Entschleunigung von heute auf morgen

alterali

Well-Known Member
Der Mensch braucht Spiele, er braucht Handel (also auch Reisen und Warentransport).
Wenn keine Massen mehr verreisen, verreisen nur noch Eliten.
Wenn es keine Massenveranstaltungen mehr gibt wie Fußball, Rummel und Museumsnacht, wird das öffentliche Leben von den Eliten besetzt.
Aber dieser Trend zu "immer größer, immer schneller" dürfte - gerade auch im Fußball und in Sachen Volksfest - an seine Grenzen gekommen sein. Ebenso der Tourismus. Wenn Abstandsregeln Standard werden (weil Mundschutz nur sehr unzureichend schützt), dann muss anders verreist werden. Die Enge in Fliegern und Kreuzfahrtschiffen ist nicht weniger tödlich als auf ehemaligen Sklaven - und Auswandererschiffen.
Ebenso die Enge der Kitas und Klassenräume. Hätte es im Mittelalter solche Kinderversammlungen auf engem Raum gegeben, wäre die Kindersterblichkeit sicher noch um 30-50% höher gewesen.
Ich kenne eine Reihe Leute ohne Auto. Das macht Leben und Beruf entspannter. Aber sie wohnen alle in der Stadt. Am wenigsten vermisse ich die Autobahn.
Was Eliten für Reisen machen? Weltall und zurück, Scheiß drauf.
Ich war keine Elite und war nur einmal massentourisch unterwegs.
Immer individuell. Deutschland mit dem Fahrrad Skandinavien Auto, Fähre, Camping.
Man kann auch wandern. (ich bin dann mal weg!)
Ich will es mal so sagen, es führen viele Wege nach Rom.
 

alterali

Well-Known Member
………….
Ich kenne eine Reihe Leute ohne Auto. Das macht Leben und Beruf entspannter. Aber sie wohnen alle in der Stadt. Am wenigsten vermisse ich die Autobahn.
Heute braucht man ein Auto um Abstand zu halten.
Fährst Du mit öffentlichen, dann bleibt das im Einzelfall schwierig.
Eines hat corona uns auch positiv beschert: die Leihräder und -roller sind nur noch wenige unterwegs.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Was Eliten für Reisen machen? Weltall und zurück, Scheiß drauf.
Ich war keine Elite und war nur einmal massentourisch unterwegs.
Immer individuell. Deutschland mit dem Fahrrad Skandinavien Auto, Fähre, Camping.
Man kann auch wandern. (ich bin dann mal weg!)
Ich will es mal so sagen, es führen viele Wege nach Rom.
Der von dir beschriebene Individualurlaub, den auch ich vorziehe, kostet, selbst wenn "um die Ecke", mehr als jeder Pauschalurlaub. Wir mögen diesen Ressorturlaub vielleicht nicht (habe das auch nur ein einziges Mal gemacht), aber für viele Familien ist es vielleicht die einzige Möglichkeit, mal etwas anderes als den örtlichen Baggersee oder Imbiss im Sommer zu besuchen. Deutschland-Urlaub an der See oder im Schwarzwald können sich viele Familien nicht leisten. 14 Tage Meck-Pom mit Frühstück 1,700 Euro, 1 Person, sehr knappe 2,5 Sterne in 2019.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Um es deutlich zu sagen: Ich bin kein Fürsprecher des Massentourismus. Aber sanfter Tourismus wird unweigerlich teurer und damit exklusiv.
Man könnte natürlich die Löhne erhöhen. Dann ist das Steuervolumen auch höher und man könnte kleinere Schulklassen machen.
Auch hier sind die Mathematiker gefragt. :)
 

Zerd

Well-Known Member
Gerade lief 50 Shades of Grey im ZDF; ich hatte es vorher weder gesehen noch gelesen.

Als da ein etwas gestörter (zu seiner Entschuldigung: er war superreich!) Sadist seine gepeinigte Anna anbrüllt, dass er das machen müsse, weil er doch so sei, hat es mich daran erinnert, dass ich hier seit etwa über einer Woche einiges über die vermeintliche Sloterdijk-Debatte, die Radio-Sendung mit Adorno & Co und sonstiges schreiben wollte, das aber bei nahezu jedem zusätzlichen Beitrag so sehr anwuchs, dass es irgendwann zu viel geworden ist, um so zwischendurch damit anzufangen und es zuletzt einer traumatischen Fernseherfahrung bedurfte, meine Bedenken hinsichtlich zwangsläufig ausbleibender Vollendung zu zerstreuen.

Dieser eine Link zur Sloterdijk-Debatte (ich habe die Seite fast vollständig durchgelesen - unter Schmerzen!) erinnerte mich daran, dass Nietzsche eine wunderbare Bezeichnung benutzt hatte für Leute, die seinen Übermenschen derart eigenwillig interpretierten. Es dauerte eine Weile, aber dann habe ich es doch noch im Ecce Homo gefunden:

Das Wort »Übermensch« zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgerathenheit, im Gegensatz zu »modernen« Menschen, zu »guten« Menschen, zu Christen und andren Nihilisten – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird, ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werthe verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustra's zur Erscheinung gebracht worden ist, will sagen als »idealistischer« Typus einer höheren Art Mensch, halb »Heiliger«, halb »Genie« ... Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt; selbst der von mir so boshaft abgelehnte »Heroen-Cultus«, jenes grossen Falschmünzers wider Wissen und Willen, Carlyle's, ist darin wiedererkannt worden.

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Eigentlich sollte es eine Sache der Unmöglichkeit sein, Nietzsches Übermenschen auf einen "idealistischen Typus" von Mensch festzunageln, weil der Mensch für ihn etwas ist, das in Form eine ewigen Wiederkehr des Gleichen permanent überwunden wird und untergeht. Schon im Zarathustra schreibt er ziemlich eindeutig über die "höheren Menschen":

Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den Markt.

Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem....
...

Die Sorglichsten fragen heute: »wie bleibt der Mensch erhalten?« Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: »wie wird der Mensch überwunden

Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges, – und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste –

Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang ist und ein Untergang....
...

Ihr höheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht tanzen, wie man tanzen muss – über euch hinweg tanzen! Was liegt daran, dass ihr missriethet!

Wie Vieles ist noch möglich! So lernt doch über euch hinweg lachen! Erhebt eure Herzen, ihr guten Tänzer, hoch! höher! Und vergesst mir auch das gute Lachen nicht!

Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Brüdern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr höheren Menschen, lernt mir – lachen!

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Nietzsches Übermensch ist derjenige, der mit einem heiligen Ja des leidenschaftlichen amor fati zu dieser permanenten Veränderung des ewigen Übergangs, Untergangs und Überwindens steht:

Meine Formel für die Grösse am Menschen ist amor fati: dass man Nichts anders haben will, vorwärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht. Das Nothwendige nicht bloss ertragen, noch weniger verhehlen – aller Idealismus ist Verlogenheit vor dem Nothwendigen –, sondern es lieben ...

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Genetisches Design und Pränataldiagnostik sind vor diesem Hintergrund das exakte Gegenteil von Amor fati, nämlich das Fliehen vor dem eigenen Schicksal, kein lachendes Ja, sondern vielmehr ein betrübtes weinerliches Nein dazu.

Bei dieser einen Diskussion mit Horkheimer und Adorno fand ich eine Aussage von Adorno kurz vor Schluss besonders bedeutsam. Er spricht dort davon, dass es vor allem die "Ja-aber-Haltung" der eigentlich kritischen Bevölkerungsanteile sei, die den Status Quo verteidigt und erhält, viel mehr als die eigentlichen Profiteure. Und das ist auch heute noch so im Hinblick auf den Neoliberalismus, der allenfalls 10-15% der Bevölkerung Vorteile bringt, aber vom großen Rest vor allem mit ihrer "Ja-aber-Haltung" gestützt und getragen wird. Und auch hier in unserer Diskusion trifft man immer wieder auf diese "Ja-aber-Haltung", zBsp wenn Mendelssohn davon spricht, dass weniger Tourismus (zwangsläufig) dazu führen würde, dass nur noch die Elite verreist u.ä.

Wenn man die Veränderung und Überwindung nicht als immanenten Teil der eigenen Existenz begreift und akzeptiert, wird das instinktive Sicherheits-, Geborgenheits-, Indentitätsbedürfnis immer genügend gute und bessere Gründe finden, das Bestehende zu erhalten oder gar das Vergangene wieder herbeizusehnen. Solange diesem rückwärtsgewandten Konformismus nicht in aller Deutlichkeit (ohne Ja-aber) abgeschworen wird, ist kaum eine größere Veränderung in unserer Entwicklung zu erwarten.

Und was mir besonders wenig Hoffnung auf eine baldige Abkehr von diesem Weg macht, ist der Umstand, dass heutzutage zwar so viele nahezu dasselbe tun, aber es als etwas ganz anderes und individuelles ansehen, nur weil sie dabei eine andere Frisur oder andere Kleider tragen, vielleicht andere Vorlieben haben und anders über ein und dasselbe reden. Wenn es wirklich darauf ankommt, etwas zu verändern, sich zu überwinden, unterzugehen, überwiegt jedesmal doch wieder das "aber"...

"Ich bin eben dieser gestörte Sadist!"
 

alterali

Well-Known Member
Um es deutlich zu sagen: Ich bin kein Fürsprecher des Massentourismus. Aber sanfter Tourismus wird unweigerlich teurer und damit exklusiv.
Man könnte natürlich die Löhne erhöhen. Dann ist das Steuervolumen auch höher und man könnte kleinere Schulklassen machen.
Auch hier sind die Mathematiker gefragt. :)
Also ich bin immer arm gereist.
Heute musst du keine 10 Meter gehen: Du hast die Welt in Deiner Nachbarschaft.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
Wenn du deine Kosten fürs arme Reisen mit 4 multiplizierst, wirds teurer. :)
Reisen ist wichtig. So wichtig wie Schule.
Virtuell geht natürlich auch. Oder mit Karl May, der war auch überall nur auf der Grundlage von Büchern. Erst im Alter konnte er sich die Reisen zu seinen Schauplätzen leisten.
Vielleicht bekommt das Lesen wieder einen neuen Stellenwert in der Internetgeneration.
Hast du dir Global Citizen angeschaut?
Für mich war das Kants Weltbürger in praxi. Die Wohnzimmer waren voll mit Büchern, Instrumenten und Kunst, die Künstler ungeschminkt, z. T. im Jogginganzug. Der Jogginganzug als Style Sheet fürs Zuhausebleiben.
Ja, ich bin fürs Austrocknen des Virus.
Jeder Rückfall in einem Krankheitsverlauf ist ein besonderes Risiko und muss unbedingt vermieden werden. Das gilt insbesondere für Seuchen. Deshalb heißen sie so.
 

alterali

Well-Known Member
………..
Reisen ist wichtig. So wichtig wie Schule.
Virtuell geht natürlich auch. …………....
ich denke auch das virtuell vieles möglich ist.
Aber das meinte ich gar nicht.
Wenn Du hier mittenmang in Berlin lebst, dann hast Du in absoluter Nähe die ganze Welt.
Unsere Familienministerin sprach mal von 150 Nationalitäten nur in Neukölln.
Ja und vieles ist leider nicht nur Friede, Freuede Eierkuchen.
 

Mendelssohn

Well-Known Member
ich denke auch das virtuell vieles möglich ist.
Aber das meinte ich gar nicht.
Wenn Du hier mittenmang in Berlin lebst, dann hast Du in absoluter Nähe die ganze Welt.
Unsere Familienministerin sprach mal von 150 Nationalitäten nur in Neukölln.
Ja und vieles ist leider nicht nur Friede, Freuede Eierkuchen.
Stand 2010 lebten Dortmund 130 Nationalitäten. Vermutlich sind noch einige dazugekommen. Aber irgendwie sind sie ja nun doch alle Dortmunder, so wie deine 150 Nationalitäten alle Berliner sind. Reisen heißt ja: mal aus Dortmund oder Berlin rauszukommen, mal einen anderen Himmel, eine andere Vegetation, eine andere Sprache usw. zu erleben. Es geht beim Reisen ja nicht nur um Erholung und all inclusive. Vielleicht, auch dies könnte ein Effekt der Pandemie sein, werden die Reiseprioritäten in Zukunft etwas anders gesteckt, wenn man monatelang all inklusive zu Hause hatte.
Oder anders: Massenfrühstück, Massensonnenbaden, Massenentertainment, Massenwellness, Massenabendbuffet, Massensaufen wird es in naher Zukunft nicht mehr geben. Die Reiseveranstalter werden ganz andere Angebote zusammenstellen müssen und die Billig-Airlines werden sich darauf einzustellen haben oder pleitegehen.

Ich habe mir gestern mal Gedanken gemacht, wie ich das Jugentraining im Tischtennis nach Corona gestalten soll. Nichts wird so sein wie es war. Auch im Training muss jeder Tisch umrandet werden (weniger Tische), einer erhält einen gelben, der andere einen weißen Ball (jeder hebt nur sein Ball auf und macht mit seinem Ball einen Aufschlag), Händewaschen beim Kommen, Händewaschen vor und nach jedem Partnerwechsel, Duschen? (20 Kinder einer nach dem anderen? Dann sind wir um 22 Uhr noch nicht fertig). Nichts wird so bleiben, wie es war. Auch kein In den Arm nehmen nach gewonnenem Spiel. Denn: das nächste Virus wird kommen, wenn dieses eingezäunt ist. Eher früher als später.
 
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