Alubehütet
Well-Known Member
Der Deutschlandfunk hatte ein interessantes Interview mit dem Religionswissenschaftler Michael Blume anläßlich seines neuen Buches. Dabei thematisiert er einen wichtigen Einschnitt:
http://www.deutschlandfunk.de/relig...untergehen.886.de.html?dram:article_id=394307
Generell sieht er den Islam in einer Krise. Problem sei, daß man das nicht statistisch erfassen könne, da es eben keine „Mitgliedszahlen“ gäbe wie bei Kirchens. Nachkommen von Muslimen würden einfach als Muslime gezählt.
*
Wenn ich das richtig im Kopf habe, wurde der Druck mit beweglichen Lettern später für nichttheologische, nichtreligiöse Literatur erlaubt – Kochbücher, Zeitungen sollense lesen. Der Koran aber auf arabisch wird auf Papier bis heute nur fotomechanisch vervielfältigt (obwohl das im Internet inzwischen anders ist). Aber Theologie, das ist eben auch Philosophie, damit Erkenntnistheorie. Ohne diese keine Wissenschaft.
Main: Sie sprechen vom - so wörtlich - "Schicksalsjahr 1485". Es geht um den Buchdruck. Sie sprechen von einer der 'verhängnisvollsten Fehlentscheidung der Weltgeschichte'. Damals wurde verboten, arabische Buchstaben zu drucken. Wie kam es dazu und was waren die Folgen?
Blume: Also, wir haben in Europa ja die Situation, dass um 1450 Gutenberg den Buchdruck erfindet. Und das breitet sich dann sehr schnell aus, auch deswegen, weil Europa sehr zersplittert ist und es nicht möglich ist, das zentral zu verbieten.
Und um 1485, Martin Luther entwächst gerade den Windeln, kommt eine Handelsdelegation, kommen Kaufleute nach Istanbul und fragen bei der hohen Pforte an, ob sie auch im Osmanischen Reich eine Druckerpresse aufbauen können. Sie müssen sich vorstellen, Istanbul war bis vor kurzem noch Konstantinopel. Es ist gerade erobert worden. Die islamische Welt ist eigentlich auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Sie breitet sich aus. Die Schriftgelehrten sagen dem Sultan: Auf gar keinen Fall soll er das zulassen, weil dann kann ja nachher jeder lesen und schreiben. Und das ist eine verantwortungsvolle Kunst, für die man Jahre braucht und die nur wenigen Gebildeten vorbehalten sein soll.
Und so verbietet Sultan Bayezid II. den Buchdruck im Osmanischen Reich, und zwar für arabische Buchstaben, was auch bedeutet für Persisch und Osmanisch. Und das Ergebnis davon ist eben, dass tatsächlich das Osmanische Reich stabil bleibt.
Also, wir haben in Europa die Reformation, die Kirche bricht auseinander, es entstehen Konfessionskriege, dann aber auch Aufklärung und Humanismus, während umgekehrt in der islamischen Welt, es bleibt zwar stabil, aber es entwickelt sich auch nicht weiter. Am Anfang merkt man das gar nicht. Die Osmanen rücken weiter vor, rücken über den Balkan, kommen bis vor Wien, aber mehr und mehr merken sie, dass sie plötzlich die Schlachten verlieren, dass sich die Europäer weiterentwickelt haben. Und ab dem 17./18. Jahrhundert geht es dann nur noch rückwärts.
Und das ist, glaube ich, einer der ganz großen Punkte, die noch kaum im Bewusstsein sind - weder bei Muslimen wie bei Nichtmuslimen. Sondern überwiegend ist so das Bild: Ja, der Islam war doch mal so hoch entwickelt und hatte so eine tolle Kultur. Und zu Zeiten der Kreuzzüge waren eher die Europäer die Peinlichen. Und ganz plötzlich ist da irgendwas passiert und plötzlich rücken die Europäer vor. Und hier sehe ich den Buchdruck als den entscheidenden Faktor. Und diese Bildungskrise, diesen riesigen Bildungsabstand, den hat die islamische Welt bis heute nicht eingeholt.
Main: Also, die Dynamik des Denkens, die rund um das Jahr 1500 entstand, haben osmanische Herrscher selbst abgewürgt?
Blume: Also, wir können das an einem Beispiel festmachen, was mit den Sprachen passiert ist. Also, in Deutschland übersetzt Martin Luther die Bibel. Oder in Großbritannien haben wir die King-James-Bibel, die dann ins Englische übersetzt wird. Es entstehen also Bibelversionen in der jeweiligen Landessprache, was dazu führt, dass viel mehr Menschen lesen und schreiben lernen. In den evangelischen Gebieten vor allem auch Frauen. Es wird jetzt gesagt, auch eine Mutter soll lesen und schreiben können, um die Bibel auszulegen, mit den Kindern zu üben.
Es setzt eine unglaubliche Bildungsexplosion ein. Und die Sprachen vereinheitlichen sich. Es entsteht ein Deutsch, das über die Dialekte hinweg verstanden werden kann. In der islamischen Welt passiert das Gegenteil. Das Arabische triftet weiter auseinander. Sie sprechen heute in Marokko ein ganz anderes Arabisch als im Irak. Und das koranische Hocharabisch, das können immer noch nur ganz wenige hochgebildete Leute, mit dem Ergebnis, dass sie heute … also, quasi Bibelwissen recht allgemein ist oder zumindest jedem zugänglich ist, aber koranisches Wissen sozusagen verborgen ist.
Blume: Also, wir haben in Europa ja die Situation, dass um 1450 Gutenberg den Buchdruck erfindet. Und das breitet sich dann sehr schnell aus, auch deswegen, weil Europa sehr zersplittert ist und es nicht möglich ist, das zentral zu verbieten.
Und um 1485, Martin Luther entwächst gerade den Windeln, kommt eine Handelsdelegation, kommen Kaufleute nach Istanbul und fragen bei der hohen Pforte an, ob sie auch im Osmanischen Reich eine Druckerpresse aufbauen können. Sie müssen sich vorstellen, Istanbul war bis vor kurzem noch Konstantinopel. Es ist gerade erobert worden. Die islamische Welt ist eigentlich auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Sie breitet sich aus. Die Schriftgelehrten sagen dem Sultan: Auf gar keinen Fall soll er das zulassen, weil dann kann ja nachher jeder lesen und schreiben. Und das ist eine verantwortungsvolle Kunst, für die man Jahre braucht und die nur wenigen Gebildeten vorbehalten sein soll.
Und so verbietet Sultan Bayezid II. den Buchdruck im Osmanischen Reich, und zwar für arabische Buchstaben, was auch bedeutet für Persisch und Osmanisch. Und das Ergebnis davon ist eben, dass tatsächlich das Osmanische Reich stabil bleibt.
Also, wir haben in Europa die Reformation, die Kirche bricht auseinander, es entstehen Konfessionskriege, dann aber auch Aufklärung und Humanismus, während umgekehrt in der islamischen Welt, es bleibt zwar stabil, aber es entwickelt sich auch nicht weiter. Am Anfang merkt man das gar nicht. Die Osmanen rücken weiter vor, rücken über den Balkan, kommen bis vor Wien, aber mehr und mehr merken sie, dass sie plötzlich die Schlachten verlieren, dass sich die Europäer weiterentwickelt haben. Und ab dem 17./18. Jahrhundert geht es dann nur noch rückwärts.
Und das ist, glaube ich, einer der ganz großen Punkte, die noch kaum im Bewusstsein sind - weder bei Muslimen wie bei Nichtmuslimen. Sondern überwiegend ist so das Bild: Ja, der Islam war doch mal so hoch entwickelt und hatte so eine tolle Kultur. Und zu Zeiten der Kreuzzüge waren eher die Europäer die Peinlichen. Und ganz plötzlich ist da irgendwas passiert und plötzlich rücken die Europäer vor. Und hier sehe ich den Buchdruck als den entscheidenden Faktor. Und diese Bildungskrise, diesen riesigen Bildungsabstand, den hat die islamische Welt bis heute nicht eingeholt.
Main: Also, die Dynamik des Denkens, die rund um das Jahr 1500 entstand, haben osmanische Herrscher selbst abgewürgt?
Blume: Also, wir können das an einem Beispiel festmachen, was mit den Sprachen passiert ist. Also, in Deutschland übersetzt Martin Luther die Bibel. Oder in Großbritannien haben wir die King-James-Bibel, die dann ins Englische übersetzt wird. Es entstehen also Bibelversionen in der jeweiligen Landessprache, was dazu führt, dass viel mehr Menschen lesen und schreiben lernen. In den evangelischen Gebieten vor allem auch Frauen. Es wird jetzt gesagt, auch eine Mutter soll lesen und schreiben können, um die Bibel auszulegen, mit den Kindern zu üben.
Es setzt eine unglaubliche Bildungsexplosion ein. Und die Sprachen vereinheitlichen sich. Es entsteht ein Deutsch, das über die Dialekte hinweg verstanden werden kann. In der islamischen Welt passiert das Gegenteil. Das Arabische triftet weiter auseinander. Sie sprechen heute in Marokko ein ganz anderes Arabisch als im Irak. Und das koranische Hocharabisch, das können immer noch nur ganz wenige hochgebildete Leute, mit dem Ergebnis, dass sie heute … also, quasi Bibelwissen recht allgemein ist oder zumindest jedem zugänglich ist, aber koranisches Wissen sozusagen verborgen ist.
http://www.deutschlandfunk.de/relig...untergehen.886.de.html?dram:article_id=394307
Generell sieht er den Islam in einer Krise. Problem sei, daß man das nicht statistisch erfassen könne, da es eben keine „Mitgliedszahlen“ gäbe wie bei Kirchens. Nachkommen von Muslimen würden einfach als Muslime gezählt.
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Wenn ich das richtig im Kopf habe, wurde der Druck mit beweglichen Lettern später für nichttheologische, nichtreligiöse Literatur erlaubt – Kochbücher, Zeitungen sollense lesen. Der Koran aber auf arabisch wird auf Papier bis heute nur fotomechanisch vervielfältigt (obwohl das im Internet inzwischen anders ist). Aber Theologie, das ist eben auch Philosophie, damit Erkenntnistheorie. Ohne diese keine Wissenschaft.
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