Wenn mir eine Arzttochter, vermutlich selbst akademisch ausgebildet, erzählt, dass sie trotz gesetzlicher Krankenversicherung ordentlich behandelt wird von ihrem Hausarzt, den sie immerhin noch hat, dann klingt das für mich nicht nur glaubwürdig, sondern ist Teil des Problems, das ich hier angesprochen habe.
Dazu habe ich auch ein aktuelles Beispiel: erst kürzlich erzählte mir ein alter Freund, Uni-Professor mit einem wohlklingenden deutschen Namen, dass er für eine lästige Routine-OP ins Krankenhaus eingewiesen wurde und dort bei einer bei so einem Eingriff nicht zwingend notwendigen Untersuchung im Rahmen der Voruntersuchungen zufällig eine andere Krankheit entdeckt worden sei, die noch viel schlimmere Folgen hätte zeitigen können, wäre sie nicht so frühzeitig eher zufällig entdeckt worden. Der Mann war natürlich überaus dankbar für diese tolle Versorgung und Voraussicht.
Äußerst naiv wäre es aber in beiden Fällen zu meinen, dass mit jedem oder auch nur den meisten Patienten so verfahren werden würde. Mein letzter Krankenhausaufenthalt ist ein krasses Gegenbeispiel dazu: im Jahr 2002 stellte mein letzter HNO-Arzt fest, dass durch einen meiner Nasenflügel 85% der Luft eingeatmet werden würde und durch den anderen 15% und dass durch eine Begradigung der Nasenscheidewand dieses Verhältnis verbessert werden könnte (Anlass des Arztbesuchs war eine einseitige Hals-Rachenreizung, die ich immer wieder von Zeit zu Zeit hatte). Von außen war diese krumme Nasenscheidewand nicht zu erkennen, denn meine Nase sah bis zu diesem Zeitpunkt noch recht symmetrisch aus.
Jedenfalls bereitete mich der HNO-Arzt auf diesen Eingriff vor und erzählte mir, dass im Rahmen der Voruntersuchungen auch eine CT-Untersuchung des zu operierenden Bereichs durchgeführt werden würde. Im Krankenhaus angekommen hat einer der Ärzte dort einfach diese CT-Untersuchung gestrichen mit der sehr informativen Begründung "bei Ihnen brauchen wir das nicht!".
Nach der OP habe ich mehrfach nach dem operierenden Arzt gefragt, weil ich wissen wollte, wie die OP verlaufen sei und ob auch die Flüssigkeit aus meinen NNH abgesaugt wurde, was mein HNO-Arzt zwar angekündigt hatte, wovon aber während der Voruntersuchungen auch keine Rede mehr gewesen ist.
Zwei Tage nach der OP fegte ein offenbar sehr wichtiger Oberarzt mit einem ganzen Troß junger Assistenzärzte durch die Krankenzimmer, sagt über jeden Kranken ein zwei Sätze zu seiner Zuhörerschaft und war gerade wieder am Verlassen meines Krankenzimmers als einer der jungen Ärzte aus seinem Troß sich flugs mir näherte, sich innerhalb von 30 Minuten als der operierende Arzt vorstellte, ich hätte mehrfach nach ihm gefragt, die OP sei soweit gut gelaufen und er müsse jetzt leider weiter, weil die Visite nicht auf ihn warte. Und Tschüß - ich habe ihn nie wieder gesehen.
Denn 1-2h später wurden mir die Tamponagen aus den Nasenlöchern entfernt, wieder von einem anderen jungen Arzt auf dem Bahandlungszimmer der Station. Sein Chef saß am Schreibtisch mit dem Rücken zu mir und blätterte entweder in irgendwelchen Akten oder sogar in einer Zeitung, ich weiß es nicht genau. Dem jungen Arzt fiel nach dem Entfernen der Tamponagen eine Blutrinne in meinem Rachen auf und er informierte den Chef am Schreibtisch darüber, dass der Patient blutet. Dieser, ohne sich auch nur umzudrehen, meinte nur, "ja, das kommt hin und wieder beim Entfernen der Tamponagen vor, schicken sie ihn aufs Krankenzimmer, wenn die Blutung aufgehört hat, soll er sich gründlich waschen".
So wurde ich mit einer Nierenschale und blutender Nase auf mein Zimmer geschickt, in dem ich gerade alleine untergebracht war. Und die Blutung wollte einfach nicht aufhören; als die Nierenschale fast vollgeblutet war (noch mehr müsste ich wohl verschluckt haben, da das meiste Blut meinen Rachen herunterfloss) und mir so langsam schwindlig wurde, ging ich zurück und wollte den Leuten im Behandlungszimmer Bescheid geben als ich kurz vor dem Zimmer umgekippt bin.
Als ich wieder zu mir kam lag ich wieder auf dem Sessel, auf dem mir schon die Tamponagen entfernt worden waren und war mit einer Infusion verbunden, die wie kohlensäurereiches Mineralwasser durch meine Adern sprudelte und war sehr aufgebracht darüber, wie man mich behandelt hatte. Man gab mir etwas zur Beruhigung und brachte mich zurück aufs Krankenzimmer, wo ich zunächst einmal panische Angst davor hatte, wieder einzuschlafen, und nach dem Wiederaufwachen sofort meine Sachen gepackt und das Krankenhaus verlassen habe, weil ich meinen drei kleinen Kindern und ihrer Mutter zuhause zutraute, mich besser zu versorgen und besser auf mich acht zu geben als diese Quacksalber, mit denen ich in der Uniklinik zu tun hatte.
Diesmal schaltete sich der noch vor ein paar Stunden so passiv uninteressierte Chefarzt besonders eifrig und interessiert ein und wollte mich nicht gehen lassen, bevor ich einen Vordruck unterschrieben hatte, dass ich in voller Eigenverantwortung entgegen des Rats der bahandelnden Ärzte das Krankenhaus verlasse.
Die Nähte und die Schiene in meiner Nase entfernte später der HNO-Arzt, der auch feststellte, dass sich an der Luftverteilung auf meine Nasenlöcher durch den Eingriff nicht das geringste geändert hatte. Aber ich habe seit diesem völlig unnötigen Eingriff mit einem von Anfang bis Ende geradezu traumatischen Krankehausaufenthalt eine deutlich unsymmetrische Nase und eine vermutlich vom Sturz herrührende Arthrose in der Hüfte.
So kann es eben auch gehen! Und während jede ordentliche fürsorgliche vorausschauende Behandlung eines Patienten eine Selbsverständlichkeit sein sollte, ist jede einzelne Nachlässigkeit wie in diesem geschilderten letzteren Fall genau der eine zuviel, der nicht vorkommen dürfte und vorkommen sollte.
Und auch wenn es wohl keinen kausalen Zusammenhang geben wird und in unserer ansonsten Statistik und Zahlenverrückten Gesellschaft gerade darüber keine Statistik existieren wird, kann man aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung durchaus annehmen, dass solche Nachlässigkeiten wohl mit einer statzistisch signifikanten Wahrscheinlichkeit eher gesetzlich Versicherte Unbekannte treffen wird als andere, insbesondere, wenn sie auch noch einen muslimisch klingenden Namen haben.
Oder wollte wirklich Jemand ernsthaft bestreiten, dass die betriebswirtschaftliche Durchoptimierung aller Gesellschaftsbereiche in den letzten Jahrzehnten nicht auch den medizinischen Bereich zum Nachteil der meisten Patienten zugunsten einer immer kleiner werdenden Elite betroffen hätte. Oder dass Türken- und Muslimenbashing mit der Zeit immer hoffähiger wurde und Verbreitung fand in diesem Land, in dem eine Partei, deren Vorsitzende und Funktionäre laut öffentlicher Aussage eine Politikerin mit Migrationshintergrund am liebsten "in Anatolien entsorgen" würde, inzwischen schon in einem Bundesland auch einmal knapp 30% aller Wählerstimmen auf sich vereinen kann.
Vermutlich schon. Vermutlich wird man mehr als genug Idioten dafür finden, wie hier ja auch tagtäglich in kleinem Kreis verfolgt werden kann. Denn, und das habe ich hier auch schon mehrfach angeführt und begründet, für mich sind die Entwicklungen an den extremen Rändern des politischen Spektrum nur der aus dem Wasser ragende sichtbare Teil des Eisbergs, der seine Masse und Wucht erst aus den Entwicklungen in der Mitte der Gesellschaft bezieht.
Und in der Mitte der Gesellschaft wird nun einmal seit Jahrzehnten der Ellenbogen, der Profit, der Eigensinn, die Unmoral und Unvernunft gepredigt. Vor diesem Hintergrund kann sich eine AfD sogar als besonders zuverlässig und konsequent profilieren, weil sie öffentlich ausspricht und auf die Spitze treibt, was die gemäßigten in der Mitte so nie (oder richtiger: noch nicht) sagen würden, aber schon längst in ihre vermeintlich politisch korrekten Denk- Sprech- und Handlungsmuster integriert haben.