Siehe da: es ist wieder Jemand getötet worden, weshalb vorübergehend wieder öffentlich über Alltagsrassismus geredet werden darf, ohne dafür gleich heftige Gegenreaktionen hervorzurufen, zum Teufel gejagt zu werden oder bestenfalls mitleidig angegringst zu werden. Abhängig von den Nachrichtenthemen in nächster Zeit tippe ich auf einen Halbwertszeit dieser Situation von wenigen Wochen (fast zwei sind ja schon vergangen, sodass es einige schon wieder mächtig nervt) nis einige Monate, bevor wieder jeder seinen gewohnten Gang geht und alles wieder so ist wie vor dieser Tötung.
So ist das nun einmal in unserer Zeit, wir denken von Krise zu Krise ein wenig nach, um dann doch wieder dahinter zu kommen, dass es vor der Krise (also mit dem, das die Krise erst hervorgebracht hat) doch am schönsten war.So war es nach den diversen Krisen der Finanzwelt in den Nullerjahren, so war es nach Fukushima, so ist es mit dem Regenwald, wenn und der Präsident der Brasilianer gerade nicht passt, so war im kleineren Ausmaß nach NSU, Lübcke, Halle , Hanau oder wie jetzt nach Floyd.
Und auch beim Flüchtlingsthema (btw, eine "Krise" ist dieses Thema nur für diejenigen, die sich erhoffen, dass es sich dabei ebenfalls um ein einmaliges außergewöhnliches Ereignis handelt, das mit etwas Aktionismus innerhalb kurzer Zeit in den Griff bekommmen werden kann) haben wir ja daselbe Bild: ein wenig Aktionismus, wenn wieder ein paar Leute ersaufen oder Bilder von an den Strand gespülten Kinderleichen die Runde machen, um dann nach kurz oder lang wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Die Beispiele könnten beliebig weitergeführt werden: Arabischer Frühling, Gezi-Proteste, Dieselskandal, Fridays for Future usw. usf. Und immer wieder steht der Druchschnittsbürger nach einer Weile ratlos da und fragt, wie solch großer Aktionismus, der über Wochen oder gar monate hinweg die Nachrichten bestimmt und die Menschenmassen bewegt, so wenig Wirkung zeitigen kann.
Dafür kann es im Grunde nur die eine Erklärung geben, nämlich dass die meisten von uns, Befürworter wie Gegner, auf die eine oder andere Weise kleine Räder in dem Räderwerk darstellen, die diesen ganzen Mechanismus und diese Entwicklung in Gang halten. Es gibt keine andere Erklärung dafür, denn spätestens seit dem Zusammenbruch des Ostblocks wissen wir, dass es in modernen Gesellschaften nicht möglich ist, den Menschen langfristig eine Denk- oder Lebensweise einzuprügeln, sei es nun mit offener Repression oder der sanften über Werbung und Manipulation, für die sie nicht schon eine Grundveranlagung oder -neigung aufweisen.
Der größte Fehler, den man in so einer Situation machen kann, ist es, mit dem Finger auf irgendwelche anderen zu zeigen und zu behaupten, an dem und nur an dem liegt es und die, die wir dagegen sind, baden in alle in Unschuld. Aber sieh Dich um, allerorts dasselbe Bild: "Du bist schuld! Ich würde das ganz anders machen!" Dabei sind über 90% der frei gewählten Politiker, so unterschiedlich sie auch Wahlkampf machen sollten, nahezu austauschbar, was ihre Politik im Hinblick auf Aufrechterhaltung oder Verhinderung der gegenwärtigen Politik angeht. Leute, die von den meisten von uns gewählt werden.
Es hilft also gar nicht, die Schuld immer beim anderen zu suchen und ständig danach zu schauen, was mich von diesem anderen unterscheiden mag. Diese Haltung scheint eher Teil des Problems zu sein, das die ganze Maschninerie am Laufen hält. Etwas vielversprechender scheint mir da der Ansatz zu sein, was wir alles gemeinsam haben mit denjenigen, die das Ganze vermeintlich zu verantworten haben, angefangen etwa mit der Ähnlichkeit der gewählten Politiker und der Alternativen, die es offensichtlich nicht zu geben scheint.
Aber wer sich nur ein angenehmes Feindbild aussucht, ob nun irgendwelche Superreichen, Erdogan, Trump, Putin, Orban, Il Jong oder ein paar Hassprediger im eigenen Land, der tut nichts anderes als den Blick abzuwenden von den eigentlichen Ursachen, die diese "sichtbaren" Folgen erst hervorbringen konnten. Der will ein wenig Aktionismus haben, um sein Gewissen zu beruhigen, um dann mit ruhigem Gewissen genauso weiterzumachen wie bislang.
Und solche Leute tragen für mich erheblich mehr zur gegenwärtigen Entwicklung bei als diejenigen, die genauso wie diese Leute versuchen, das Beste für sich in dieser Situation herauszuholen, aber sich dabei einfach nur besser oder erfolgreicher anstellen und vor allem darum von diesen Leuten angefeindet werden. Schaut euch alle mächtigen und erfolgreichen Menschen dieser Welt an: das Einzige, was sie alle gemeinsam auszeichnet, ist es, dass sie das Beste für sich aus der gegebenen Situation; diese Situation herbeigeführt haben sie in der Regel nicht! Das waren wir alle gemeinsam oder zumindest der größte Teil von uns...