Brexit - das Phantom

EnRetard

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Für Labour und die Lib-Dems ist es der GAU. Auch Jo Swinson ist weg vom Fenster. Und Sturgeon braucht die Zustimmung aus London für eine erneute Abstimmung in Schottland. Die wird sie unter den jetzigen Umständen nicht bekommen.

Das Beben ist noch größer als 1979, als Thatcher an die Macht kam. Und das will was heißen.
Für Labour ist es kein Gau, aber eine harte Nuss, denn die Partei hat ihre einstigen Hochburgen in Schottland und in Nordengland verloren. Stattdessen ist sie in London noch stärker geworden. Die alten weißen Arbeiterstädte und das migrantische Dienstleistungslondon sind kaum unter einen Hut zu bringen. Ich bin gespannt, ob jetzt jemand wie der halblinke David Lammy seinen Hut in den Ring wirft, oder Sadiq Khan, der jedoch aktuell nicht im Unterhaus sitzt und erst nach einer gewonnenen Nachwahl in Frage käme. Ein Super-GAU ist es aber für die Lib-Dems.
 

Bintje

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Für Labour ist es kein Gau, aber eine harte Nuss, denn die Partei hat ihre einstigen Hochburgen in Schottland und in Nordengland verloren. Stattdessen ist sie in London noch stärker geworden. Die alten weißen Arbeiterstädte und das migrantische Dienstleistungslondon sind kaum unter einen Hut zu bringen. Ich bin gespannt, ob jetzt jemand wie der halblinke David Lammy seinen Hut in den Ring wirft, oder Sadiq Khan, der jedoch aktuell nicht im Unterhaus sitzt und erst nach einer gewonnenen Nachwahl in Frage käme. Ein Super-GAU ist es aber für die Lib-Dems.

Na ja, überleg mal, wie lange es nach den blamablen Wahlen von '79 gedauert hat, bis Labour wieder an die Macht kam. Und diesmal hat Johnson sogar noch ein höheres Ergebnis eingefahren. Gut, man kann sagen, der wird entzaubert, sobald der Brexit real ist - aber dass die Wähler dann massenhaft zu Labour überlaufen, egal, wer die Partei in Zukunft führt, halte ich, gelinde gesagt, für völlig unrealistisch. Sie werden es auf Johnson schieben und weitermachen wie gehabt. Labour wird lange kein Land mehr sehen ...
 

EnRetard

Well-Known Member
79 und die Thatcher-Ära waren eine ganz andere Kiste. 79 ging verloren, weil die Wählerschaft die Partei für Versorgungskrisen, Stromabschaltungen, Überschuldung, die zeitweise Lähmung des öffentlichen Lebens,
verursacht durch Streiks der Gewerkschaften, welche auf Labour bestimmenden Einfluss hatten, verantwortlich machten. Erinnerst du dich? Auf Parteitagen gab es das Block Vote der Unions, das weitaus mehr Gewicht hatte, als die Stimmen der ordentlichen Mitglieder. In den Thatcher-Jahren, die von De-Industrialisierung geprägt waren, war Labour die Verlierer-Partei der wirtschaftlich aufgegebenen Landstriche im Norden Englands und Teilen der Midlands. Im prosperierenden Süden der Insel hatte Lab zeitweise außerhalb der proletarischen und migrantischen Bezirke Londons keine Abgeordneten. Heute ist das Problem ein anderes. Corbyn ist an der Aufgabe gescheitert, die zwischen proletarischen Brexiteers im Norden und dem linksliberalen und migrantischen Milieu in der anderen Hochburg London gespaltene Klientel zu einen.
 
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Msane

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Ohne die Briten wird die EU langsam aber sicher auseinanderbrechen.
Ursächlich dafür ist, dass sich ohne die Briten die Bevölkerungsanteile Richtung Südeuropa verschieben.
Das bedeutet, Länder mit unsolider Haushaltsführung wie Italien, Griechenland und Zypern usw. können zukünftig gegen Deutschland bzw. gegen vernünftig wirtschaftende Länder Allianzen bilden und ihre Vorstellungen in der EU durchsetzen.
Dies wird niemand mitmachen, wenn sich das so entwickelt ist auf lange Sicht mit der EU Schluß.

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Alubehütet

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Trotzdem stimmt, genau betrachtet, keine Mehrheit der Wähler für den Brexit. Die BBC stellt erstaunt fest: Die Mehrheit der Menschen im Land hat Parteien gewählt, die ein zweites EU-Referendum befürworten oder den Brexit ganz abblasen wollen. Labour, Liberaldemokraten, Schottische Nationalpartei und Grüne kommen auf 50,3 Prozent. Konservative und Brexit Partei nur auf 45,6 Prozent.

SZ
Hat wohl auch wieder was zu tun mit dem „the winner takes it all“-System.
 

Bintje

Well-Known Member
Ich gehe davon aus, Sturgeon wird unter diesen Umständen auf die Zustimmung pfeifen und eine einseitige Unabhängigkeit ins Spiel bringen. Großbritannien ist nicht Spanien. Ich kann mir dort keine Franco-Strategie vorstellen.

Nee, das nicht, aber wenn sie klug sind, werden sie es nicht auf ein einseitiges Referendum ohne Erlaubnis aus London anlegen. Immerhin ist das verfassungsmäßig so verankert. Und wenn sie's doch ohne Plazet tun, was m.E. sehr hoch gepokert wäre, weil London die Abstimmung garantiert für illegal erklären und die Gerichte bemühen würde, müssten sie sehr flink sein. Die EU würde die Schotten vermutlich mit offenen Armen begrüßen, aber dafür müsste die Lage auf der Insel erstmal geklärt sein.

79 und die Thatcher-Ära waren eine ganz andere Kiste. 79 ging verloren, weil die Wählerschaft die Partei für Versorgungskrisen, Stromabschaltungen, Überschuldung, die zeitweise Lähmung des öffentlichen Lebens, verursacht durch Streiks der Gewerkschaften, welche auf Labour bestimmenden Einfluss hatten, verantwortlich machten. Erinnerst du dich? Auf Parteitagen gab es das Block Vote der Unions, das weitaus mehr Gewicht hatte, als die Stimmen der ordentlichen Mitglieder. In den Thatcher-Jahren, die von De-Industrialisierung geprägt waren, war Labour die Verlierer-Partei der wirtschaftlich aufgegebenen Landstriche im Norden Englands und Teilen der Midlands. Im prosperierenden Süden der Insel hatte Lab zeitweise außerhalb der proletarischen und migrantischen Bezirke Londons keine Abgeordneten. Heute ist das Problem ein anderes. Corbyn ist an der Aufgabe gescheitert, die zwischen proletarischen Brexiteers im Norden und dem linksliberalen und migrantischen Milieu in der anderen Hochburg London gespaltene Klientel zu einen.

Sicher, die Voraussetzungen waren andere. Aber mal ab davon, dass ich damals noch sehr jung war und kurz darauf, als ich länger in England war, nur zur Hälfte kapierte, warum so viele Leute mit großen "I didn't vote the Tories"-Buttons herumliefen: vergiss nicht, dass Labour im Wahlkampf dezidiert auf Sozialthemen gesetzt hat und trotzdem so derbe gescheitert ist: sozialer Wohnungsbau, Umverteilung, alles mögliche, was den Leuten offenbar weitaus weniger wert war als die markigen Drei-Wort-Sätzchen von Johnson ("get Brexit done!"). Arbeitnehmer- und Migrantenrechte oder was künftig mit dem NHS passiert, interessierte viele Briten offensichtlich nicht.

Und falls es sie doch interessiert und letztlich der Corbyn-Faktor ausschlaggebend war: hat es sie nicht davon abgehalten, sogar trotz Johnson, der auch in GB weithin als unglaubwürdiger Kasper gilt, mehrheitlich für den "Billionaire's Brexit" zu stimmen. Der Mann trickst und lügt, jeder weiß es, und sie wählen ihn trotzdem. Das spiegelt meiner Ansicht nach eine gesellschaftliche Stimmung, die nicht so schnell wieder verschwinden wird. Zumal das ganze Austrittsprozedere mit Übergangsfrist, weiteren Verhandlungen mit Brüssel und so weiter vermutlich noch mehr Verdruss schürt. Johnson wird es auf die EU schieben, und die Leute werden es ihm abnehmen. Er hat jetzt das Mandat und kann theoretisch durchregieren, wie es ihm beliebt.
 
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