Spaltung der deutschen Gesellschaft?

sommersonne

Well-Known Member
Warum die AfD trotz bester Zahlen im nationalen und internationalen Vergleich bei den Konservativen die Stimmen abgegriffen hat, erschließt sich mir immer noch nicht.
Ist es der Wunsch nach übersichtlichen Verhältnissen, weil die Freiheit so risikoreich ist? Immer die Gefahr falscher Entscheidungen, für die man dann ein ganzes Leben zu zahlen hat? Fehlt das Netz unter dem Seil?
Das ist sicher auch ein Grund. Trifft aber nur auf eine bestimmte Altersklasse zu. Junge Leute haben sich bereits daran gewöhnt.

Was hat der Einzelne von besten Zahlen im nationalen und internationalen Bereich, wenn es nicht bei ihm im positiven Sinne ankommt? Wie kannst du im Kapitalismus Denken für das ganze Land erwarten. Es wird immer "jeder ist seines Glückes Schmied" propagiert, also machen es die Leute auch so und interessieren sich nur für sich nicht, für das Große Granze.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Was man ja auch mal sehen muß: Es gibt kein ostdeutsches DAX-Unternehmen. Es gibt keinen ostdeutschen Fußball-Bundesligisten. SAP schießt Hoffenheim aus dem Nichts nach oben, aber niemand sponsort nennenswert Lokomotive Leipzig oder Dynamo Dresden. In Ostdeutschland bist Du generell zweite Klasse, zweite Liga. Ostdeutschland spielt für uns Westdeutsche insofern auch keine Rolle. Ich muß nicht zur Kenntnis nehmen, was da läuft. Im Grunde könnte die Mauer noch stehen, für mich würde sich nichts ändern. Gut: Gauck, Merkel, Göring-Eckart. Aber wo muß ich sonst irgendwas Ostdeutsches zur Kenntnis nehmen außer Pegida? Wo bestimmen sie meinen Alltag mit bzw. wann sind die eigentlich mal mit irgendwas in der Tagesschau? Das Einzige Tolle, was die haben, ist die Semper-Oper in Dresden. O.k., dieses Jahr mal Martin Luther. Tourismus gibt es ja genügend. Aber sonst?
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Was man ja auch mal sehen muß: Es gibt kein ostdeutsches DAX-Unternehmen. Es gibt keinen ostdeutschen Fußball-Bundesligisten. SAP schießt Hoffenheim aus dem Nichts nach oben, aber niemand sponsort nennenswert Lokomotive Leipzig oder Dynamo Dresden.
Also nächsten Samstag spielt Dortmund gegen Leipzig in der Bundesliga.
BTW bis 1945 war Sachsen vielleicht das europäische Hightech-Zentrum. Und nach 1945 gewiß noch ein wesentlicher Standort im Ostblock.

Nein, es gibt kein ostdeutsches DAX-Unternehmen. Was ist eigentlich aus Zeiss Jena (Thüringen) geworden?
 

Alubehütet

Well-Known Member
Also nächsten Samstag spielt Dortmund gegen Leipzig in der Bundesliga.
O.k., ich habe von Fußball echt keine Ahnung. Ein Luxus, den man sich in Dortmund freilich nicht leisten kann ;)
BTW bis 1945 war Sachsen vielleicht das europäische Hightech-Zentrum. Und nach 1945 gewiß noch ein wesentlicher Standort im Ostblock.
Computermäßig waren die im Osten führend, wie ich mich vage erinnere.

Das ist jetzt o.t., aber die russischen Hacker hatten traditionell auch darum einen so guten Ruf, gerade weil sie in der Sowjetunion lernen mußten, aus den letzten Schrott-CPUs ein Maximum an Leistung rauszulutschen. Da sind mir Ostdeutsche aber irgendwie kein Begriff?

Nein, es gibt kein ostdeutsches DAX-Unternehmen. Was ist eigentlich aus Zeiss Jena (Thüringen) geworden?
Gute Frage. Mußte ich auch dran denken.

Sonst noch Fragen? :)
 

sommersonne

Well-Known Member
Was ist eigentlich aus Zeiss Jena (Thüringen) geworden?
Das:
Ab 1990 kam der VEB Carl Zeiss Jena unter die Verwaltung durch die Treuhandanstalt und wurde von 1990 bis 1991 in die Carl Zeiss Jena GmbH und die Jenoptik GmbH aufgespalten, wobei erstere das optische Kerngeschäft beinhaltete. Carl Zeiss Oberkochen und Jenoptik teilten sich die Gesellschafteranteile an der Carl Zeiss Jena GmbH, 1995 wurden die Anteile der Jenoptik von Carl Zeiss in Oberkochen übernommen. Bedingt durch die Unternehmenskrise des Gesamtkonzerns und die Folgen der Wiedervereinigung kam es in der Mitte der 1990er Jahre zu mehreren Entlassungswellen.

In den folgenden zehn Jahren wurde das Unternehmen umstrukturiert. Die größeren Geschäftsbereiche wurden zu eigenständigen Tochterunternehmen mit durchgängiger Verantwortung für Entwicklung, Produktion und Vertrieb. Für die Halbleitertechnik wurde in Oberkochen ein neues Werk errichtet. Mit Ausnahme des Krisenjahres 2008/09 gehörten die Jahre seit der Jahrtausendwende zu den erfolgreichsten der Unternehmensgeschichte.

Ich erinnere mich noch gut an die Empörung in Jena.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Ich erinnere mich noch gut an die Empörung in Jena.
Darüber gibt es auch einen Film(Serie?), habe mal was davon gesehen, bruchstückhaft.
Eigentlich ein Unternehmen mit DAX-Potenzial. Immer noch großes Renommee.

Was hältst du von der These, daß der Grund für den AfD-Zulauf in den neuen Bundesländern mit der Abschaffung des (Bildungs-) Bürgertums durch die SED zu tun hat? Es ist insofern eine schwierige These, als das Bildungsbürgertum den Nationalsozialismus ja nicht verhindert hat, also ziemlich versagt hatte. Also die These ist, daß im Osten die bürgerliche Mitte fehlt, die ausradiert wurde. Darum nur ein eingeschränktes bürgerliches Freiheitsbewußtsein. Ist da was dran?
 

EnRetard

Well-Known Member
Die SED hat die bürgerliche Mitte nicht ausradiert, sie war nicht Pol Pot. Sie hat ihr weniger den Arsch gepudert, das ist alles. Auch die DDR ist nicht ohne gebildete Leute ausgekommen, sie hat sogar versucht, die gebildete Schicht zu vergrößern. Wenn mir eines aus der DDR in Erinnerung geblieben ist, dann ist es, wie gut bestückt die Buchhandlungen sogar in kleinen Orten waren und wieviele Leute im Vergleich zum Westen Bücher jenseits von Trivialliteratur gelesen haben.
 

sommersonne

Well-Known Member
Darüber gibt es auch einen Film(Serie?), habe mal was davon gesehen, bruchstückhaft.
Eigentlich ein Unternehmen mit DAX-Potenzial. Immer noch großes Renommee.

Was hältst du von der These, daß der Grund für den AfD-Zulauf in den neuen Bundesländern mit der Abschaffung des (Bildungs-) Bürgertums durch die SED zu tun hat? Es ist insofern eine schwierige These, als das Bildungsbürgertum den Nationalsozialismus ja nicht verhindert hat, also ziemlich versagt hatte. Also die These ist, daß im Osten die bürgerliche Mitte fehlt, die ausradiert wurde. Darum nur ein eingeschränktes bürgerliches Freiheitsbewußtsein. Ist da was dran?
Nein, glaube ich nicht, jedenfalls so lange es das Bildungsbürgertum betrifft. Bildung war total kostenlos und bevorzugt konnten "Kinder" deren Eltern Arbeiter waren, studieren. So gesehen waren sie nach dem Studium auch keine Bürgerlichen, sie hatten einfach studiert und waren "Intelligenz".
Es wurde darauf geachtet das es kaum Bürgertum gab, denn es sollten ja alle gleich sein. Die paar privaten Fleischer, Bäcker, Handwerker wurden als Bürger oder besser Mittelständler betrachtet und nicht gefördert.
Die DDR-Gesellschaft läßt sich nicht in die gleichen Schichten einteilen wie die BRD.

Ich kann mir das Vorhandensein von Nazis in der DDR schlecht erklären und ich kannte auch keine. Vielleicht hat man uns bis zum Erbrechen mit den Untaten der Nazis vollgestopft, so das einige es nicht mehr hören konnten. Jede Schulklasse war in Vorbereitung der Jugendweihe in Buchenwald und mußte sich dort auch den Film über die Verbrechen anschauen. In jedem nur irgendwie passenden Unterrichtsfach wurde das dritte Reich behandelt. Ehemalige KZ-Häftlinge kamen in die Schulen und berichteten. Filmund Fernsehen behandelten das Thema.
Das es trotzdem Nazis gab kann ich mir nur so erklären das es eine Art des Aufbegehrens gegen die Gesellschaft war. Vielleicht unterstützt durch Erzählungen heimlicher Nazi-Opas und Omas. Die muß es ja hier auch gegeben haben, aber öffentlich haben die den Mund gehalten.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Nein, glaube ich nicht, jedenfalls so lange es das Bildungsbürgertum betrifft. Bildung war total kostenlos und bevorzugt konnten "Kinder" deren Eltern Arbeiter waren, studieren. So gesehen waren sie nach dem Studium auch keine Bürgerlichen, sie hatten einfach studiert und waren "Intelligenz".
Es wurde darauf geachtet das es kaum Bürgertum gab, denn es sollten ja alle gleich sein. Die paar privaten Fleischer, Bäcker, Handwerker wurden als Bürger oder besser Mittelständler betrachtet und nicht gefördert.
Die DDR-Gesellschaft läßt sich nicht in die gleichen Schichten einteilen wie die BRD.

Ich kann mir das Vorhandensein von Nazis in der DDR schlecht erklären und ich kannte auch keine. Vielleicht hat man uns bis zum Erbrechen mit den Untaten der Nazis vollgestopft, so das einige es nicht mehr hören konnten. Jede Schulklasse war in Vorbereitung der Jugendweihe in Buchenwald und mußte sich dort auch den Film über die Verbrechen anschauen. In jedem nur irgendwie passenden Unterrichtsfach wurde das dritte Reich behandelt. Ehemalige KZ-Häftlinge kamen in die Schulen und berichteten. Filmund Fernsehen behandelten das Thema.
Das es trotzdem Nazis gab kann ich mir nur so erklären das es eine Art des Aufbegehrens gegen die Gesellschaft war. Vielleicht unterstützt durch Erzählungen heimlicher Nazi-Opas und Omas. Die muß es ja hier auch gegeben haben, aber öffentlich haben die den Mund gehalten.
Aus sozialistischer Sicht ist die Bourgeoisie der Klassenfeind, also der Privateigentümer, egal ob Inhaber eines Technologie-Unternehmens (Zeiss) oder einer kleinen Dorfmetzgerei. Erstere wurde enteignet, die anderen diskriminiert, etwa dadurch, daß ihre Kinder kein Abitur machen durften oder nicht studieren konnten. Hinzu kam, daß bis auf Sachsen und Thüringen das Bürgertum traditionell nur schwach vertreten war im Land der Junker, also jenen ostelbischen Gebieten, in den die Leibeigenschaft noch über die preußischen Reformen hinaus Bestand hatte.
Die Abschaffung der Klasse der Privateigentümer hat auf der einen Seite auch zur Abschaffung von Bildungsprivilegien geführt und damit die Zugänge zu allgemeiner Bildung breit geöffnet (das ist etwas Positives). Auf der anderen Seite wurde mit der Entbürgerlichung der Gesellschaft aber auch eine Tradition des bürgerlichen Freiheitsbewußtseins (Vormärz, wozu auch Marx gehörte) gekappt, das in den ostelbischen Gebieten irgendwie nie so recht angekommen war (siehe Fontanes Stechlin). Ob der brandenburgische und pommersche Landarbeiter für den Junker oder für die LPG arbeitete machte im Sinne der bürgerlichen Freiheitsrechte erst einmal keinen großen Unterschied, wohl aber mit Blick aufs Selbstbewußtsein. Ich hätte auch lieber im Kollektiv gearbeitet, das seinen Lohn selber festsetzt, als für einen Junker, der wenn er knapp bei Kasse ist, den Lohn auch mal ausfallen lassen kann. Freiheit ist in diesen Kreisen kein Wert an sich. Wenn alles andere stimmt, nimmt man es, wie es kommt.

Auch im Westen klagen Schüler über zuviel NS-Unterricht. Als ich zur Schule ging, hörte der Geschichtsunterricht ungefähr beim 1. Weltkrieg auf. Meine Aufklärung begann mit dem WDR. Während ich Schularbeiten machte, lief im Radio eine Sendung über Auschwitz. Sie berichteten, wie Mütter mit ihren Babys auf dem Arm sich freuten, daß sie mal unter die Dusche durften. Bis dahin wußte ich nicht, wie es die Nazis gemacht hatten, nur daß sie es gemacht hatten, alles sehr abstrakt.
Es gibt da eine Fraktion, die will unbedingt den "Schlußstrich" ziehen. Das sind die Ziehväter der AfD. In Ost wie in West.
 
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