Die Grundthese des Artikels wird an keiner Stelle durch die Herstellung eines glaubwürdigen Tatsachenbezugs unterstützt. Schon dem Einleitungssatz mangelt es dafür an Scharfsinn. Was versteht Frau Maron unter "behelligen"? Menschen fühlen sich regelmäßig durch andere behelligt, sowohl aufgrund deren Rechtsausübung als auch aufgrund rechtswidrigen Verhaltens. Ist wenigstens in diesem Licht (oder schon nach geschichtlicher Allgemeinbildung) die Idee des säkularen Staates nicht mit etwas mehr Inhalt zu füllen als mit der Floskel "Trennung von Staat und Religion", unter der hier jeder etwas anderes versteht?
Wenn hinter dem Satz ein rationaler Gedanke steckt, hätte man ihn anders formulieren müssen. Er vergleicht Äpfel mit Birnen. Zwanghaft einen Sinn darin suchend, könnte man festhalten, dass der Großteil des Grundgesetzes normativ unter dem Grundrechtekatalog und damit unter der Religionsfreiheit anzusiedeln ist.
Nichts gegen ihre Verehrung des Grundgesetzes, aber durch ihre Ausgangsperspektive "Wir - und die Moslems" verkennt die Autorin, dass gerade dieses Grundgesetz vorsieht, Voraussetzungen in ihren Details im gesellschaftlichen Konsens zu entwickeln, der heute von Muslimen mitgeprägt wird. Gegenstände, die Muslime betreffen, sind danach ebenso zu verhandeln, wie die Fragen, ob Kruzifixe in Schulen hängen und die Gleichstellung der Geschlechter eine Frauenquote erfordert. Einer (auch verfassungsrechtlich) noch so gut begründbaren Haltung in Einzelfragen kann nicht zusätzliches Gewicht verliehen werden, indem man willkürlich den "Bestandsschutz" der verfassungsmäßigen Ordnung für sie beansprucht. Dazwischen liegen Welten.
Es fehlt ein konkreter Hinweis auf die angeblich begehrten Sonderrechte des Islam, die anders als Geschlechtertrennung und Speisepläne in Schulen in ihrer demokratischen Disposition neu oder wesentlich wären. Weder erkenne ich eine Tendenz des Gesetzgebers, solche aufzugreifen, noch wurden Prozesse um muslimische Religionsfragen je nach Sonderrechten beurteilt, noch kann man es als Integrationsvoraussetzung definieren, auf die Klärung seiner persönlichen Freiheiten in einem Prozess "freiwillig zu verzichten". Die Differenzierung zwischen Gesetzen und den "vereinbarten Regeln des Zusammenlebens" hat zwar auch ihre juristischen Vorbilder, verrät aber jedes Mal den hohen Grad an Subjektivität einer Ausführung. Wenn ich eine sachliche Betrachtung versuche, komme ich immer noch zu dem Schluss, dass in dem in Deutschland zulässigen Maß an religiöser Beeinflussung und Durchdringung des öffentlichen Sektors die christlichen Konfessionen gefolgt vom Judentum den Islam weit überflügeln. Das Gewicht dieses Einflusses ist an den Wertungen von beispielsweise Staatskirchen- und Rundfunkstaatsverträgen aus meiner Sicht besser zu beurteilen als nach der medialen Dauerbestrahlung.
Verändert der Islam die Stellung der Religionen in Deutschland oder ist das nur eine Behauptung aus der Argumentationsnot desjenigen heraus, der - gewöhnt an die christlich-jüdische Kulturtradition - mit zunehmender Präsenz des Islam feststellt, dass Deutschland ihm einfach nicht säkular genug, besser gesagt, nicht laizistisch ist?
Sich intellektuell von den Entwicklungen unserer Zeit abzuschneiden, ist ein gut gepflegtes Grundrecht. Den Gegenstand der Ignoranz aber einer qualifizierten journalistischen Betrachtung zu unterziehen, ist wohl ein unmögliches Unterfangen.