Entschleunigung von heute auf morgen

Zerd

Well-Known Member
Für mich bedeutet ein entschleunigtes Leben, dass man mit der Zeit davon wegkommt, alles, was das Leben ausmacht, Menschen, Tätigkeiten, Orte, Haltungen und Einstellungen, immer nur zu verbrauchen und zu konsumieren, und stattdessen dazu übergeht, das, was das eigene Leben ausmacht und prägt, und damit natürlich auch das eigene Leben, mit der Zeit immer mehr wertschätzt.

Mir hat dabei sehr geholfen, dass ich mich seit der Schulzeit sehr gerne und intensiv mit den Menschen und dem Menschen beschäftigt habe. Mir kam das sehr fruchtbar vor, weil jeder Mensch ein geradezu unerschöpflicher Quell von neuen Entdeckungen und Veränderungen ist. Ich habe mir das immer verbildlicht als einen wunderschönen Juwelen, den jeder Mensch unter einer mehr oder minder dicken Schale in sich trägt, und es als mein Bestreben und ein Art unerreichbares Ziel angesehen, diesen Juwelen freizulegen.

Ich habe in diesem Zusammenhang nie allzuviel von dem sich sehr kurzfristig einstellenden elektrisierenden Gefühl des Verliebtseins gehalten. Es war für mich immer ein unwirkliches, blendendes und verfälschendes, ein flüchtiges und damit unwesentliches Gefühl. Ich habe mich immer danach gesehnt, mein ganzes Leben mit meiner Handvoll Menschen zu verbringen, eine schöne spannende Geschichte mit ihnen zu erzählen immer in der Überzeugung, dass die schönsten und spannendsten Zeiten mit den intensivsten und wertvollsten Gefühlen noch vor uns liegen und kommen werden.

Möglicherweise war ich auch darum nicht nachhaltig für bewusstseinserweiternde Drogen oder Alkohol empfänglich, obwohl ich vor allem in der Jugend einige Male mit ihnen in Berührung gekommen bin und eine Weile wirklich viel getrunken habe. Das war für mich ein bißchen wie Verliebtsein, ein kurzes Hochgefühl, das nur blendet und vom eigentlich wesentlichen ablenkt.

Alles Wertvolle wird erst durch seine Geschichten dazu. Und Geschichten brauchen Zeit, müssen immer wieder erzählt und erlebt werden, bis sie zu prägenden wirkenden Geschichten werden. Ich habe so einige Menschen kennengelernt, die ihre Sucht nach Neuem und Veränderung dadurch zu stillen versucht haben, dass sie sich mit einem scharfen Schnitt von einem Lebensabschnitt gelöst und sich Hals über Kopf in ein völlig neues Umfeld, eine neue Arbeit oder eine neue Beziehung gestürzt haben.

Mir kam das immer wie ein Teufelskreis vor, in dem man permanent diesem flüchtigen Gefühl des Verliebtseins, einem vergänglichen Rausch nachjagt, um zwischendurch immer wieder in mehr oder minder tiefe Depressionen zu fallen, worauf als "Rettung" dann das erneute Einschwenken in diesen Teufelskreis und der Sprung in den nächsten Rausch erfolgt.

Ganz ähnlich funktioniert ja auch unsere Konsumgesellschaft; da wird ein Produkt so beworben, dass der Kunde sich verlieben kann und es kauft, nur um dann in immer kürzerer Zeit davon gelangweilt zu sein und diese Langeweile mit dem Kauf des nächsten Produkts zu bekämpfen. Das eigentlich traurige ist, dass das nicht nur bei den Befürwortern der Konsumgesellschaft oder den Gleichgültigen funktioniert, sondern sogar bei erbitterten Gegner dieser Konsumgesellschaft ganz ähnlich abläuft, wenn man sich ansieht, wie inbrünstig und zwanghaft manche dem Konventionellem, dem Althergebrachten, dem Bekannten und der Routine zu entfliehen versuchen.

Das ist eine andere Art des Konsums, aber läuft dann ebenso darauf hinaus, das Alte, das das eigene Leben und Werden ausgemacht hat, mit einem scharfen Schnitt abzulegen und durch etwas Neues zu ersetzen. Für mich ist das ein Teufelskreis, weil dadurch eine innere Unruhe und Unrast kultiviert wird, die immer wieder neue umgreifende degenerierende Veränderungen herbeiführt und das Leben dadurch künstlich beschleunigt, wobei beschleunigen hier nichts anderes bedeutet als verkürzen oder verkleinern.

Ich dagegen liebe es, eine Serie mit allen Staffeln zehnmal anzusehen, einen Film dreisig oder sogar fünfzigmal anzusehen und dabei immer wieder in manchen Szenen und Phasen ganz neue Bilder, Eindrücke, Interpretationen einzufangen. Eine Geschichte wird zu zehn Geschichten und dann zu hundert Geschichten, man scheint dem Juwel immer näher zu kommen, aber erreichen tut man ihn selbstverständlich nie, denn Veränderung ist alles durchdringend und allgegenwärtig.

Ich glaube fast, dass ein Mensch sich nur in dem Maße wertschätzen kann, in dem er auch die Einzelheiten, die zu seinem Leben gehörten oder gehören wertzuschätzen weiß, die angenehmen genauso wie die ursprünglich unangenehmen: wenn das, was Dich im Ganzen zu dem Menschen gemacht hat, der heute hier steht, überwiegend gut und wertvoll war, dann muss das Ergebnis doch auch irgendwie zwangsläufig gut und wertvoll sein. Ein beschleunigtes Leben scheint mir für diese Selbstverständlichkeit nicht zu taugen...
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Jetzt schon über das reden was nach Corona sein wird? Wir sind mittendrin. Nach der Pest, nach der Spanischen Grippe ging das Leben wieder normal weiter. So wird es auch diesmal sein. Im Augenblick ist das Ende noch nicht in Sicht, deshalb bitte optimistisch denken und Geduld haben.
Ich bin ja Sportler. :) Nach dem Spiel heißt vor dem Spiel.
Also der Grippeimpfstoff in diesem Jahr ist ein anderer als im letzen und im nächsten Jahr. Der Impfstoff wird permanent den Mutationen angepasst, also aktualisiert. Ähnlich wird es mit dem Covid19 Impfstoff sein. Wenn er erst mal da ist, unterliegt er einem permanenten Anpassungsprozess. Da der Krankheitsverlauf ziemlich tückisch ist und Lungenversagen offenbar schneller festzustellen ist als bei bakteriellen Überlagerungen von einer grippalen Virusinfektion, wird die Impfung keinen 100%en Schutz geben können. Hinzu kommt, dass viele die Erfahrung machen werden, dass sie durch den Mund-Nasenschutz mit weniger Erkältungen durch den Winter kommen, dass es zum guten Ton gehören wird, bei Erkältungssymptomen "mit Maske" zu unverschiebbaren Treffen oder Massenveranstaltungen zu gehen. Die Welt, ein soziales Konstrukt von Menschen für Menschen, ist in kürzester Zeit von Peking bis L.A., von Kapstadt bis Spitzbergen eine andere geworden.
Die Covid19 Pandemie ist darüber hinaus zutiefst mit der Grundsatzfrage verbunden, ob die Naturgesetze oder ethische Grundsätze die Länge des Anthropozäns bestimmen. Wir bekommen gerade einen Vorgeschmack auf natürliche Selektion. Erst sind es die Breitmaulnashörner, dann die Bienen und irgendwann sind wir dran, also wenn es zu viele sind, die sich um den verbliebenen Kuchen streiten, der jeden Tag kleiner wird. Einen Ausweg sehe ich nicht, jedenfalls nicht für unsere Nachkommen. Nenne es Fatalismus mit Maske. Man weiß ja nie, ob nicht doch höhere Einsicht einschreitet - wegen des guten Willens.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Also der Grippeimpfstoff in diesem Jahr ist ein anderer als im letzen und im nächsten Jahr. Der Impfstoff wird permanent den Mutationen angepasst, also aktualisiert. Ähnlich wird es mit dem Covid19 Impfstoff sein.
Wir haben inzwischen wenige, sehr, sehr wenige, aber eindeutige Fälle, daß Menschen sich nachweislich ein zweites Mal angesteckt haben und erkrankt sind an Corona. Das Virus mutiert schon. Gegen einen immun geworden zu sein, Antikörper gebildet zu haben schützt nicht mehr davor, von einer Variante neu infiziert zu werden.

Längerfristig aber werden die Varianten überleben, die weitergereicht werden, statt ihren Wirt dahinzuraffen. Der Corona-Virus wird ein Schnupfen werden :)
 

sommersonne

Well-Known Member
Wir bekommen gerade einen Vorgeschmack auf natürliche Selektion. Erst sind es die Breitmaulnashörner, dann die Bienen und irgendwann sind wir dran, also wenn es zu viele sind, die sich um den verbliebenen Kuchen streiten, der jeden Tag kleiner wird. Einen Ausweg sehe ich nicht, jedenfalls nicht für unsere Nachkommen. Nenne es Fatalismus mit Maske. Man weiß ja nie, ob nicht doch höhere Einsicht einschreitet - wegen des guten Willens.
Kann schon mal nicht stimmen. Das Tierarten aussterben ist höchst selten natürliche Selektion, sondern ist dem Fakt geschuldet das der Mensch ihnen die Lebensgrundlage entzieht.
Wenn die Wissenschaft einen Grippeimpstoff erstellen kann und ihn jährlich anpassen kann, dann darf man optimistisch sein das sie das auch mit einem Impfstoff für Covid hinbekommen. Im Augenblick dauert es lange einen Impfstoff zu finden, aber nicht länger als normalerweise. Wahrscheinlich sogar etwas schneller als üblich. Nur wir sind ungeduldig weil dieser Virus die ganze Welt fast lahmlegt.
Es ist wichtig nicht den Mut zu verlieren. An den vielen Maskengegnern kann man schon sehen oder ahnen das Maske tragen in Europa für die Zukunft kaum eine Option sein wird.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Der Corona-Virus wird ein Schnupfen werden :)
Sagen die Herdentheoretiker. Erstens kann er anders mutieren als erhofft (er ist ja selbst ein Mutat), zweitens führt so mancher Schnupfen zur Kehlkopfentzündung, manche Kehlkopfentündung zu Bronchitis und manche Bronchitis zur Lungenentzündung (bakterielle Überlagerung), drittens kann auch ein aggressiver Schnupfen die Volkswirtschaft bremsen und die Arztpraxen, Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen wie Palliativzentren und Gesundheitsämter überfordern.
Hinzu kommt die Überlegung, dass Covid19 nicht die letzte Pandemie sein dürfte angesichts der zunehmenden Enge des sozialen Lebens. Ich glaube nicht, dass der Mund-Nasen-Schutz sobald aus dem öffentlichen Leben verschwindet. In den chinesischen Metropolen ist er schon fast zwei Jahrzehnte etabliert.
Von heute aus betrachtet kommt mir ein Stadionbesuch mit Bier im Nacken oder selbst Essenteilen innerhalb der Familie beinahe antik vor. Ich glaube auch nicht, dass in China wieder unbeschwert durchgefeiert wird, gerade dort nicht.
Wir haben es mit einer Zäsur zu tun. Das kannst du z. B. daran erkennen, dass es die Islamisten trotz spektakulärer Attentate in Feindesland und türkischer Unterstützung nicht einmal in die Headlines schaffen. Islamismus war gestern, Corona ist heute - Schnupfen hin oder her.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Kann schon mal nicht stimmen. Das Tierarten aussterben ist höchst selten natürliche Selektion, sondern ist dem Fakt geschuldet das der Mensch ihnen die Lebensgrundlage entzieht.
Ob der Mensch als Überlebenskünstler den Sumpf trockenlegt oder ein Asteorid, ist der Kröte egal und dem Gesetz der natürlichen Selektion auch. Natürliche Selektion passiert auch mit dem Menschen, der genauso den Naturgesetzen (Stoffwechsel) unterworfen ist wie jedes andere Lebewesen. Wir werden als Spezies nicht die Naturgesetze überleben, auch wenn Ölaraber inzwischen an Konzepten zum Mondtourismus arbeiten.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Sagt die Erfahrung. Die Spanische Grippe ist immer noch unter uns. Sie ist das Fürchterlichste, was in jüngerer Zeit passiert ist, sie hat weitaus schlimmer gewütet als Corona. Ich will nichts verharmlosen. Wir sind noch Jahre davon weg, daß das Biest seine Gefährlichkeit verliert.
Erstens kann er anders mutieren als erhofft
Die Tendenz ist aber eindeutig. Ebola hat 90% der Infizierten gekillt – Und sich damit selber weitgehend ausgerottet.
Hinzu kommt die Überlegung, dass Covid19 nicht die letzte Pandemie sein dürfte angesichts der zunehmenden Enge des sozialen Lebens.
Und der Massentierhaltung, die uns resistente Viren und Bakterien herausselektiert. Und dem Raubbau an unberührter Natur, der wilde Tiere mitsamt ihren Krankheiten näher an die Lebensräume der Menschen drängt.
Ich glaube nicht, dass der Mund-Nasen-Schutz sobald aus dem öffentlichen Leben verschwindet.
Kann ich mir gut vorstellen. Wir sind jetzt an den Anblick von Masken gewöhnt. Trägt man in zwei Jahren so ein Ding auch hierzulande im Bus und begründet: Ich bin erkältet und mag Sie nicht anstecken, das könnte sich durchsetzen.

Allerdings trägt man in Großstädten Asiens Atemmasken auch wegen der immensen Luftverschmutzung.
 
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Alubehütet

Well-Known Member
Wir haben es mit einer Zäsur zu tun. Das kannst du z. B. daran erkennen, dass es die Islamisten trotz spektakulärer Attentate in Feindesland und türkischer Unterstützung nicht einmal in die Headlines schaffen. Islamismus war gestern, Corona ist heute - Schnupfen hin oder her.
Gegenthese. Nicht einmal die weitaus furchtbarere Spanische Grippe war eine Zäsur. Hand auf's Herz: Wer von euch hätte vor einem Jahr zu sagen gewußt, wann und was die Spanische Grippe war?

Ich wußte es. Ich habe Zivildienst gemacht in einem Altenheim, und da hat eine alte Dame, laß sie um 1900 geboren gewesen sein, immer wieder davon erzählt. Muß sie sehr bewegt haben als junge Frau, sonst hätte ich mir es nicht gemerkt. Und ich habe in Ermangelung von Wikipedia 1987 seither immer wieder drauf geachtet, wenn das Stichwort fiel. Und das war sehr selten.

Mit den jetzt 20jährigen Zeitzeugen wird das Wissen um die Corona-Krise in der breiten Bevölkerung womöglich aussterben. Es müßte schon sehr gravierende Folgen haben: So haben wir im letzten Moment doch noch gelernt, auf die Wissenschaft zu hören und die Notbremse zu ziehen, schon bevor die vorhersehbaren und vorhergesagten Folgen allen zutage traten, und gerade rechtzeitig wenigstens die schlimmsten Folgen des ohnehin schon krassen Klimawandels einzudämmen, der mit seinen verheerenden Dürre- und Wetterkatastrophen und damit einhergehenden Flüchtlingsströmen, wie es seit der Völkerwanderung nicht mehr erlebt ward, die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts so folgenreich bestimmte.

Atemmasken mögen sich tatsächlich auch bei Erkältungserkrankungen als Höflichkeitsbrauch einbürgern. Aber ob man sich in 50 Jahren noch sonderlich erinnern wird, warum und wann das aufgekommen war? Ist doch selbstverständlich, daß man dann eine Maske trägt, wenn man erkältet ist!

Ich denke, der Fall der Mauer und der 11. September werden im allgemeinen Volksgedächtnis/Kollektivbewußtsein präsenter bleiben. Nur eine These/Versuch.
 

sommersonne

Well-Known Member
In den chinesischen Metropolen ist er schon fast zwei Jahrzehnte etabliert.
Das hat aber nichts mit Viren zu tun sondern mit der "guten" Luft, dem Smog, den Abgasen die die chinesische Wirtschaft produziert. Auf dem Land wird man kaum jemanden mit Maske treffen.

Warum willst du unbedingt so pessimistisch sein? Selbst der viel vorher gesagte Niedergang der Wirtschaft in der ersten Welle ist so nicht eingetreten und hat sich viel schneller wieder erholt als gedacht.
Was wir jetzt benötigen sind Optimisten.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Ich finde das eher nachdenklich bis vorsichtig optimistisch. Wäre doch schön, wenn wir die bald anderthalb Jahre im Rückblick sehen könnte nicht nur als sinnlose, vertane, ertragene Zeit, sondern wenn wir bei allem Elend wenigstens doch etwas Positives hättenbmitnehmen können.

Der Spuckschutz an den Kassen in den Supermärkten z.B. darf von mir aus gerne bleiben. :)
 
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