen" Gefühls, nicht mehr schamhaft verschwiegen, sondern als das gewürdigt wird, was es ist: der tiefe Wunsch nach Zugehörigkeit.
Das ist natürlich, ironisch gesagt, nicht "cool". Es kratzt an der eigenen Fassade, vielleicht auch am eigenen Stolz. Und natürlich kann man vorschieben, man wolle den Partner nicht kränken, und sicher spielt das auch rein.. mehr aber auch nicht.
Sich einem Menschen, den man liebt, nicht nur oberflächlich verbunden zu fühlen, bedeutet für mich und setzt voraus: zunächst und zuerst in sich selbst beheimatet zu sein. Ein ganzer Mensch zu werden, authentisch zu sein, mit allen geliebten und ungeliebten Seiten. Nicht sich einem anderen zuliebe "verbiegen", nur weil man glaubt, ihm oder ihr sein "Anderssein" nicht zumuten zu können.
Jeder Mensch ist anders, egal, ob er dem eigenen oder einem anderen Kulturkreis entstammt. Und kein Mensch kann alle Sehnsüchte eines anderen vollkommen stillen. Oder ungeschehen machen, was geschehen ist. Geschweige denn: ihn verändern, umerziehen, auf die eigenen egoistischen Bedürfnisse dressieren.
Aber man kann beieinander sein und reden, einander die Welt öffnen. Und sei es, indem man einander erzählt, was man mit Quark und Pellkartoffeln oder Eiern mit Sucuk woanders verbindet.
Viel geschrieben, aber es lag mir am Herzen; das wollte ich noch loswerden.
lg
anouk