Mit dem Christentum verbinden sich zwei Revolutionen. Die eine ist noch nicht wirklich angekommen in der Menschheit, aber auch nie auszurotten gewesen: Das ist die Entdeckung des Mannes aus Nazareth, daß die Barmherzigkeit der grundlegende und vorherrschende Wesenszug Gottes ist, von dem her alles andere verstanden werden muß, und daß der Mensch ihm seinerseits zu entsprechen habe, indem der Grundcharakterzug all seines Handelns und (mit-)Fühlens auch die Barmherzigkeit sein solle. (In die europäischen Bibeln wird „Liebe“ übersetzt; „Gott ist Liebe“. Ein solches Wort gibt es weder im Griechischen noch im Lateinischen. Im Lateinischen heißt es Caritas, von dem sich nicht nur das englische to take care ableitet, sondern auch das core, das Herz. Unterschieden von amor oder auch dem griechischen eros. Man kann mir nicht gebieten, meine Feinde zu lieben – Wohl aber, mit ihnen barmherzig zu sein.) Das geht weit über den abendländischen, gar christlichen Raum hinaus und ist wohl auch grundlegend für den Islam.
Die zweite Revolution ist die, wie es mal ein scharfsinniger Denker nannte, Umwertung aller Werte, und da vor allem der revolutionär neue Stellenwert, der die Arbeit zukommt. Das haben wir Paulus aus Tarsus zu verdanken und ist über die Relaistation Benedikt nur im Westchristentum angekommen. – Arbeit war den Menschen verhaßt, Pflicht. Für Aristoteles menschenunwürdig: Die Pflicht zur Arbeit ist, was der Mensch mit den Tieren gemein hat, die rein vegetative Lebenserhaltung. Der Mensch ist erst da Mensch, wo er frei von der Verpflichtung der Arbeit Musik, Kunst, Philosophie betreibt. In der Bibel wird die Arbeit zur Strafe verhängt dafür, daß der Mensch Gottes Gebot mißachtet und in Folge aus dem Paradies vertrieben wird. Durch die westchristlichen Mönche aber wird die Arbeit zur konstruktiven, schöpferischen Tätigkeit; der Mensch wird zum Mit-Arbeiter Gottes, zum Miterschaffer seiner Schöpfung, zum Partner. Das wäre noch einem orthodoxen Christen undenkbar.
Der Gedanke etwa von Marx und Engels: Daß sich der Mensch erst durch die Arbeit und in ihr verwirklicht – Für die Antike undenkbar.